EINFACH LEBEN
28.11.2024 RegionSchrauben, Schweissen und Grillieren
Wir kamen hierher mit wenig Ahnung, dafür mit viel Lernbereitschaft und Vertrauen. Schnell haben wir gemerkt, dass die offiziellen Kanäle zwar existieren, aber nicht viel nützen. Viel wichtiger sind die ganz normalen ...
Schrauben, Schweissen und Grillieren
Wir kamen hierher mit wenig Ahnung, dafür mit viel Lernbereitschaft und Vertrauen. Schnell haben wir gemerkt, dass die offiziellen Kanäle zwar existieren, aber nicht viel nützen. Viel wichtiger sind die ganz normalen Menschen. Sie wissen, wo was zu finden ist, wer was weiss, hat oder kann.
So sind wir auch zu unserem Maestro gekommen. Don Victor Flores Rios ist ein wahrer Schatz. Mit ihm haben wir alle unsere Gebäude errichtet, selbst das Hühnerhaus. Don Victor kann alles: schreinern, schweissen, gipsen, malen, ein Dach decken, Fenster einsetzen, Wasser anschliessen, Dusche und Lavabos sowie Holzofen samt Boiler installieren … Was immer es braucht für ein funktionierendes Haus, macht der Maestro mit einem oder zwei Mann selbst. Einzig einen Elektriker hat er hinzugezogen, um die Stromleitungen und die Anschlüsse in die Gebäuden zu legen.
Auf meine zahllosen Sonderwünsche – Stahlträger, gemauerte, abgerundete Rückwand, grosses Dachfenster – lautete seine lakonische Antwort stets: «Ja, das lässt sich machen.» Nur, warum jemand nachts die Sterne sehen will, hat ihm irgendwie nicht eingeleuchtet. Gringos eben.
Für eine Mauer braucht es Steine. Ein Telefonat, und wir sind unterwegs nach Cerillos zu einem Mapuche-Bauern, der am Fluss lebt. Jeden einzelnen Stein haben wir vom Flussufer zu den Pick-Ups hinaufgeschleppt und hierher gekarrt. Zwar hat der Maestro etwas viel Zement gebraucht, um die Steine zusammenzuhalten, aber das Mauerwerk steht.
Auch das Wasser fliesst. Oben am Berg, wo unser Bach über Felsen stürzt, liegt ein Rohr, das in einen kleinen Tank mündet; von dort bringt ein langer Schlauch das Wasser zuerst in einen 500-Liter-Tank, führt dann zu uns hinunter, verzweigt sich ins Haus der Jungen, in mein Haus und weiter hinab zum Nachbarn Don Chelo. Unterwegs versorgt es auch die Tränken der Kühe. Wenn das Wasser ab und zu nicht mehr fliesst, steigen wir hinauf, befreien das Gitter von Laub und Geröll und schon rauscht es wieder aus dem Hahn. Der Bach fliesst ganz einfach durch die Häuser. Herrlich frisches, klares Trinkwasser. Das Abwasser brauchen wir, um den Garten zu bewässern.
Don Victor ist nicht nur unser geschätzter Maestro, er repariert für uns zwischendurch auch einmal die Motorsäge, baut Küchenschränke oder ein Bett mit Schubladen. Er hat uns zwei seiner schönsten Brahma-Hühner geschenkt und die Kühe vermittelt. Er arbeitet, solange es hell ist, auch an Samstagen, und rechnet mit Papier und Bleistift ab. So macht er übrigens auch seine Skizzen. Und am Schluss kostet ein ganzes Haus etwa so viel wie ein Kleinwagen.
Pausen machen die Arbeiter nur über Mittag, wenn sie ihr mitgebrachtes Essen auf dem Gaskocher wärmen. Ausser diesem einen Mal, als sie den unvorsichtigen Hasen, der ihnen bei der Anfahrt ins Auto lief, kurzerhand zerlegten und grillierten.
Die Journalistin Christa Dettwiler ist 2022 gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen Ehefrau von Rünenberg nach Chile ausgewandert. Sie erzählt regelmässig von ihrem Alltag.