SCHÖNER FLIEGEN
31.01.2025 BaselbietBlitz und Donner
Es ist wirklich eigenartig: Obwohl jeder des Lesens kundige Mensch weiss, dass die Chance, mit dem Auto auf dem Weg zur Arbeit oder zum Flughafen tödlich zu verunfallen, wesentlich grösser ist als bei einem Flugzeugunglück umzukommen, ...
Blitz und Donner
Es ist wirklich eigenartig: Obwohl jeder des Lesens kundige Mensch weiss, dass die Chance, mit dem Auto auf dem Weg zur Arbeit oder zum Flughafen tödlich zu verunfallen, wesentlich grösser ist als bei einem Flugzeugunglück umzukommen, leiden Menschen unter Flugangst. Tja, ihnen ist kaum zu helfen. Sie können einen Kurs gegen Aviophobie, gegen Flugangst, buchen und dafür ein paar Hundert Franken bezahlen. Oder – sie legen diesen Betrag zur Seite und genehmigen sich kurz vor dem Einsteigen einen Schoppen Rotwein.
Sollte es plötzlich donnern und blitzen, bleiben Sie ruhig sitzen. Das Flugzeug ist ein vollständiger Faraday’scher Käfig: Der Strom fliesst bei einem Blitzeinschlag ausserhalb der Kabine entlang. Passagiere sind somit nicht direkt von einem Einschlag betroffen. Manchmal kracht es, in vielen Fällen bekommen sie einen Blitzeinschlag gar nicht mit.
Theoretisch können durch einen Blitzeinschlag Instrumente in einem Flugzeug beschädigt werden. Auch deswegen ist in den meisten Fliegern jedes Instrument doppelt bis dreifach vorhanden. Nach einem Blitzeinschlag wird sich der Kommandant jedoch in jedem Fall für eine Zwischenlandung entscheiden. Vielleicht aber fällt das Flugzeug zuvor in ein Loch. «Ein Luftloch ist eine Bezeichnung für die kurzfristige Höhenänderung eines Luftfahrzeugs beim Durchfliegen von Fall-Böen, Thermik oder Leewellen, verursacht durch Schwerewellen oder deren Rotoren.» (Wikipedia)
Ein Pilot hat mir die Luftlöcher einfacher erklärt: «Es gibt überhaupt keine Löcher! Es gibt nur Auf- und Abwinde sowie seitliche Luft-Scherungen. Stellen Sie sich vor, Sie treiben auf dem Meer dahin. Auch hier geht es rauf und runter. Ein Luftloch hat also nichts mit abfallendem Luftdruck oder mit dem Durchfliegen eines Vakuums zu tun. Die Passagiere eines Luftfahrzeugs spüren hingegen eine Veränderung der Kraft, mit der sie entweder aus dem Sitz des Luftfahrzeugs gehoben oder in den Sitz gedrückt werden.»
Sie sehen also, Luftlöcher existieren höchstens in Ihrer Fantasie. Was es wirklich gibt, sind Turbulenzen. Die meisten Turbulenzen können die Piloten auf dem Wetterradar voraussehen und sie umfliegen. Nicht vorhersehbar sind sogenannte CAT-Turbulenzen, «Clear Air Turbulences». Sollte Ihre fliegende Mehrzweckhalle solche Turbulenzen durchfliegen, dann müssen Sie angeschnallt sein. Sonst stecken Sie jetzt in der Decke des Flugzeugs.
Warum haben zivile Flugzeuge keine Fallschirme an Bord? Die Frage ist einfach zu beantworten: Fallschirme nützen in einer Höhe von zehntausend Metern nichts. Flugzeugtüren sind so konstruiert, dass man sie während des Fluges überhaupt nicht öffnen kann. Wären Sie trotzdem fähig, eine Türe aufzuhebeln, würden Sie sofort hinausgezogen und in der eiskalten Luft erfrieren oder ersticken.
Ganz abgesehen davon: Wann haben Sie sich das letzte Mal einen Fallschirm angezogen? Eben.
Hanspeter Gsell
«Schöner Fliegen» ist das persönliche Resultat von Hanspeter Gsells vielen Reisen rund um die ganze Welt. Während dieser Zeit hat der Autor unzählige Eindrücke und Erfahrungen gesammelt. Gespräche mit Flugbegleitern, Piloten und Menschen aus der Reisebranche rundeten die Erlebnisse ab. Das Buch dazu wird im April 2025 erscheinen. Die «Volksstimme» publiziert in loser Folge einen exklusiven Vorabdruck einzelner Abschnitte.