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29.11.2024 GesellschaftHarry Schnitzels Kalender
Eigentlich war Harry Schnitzel bloss auf der Suche nach einem neuen Kalender für sein trostloses Büro. Harry war Wirt eines bekannten Ausflugsrestaurants in den sanften Hügeln des oberen Baselbiets. Noch hatte er sich bis zu diesem ...
Harry Schnitzels Kalender
Eigentlich war Harry Schnitzel bloss auf der Suche nach einem neuen Kalender für sein trostloses Büro. Harry war Wirt eines bekannten Ausflugsrestaurants in den sanften Hügeln des oberen Baselbiets. Noch hatte er sich bis zu diesem Zeitpunkt keine Gedanken zu einem möglichen Motiv gemacht. Der Kalender sollte möglichst gross sein (Harry war kurzsichtig) und farblich zum Wirtepatent und zur Urkunde der «Chevaliers du Rosé d’ Anjou» passen.
Noch ahnte Schnitzel nicht, welches Unheil dieser im Grunde doch bescheidene Wunsch auslösen würde. Die Auswahl des passenden Wandschmucks wollte ihm einfach nicht gelingen! Weder die Städtekalender mit gotischen Kirchen und Soldaten-Denkmälern noch die Landschaftsporträts mit Gletschern, Gärten und Geranien konnten ihn überzeugen. Auch die Tierkalender mit offensichtlich wiehernden Pferden und sprechenden Steinböcken waren nicht so seine Sache. Die Hühner-Kalender im Schaufenster der Papeterie waren zwar einigermassen lustig, aber viel zu klein.
Ratlos stand Schnitzel vor einer Sonderausgabe des «Harry Potter und der Feuerkelch»-Kalenders, blätterte unschlüssig im «Dinosaurier-Kalender für Kinder» und staunte über «Grossmutters Küchenkalender».
Die sexistischen Machwerke mit echten spanischen Polizisten und falschen französischen Soldatinnen beachtete er kaum. Erst beim Anblick des schweizerischen Bauernkalenders stutzte er. Die leicht bekleideten Landwirtinnen, die nicht nur Haus und Hof, sondern auch ihre eigene Haut zu Markte respektive ins Heu trugen, bewogen ihn zum Ausruf: «Was die können, das kann ich schon lange!»
Und so kam es, dass Harry den ersten erotisch gewürzten Hotelkalender produzierte. Anfang Jahr posiert sein Küchenchef in etwas zu kurz geschnittenen Schwingerhosen im Sägemehl. Im Frühling flirtet der Patissier – bekleidet wie Jacob in der Komödie «La Cage aux Folles» – mit einer Friandise. Anschliessend entsteigt das Bethli, wie einst ihr Vorbild Marilyn Monroe im Film «Manche mögen’s heiss», einer Riesentorte. Im September watet die weissrussische Gouvernante als Anita Ekberg («Dolce Vita») durchs Wasser. Aus Kostengründen hatte man sie allerdings nicht im Trevi-Brunnen in Rom, sondern im alten Hummerbecken fotografiert.
Harry Schnitzel hat auch seine Lieferanten zu einem gemeinsamen Fototermin aufgeboten: Auf dem Dezember-Blatt sollten sie als «Denver-Clan» kalendarisch verewigt werden. Leider kam es nicht dazu.
Der Lieferwagen des Metzgers blieb kurz nach Mittag mit einem Reifenschaden liegen. Etwas später ereilte das Unglück auch die landadlige Kutsche des Winzers. «Lieber einen Achsbruch als einen Dachschaden», wird sich dieser wohl gedacht haben und machte das, was er in einer solchen Situation immer tat. Nichts. Kein Problem für Harry. Auf dem Dezember-Blatt wird er nun selbst als Tarzan im Lendenschurz zu sehen sein: In Ermangelung einer tragfähigen Liane wird er im Weinkeller an einem alten Elektrokabel hin und her schwingen.
Es guets Nöis!
Der Autor, Kolumnist Hanspeter Gsell, lebt seit mehr als 40 Jahren in Sissach.