SPRACHPOLIZEI
21.11.2024 RegionChrüsimüsi
Kürzlich: Ein Sonntagsblatt eröffnet ausgerechnet sein wöchentliches Ratespiel zur korrekten Sprache mit «das Zmittag», also einem Wort aus der Mundart. In einem Konkurrenzprodukt aus der journalistischen Business Class stolpern wir bei einer Antwort zu verstellbaren Sitzen in Flugzeugen über den Begriff «Hebeli».
Die Schweizer Schriftsprache ist durchsetzt mit Helvetismen, also Ausdrücken, die Deutsche niemals verwenden würden. Wir fahren mit dem Zug oder dem Tram ins Spital, weil wir dort mit dem Auto nicht parkieren können. Die Deutschen verzichten auf die Bahn oder Strassenbahn, weil sie vor dem Krankenhaus ihr Fahrzeug (oder den Wagen) parken können. Wir kaufen keine Glace (schreiben Sie das nie mit é!), weil wir das Portemonnaie (schreiben Sie das, wie Sie wollen!) liegen gelassen haben. Zudem würden wir beim Bestellen sprachliche Purzelbäume mit Höflichkeitsfloskeln schlagen, während sich der Nachbar im Norden auf eine Silbe beschränkt. Wenn die Redaktorin (in Deutschland die Redakteurin) der «Volksstimme» von der «Gmäini» oder vom «Breesi» schreibt, dann liegt das hingegen entweder schlicht am Platz oder am Stil. Beide Begriffe sind zweisilbig und ersetzen Wortungetüme mit 6 Silben und bis zu 20 Buchstaben.
Beim Zmittag liegt der Fall anders. Es klingt (oder tönt es?) wie das Zvieri, das in Österreich wiederum als Jause bezeichnet wird, weit sympathischer und heimischer als das Mittagessen und erst recht als der Lunch. Im Fernsehen sprach ein Bern-Korrespondent im Zusammenhang mit den falschen AHV-Prognosen auf Hochdeutsch von einem «Bschiss», die in Mundart verkündeten Wetterprognosen sagten für den folgenden Tag ein «Chrüsimüsi» voraus. Beide Wörter lassen sich nicht gleichwertig ersetzen. Greifen wir dann also ruhig zu Helvetismen und, vielleicht etwas zurückhaltender, zu Mundartausdrücken, wenn uns die Standardsprache keine treffendere Lösung anbietet. Sie aber ist und bleibt die Grundlage unseres Schreibens.
Jürg Gohl