MEINE WELT
27.09.2024 GesellschaftDie Reise nach Braunschweig
Bis zu meiner Reise nach Braunschweig dachte ich immer, dass wir als Familie prädestiniert für den Chaotenpreis des Jahrhunderts sind. Aber dann besuchte ich meinen Kinderfreund in Braunschweig. Er ist als singender Urologe ...
Die Reise nach Braunschweig
Bis zu meiner Reise nach Braunschweig dachte ich immer, dass wir als Familie prädestiniert für den Chaotenpreis des Jahrhunderts sind. Aber dann besuchte ich meinen Kinderfreund in Braunschweig. Er ist als singender Urologe (Selbstbeschrieb) mit 52 Jahren noch in den Chor des Stadttheaters eingetreten und lud mich zur Aufführung von Verdis «Troubadour» ein. Weil die Deutsche Bahn es unmöglich macht, nahm ich also das Auto und fuhr die rund 700 Kilometer nach Niedersachsen, um an jenem Samstag so viel zu erleben, wie Frau es in der Schweiz höchstens in einem Jahr durchmacht.
Kaum angekommen, musste ich eines der Hühner des Freundes aus einem Zaun ziehen, in dem es sich verfangen hatte, während mein Freund andernorts noch den Schwiegervater vom Garten ins Haus zurücktrug, denn der hatte einen Oberschenkelhalsbruch und eine wirkungslose Reha hinter sich. Als wir mein Auto vor die Garage parkieren wollten, gerieten wir mit dem Hinterreifen an eine Ziegelsteinmauer. Ein Knall und ein Platten … am Samstagmittag, 13 Uhr in Deutschland. Prognose: 1 Woche mindestens warten bis ein passender Reifen in eine Werkstatt geliefert werden könne. Der Schweizer Autohändler meines Vertrauens und der ADAC-Mensch wussten Rat und so landeten wir bei einem Ukrainer mit russischer Schwiegermutter, zwei Neffen in der ukrainischen Armee und sibirischen Wurzeln, der mir einen neuen Reifen und die Verkündigung brachte, dass, wenn die Ukrainer den Krieg verlieren, Putin demnächst Deutschland regiere, wo frau sich aber dennoch an die Strassenverkehrsordnung mit 140 km/h Spitzengeschwindigkeit zu halten habe.
Ohne Wodka, aber gewappnet, war die nächste Station die Praxis meines Freundes, wo wir Operationsbesteck holten, um darauf auf der Chaiselongue seines Wohnzimmers den Familienhund zu vernähen. Denn der hatte sich während unserer Ukrainelehrstunde eine klaffende Wunde gerissen.
Danach ging es an drei Stunden Verdi-Oper vor der Braunschweiger Burg, wo ich unangenehm auffiel, weil ich keine Zeit zum Umkleiden gehabt, jedoch von Prosecco trinkenden Damen in Abendrobe mit Ascot-Hüten umgeben war. Zur Oper nur so viel: Das Schicksal der Heldin ist nicht me-tookompatibel: Sie leidet und stirbt für den undankbaren Geliebten und das alles in Sopran … mutmasslich gestört von Uschi von der Leyen, die mit dem Helikopter das Ganze auf dem Weg zum Familiensitz überfliegt.
All das musste natürlich gefeiert und das Schicksal von Ampel-Deutschland gehörig analysiert werden, als um 3 Uhr früh das Telefon den Plausch beendete. Der Schwiegervater war aus dem Bett gefallen. Ich rettete die Kinder vor einer Monsterspinne, versorgte sie ins Bett und checkte den Hund, während die Eltern in den erneuten Rettungseinsatz gingen. Für meinen Arztfreund ist so ein Tagesablauf nicht aussergewöhnlich. Ich hingegen brauchte die 7 Stunden Rückfahrt am nächsten Tag, um das Erlebte zu verarbeiten. Der Reifen hat gehalten. Es bleibt die Erkenntnis, dass meine Familie anspruchslos und Deutschland überfordernd ist.
Petra Huth ist Politikwissenschaftlerin und Ökonomin. Sie lebt in Anwil und amtet dort als Gemeinderätin.