MEINE WELT
26.07.2024 RegionSchöpferkraft oder Schöpfermacht
Wenn Menschen aus der Zukunft zurückblicken auf unsere Zeit, was werden sie sehen?
Zweifellos einen Scheidepunkt der Geschichte. In meinen Augen zeichnet sich dieser in erster Linie dadurch aus, dass die ethischen ...
Schöpferkraft oder Schöpfermacht
Wenn Menschen aus der Zukunft zurückblicken auf unsere Zeit, was werden sie sehen?
Zweifellos einen Scheidepunkt der Geschichte. In meinen Augen zeichnet sich dieser in erster Linie dadurch aus, dass die ethischen Grenzen derzeit so fundamental neu gesetzt werden wie nie zuvor. Mehr noch: Das, was ethisch überhaupt denkbar ist, wird komplett auf den Kopf gestellt. Was aktuell geschieht, ist eine Zäsur am Übergang von einem «alten» Weltbild zu einem «neuen». Jahrtausendelang war es selbstverständlich, dass es eine Welt gibt, innerhalb der wir Menschen existieren. Dass wir ein Stück weit diese Welt formen durch die Art und Weise, wie wir leben. Aber dass wir Teil davon sind und uns letztlich immer innerhalb von Umständen bewegen, die wir nur bedingt beeinflussen können. Damit verbunden war auch eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Ehrfurcht vor der Schöpfung oder vor der Natur an sich, welche alles Leben auf so wundersam-perfekte Weise entstehen und vergehen lässt. Ebenso wie das Anerkennen von natürlichen Grenzen, die wir letztlich zu respektieren oder zumindest zu akzeptieren haben.
Der aktuelle Paradigmenwechsel ersetzt diese Ehrfurcht vor der Natur und der Schöpfung durch eine Ehrfurcht vor der Technik und dem technologisch Machbaren. Grenzen? Gibt es innerhalb des neuen Weltbilds nicht, denn alles, was technologisch machbar ist, wird gleichzeitig als erstrebenswert angesehen. Da sind einerseits die Künstliche Intelligenz und die grenzenlosen Möglichkeiten, die damit verbunden scheinen. Dass der Mensch und das Menschliche in diesem Prozess überflüssig werden, dass Künstliche Intelligenzen sich verselbstständigen könnten und was das für diesen Planeten bedeuten würde – scheint kaum der Rede wert. Da sind andererseits die synthetische Biologie und die Gentechnik, im Rahmen derer sich aktuell Heerscharen von Leuten daran machen, den Code des Lebens nicht nur zu entziffern wie bisher, sondern selbst zu schreiben! Zelluläre Veränderungen von Pflanzen, Tieren, Menschen, Ökosystemen? Das eigentliche Erschaffen von Lebendigem aus Nicht-Lebendigem? Ist heute möglich, also wird es gemacht. Dass keiner dieser Eingriffe umkehrbar ist und niemand absehen kann, welche Konsequenzen dies hat – wird weitgehend ausgeblendet.
Aber: Wieso genau müssen wir uns selbst unbedingt durch Maschinen ersetzen? Wieso müssen wir alles Leben unumkehrbar verändern, ohne auch nur ansatzweise eine Vorstellung zu haben, welche Folgen dies hat? Wieso wird davon ausgegangen, dass dies der natürliche Lauf der Geschichte ist? Und wieso um alles in der Welt soll das erstrebenswert sein?
Wenn Menschen aus der Zukunft zurückblicken auf unsere Zeit, wie werden sie all das einschätzen? Werden sie sagen: Wie gut, dass wir uns über die Schöpfung erhoben und uns diese unterworfen haben? Oder werden sie sagen: Wie traurig, dass wir so tief gefallen sind. Wie können wir zu Menschlichkeit, Ursprünglichkeit und Verbundenheit zurückfinden?
Laura Grazioli, geboren 1985, ist Landwirtin und ehemalige Landrätin. Sie lebt mit ihrer Familie in Sissach.