AHNIG VO BOTANIK
27.09.2024 BaselbietDie goldene Wildbirne
Andres Klein
Eine Frucht, die für unsere Ernährung für lange Zeit von grosser Bedeutung war, ist die Birne. Birnen wurden geschätzt, weil sie sowohl frisch als auch gelagert und besonders auch getrocknet ...
Die goldene Wildbirne
Andres Klein
Eine Frucht, die für unsere Ernährung für lange Zeit von grosser Bedeutung war, ist die Birne. Birnen wurden geschätzt, weil sie sowohl frisch als auch gelagert und besonders auch getrocknet gegessen werden konnten. Getrocknete Birnenschnitze halfen den Menschen den Winter zu überstehen, als es noch keine Supermärkte gab. Rezepte zeugen davon, dass Birnen fast in jedes Essen gehörten. Man denke da an Birnenbrot, an geschnetzeltes oder gehacktes Fleisch, an den Birnenbraten, als Beimengung zu dürren Bohnen, in verschiedensten Desserts, als Süssstoff wie zum Beispiel Birnel und als Most.
In der Schweiz sind über 600 Birnensorten bekannt, weltweit um 5000. Um die Sorten richtig einzusetzen, brauchte es ein grosses Wissen. Während die einen Sorten am Baum reifen mussten, wurden andere erst geniessbar, wenn sie einige Wochen im Keller lagerten. Andere Sorten konnten nur zum Mosten oder zum Dörren gebraucht werden. Wieder andere mussten richtig teigig sein, um gedörrt zu werden. Das Diegter-Biirli (Schweizer-Bratbirne) musste in der Bratpfanne gebraten werden, um geniessbar zu sein. Viel von diesem Wissen und viele Sorten sind verschwunden, dafür dürfen wir im Grossverteiler aus fünf verschiedenen stein-bein-harten Neuzüchtungen auswählen und beobachten, wie sie zu Hause überraschend rasch zu faulen beginnen.
Alle diese Sorten stammen von der Wildform, der Wildbirne ab. Diese ist bei uns in lichten Wäldern, an Waldrändern und in Feldgehölzen anzutreffen. Die Wildbirne kann strauch- oder baumförmig wachsen und wird bis zu 20 Meter hoch. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen Zucht- und Wildform sind die Dornen. Tafelund Mostbirnen haben wie die Äpfel keine Dornen. Die Blüten unterscheiden sich kaum von den Zuchtformen. Die Kronblätter sind weiss und die Staubbeutel zuerst dunkelrot und dann schwarz. Wildbirnen sind höchstens 4 Zentimeter gross, können birnenförmig, aber auch rundlich sein. Da Birnen meist fremdbestäubt werden, kann es vorkommen, dass Wildbirnen bis 6 Zentimeter grosse Früchte bilden und trotzdem Dornen haben. Die Früchte enthalten kleine Steinzellen, die sehr hart sind und den Genuss dieser Wildfrüchte schmälern. Am Baum sind die Früchte meist grün und steinhart. Wenn sie gereift sind, fallen sie zu Boden und sind dann knapp geniessbar. Sie sind nun weich, nicht mehr extrem sauer und meist goldgelb.
Im vorletzten Jahrhundert wurde aus den Kernen Speiseöl gepresst und aus den Früchten ein schmackhafter, eher herber Essig hergestellt. Das Holz des Birnbaums war lange Zeit für Möbel und für Drechselarbeiten sehr gesucht. Es ist dunkel und sehr hart.
Mythologisch wird der Apfelbaum dem Weiblichen und der Birnbaum dem Männlichen zugeschrieben. Ein alter Brauch meint, wenn eine junge Frau auf einen Mann warte, so können das nächtliche Warten unter einem Birnbaum Klarheit bringen, ob er bald zu erwarten sei. Wirft sie nämlich die Pantoffeln in die Äste und bleiben sie oben, dann kommt der Traummann bald, sonst muss sie sich mit Tinder behelfen.
Andres Klein ist Botaniker. Er lebt in Gelterkinden.