HERZBLUT
30.04.2024 GesellschaftGleichgestellt?
Es ist gut 20 Jahre her, dass eine Frau mitten in einer Zürcher Fussgängerzone von einem heranrasenden Auto erfasst und getötet wurde. Die Frau hatte auf einer Bank aufs Tram gewartet. Die Frau war meine Frau, die Mutter unserer damals noch ...
Gleichgestellt?
Es ist gut 20 Jahre her, dass eine Frau mitten in einer Zürcher Fussgängerzone von einem heranrasenden Auto erfasst und getötet wurde. Die Frau hatte auf einer Bank aufs Tram gewartet. Die Frau war meine Frau, die Mutter unserer damals noch kleinen Kinder.
Der Autofahrer hätte aus gesundheitlichen Gründen niemals ans Steuer gehört. Er starb Tage nach dem Unfall ebenfalls.
Die Geschichte ist viel zu traurig, um sie hier ganz zu erzählen. Ich töne sie trotzdem an, weil es nun politisch wird: Mit der Frau, die während der Horrorfahrt auf dem Beifahrersitz des schweren Volvos sass, verband mich fortan, dass in allen unseren Dokumenten beim Zivilstand «verwitwet» stand. Doch «verwitwet» ist ein Wort, das verschiedene Bedeutungen hat, wie ich später am Tag des 18. Geburtstags meiner jüngsten Kinder, Zwillingen, erfahren musste. Ich erhielt damals ein Schreiben, in dem mir beschieden wurde, dass ich den Anspruch auf Witwerrente wegen Volljährigkeit der Kinder nun verliere (als ob Kinder mit 18 aus dem Gröbsten heraus wären!). Bei Witwen sei das anders, stand im Gesetzesparagraf nebenan: Sie behalten den Anspruch lebenslang. Frau Fahrerfrau hätte solch niederschmetternde Post also nie erhalten.
Ich war konsterniert, hatte ich doch nicht nur mein Arbeitspensum reduziert, um mehr daheim sein zu können, sondern auch eine tüchtige Haushalthilfe angestellt, was ich mir Rente sei Dank leisten konnte.
Ich rief bei der Ausgleichskasse an und erkundigte mich, ob dort schon jemals jemand von der «Gleichberechtigung von Mann und Frau» gehört habe. Ja ja, beschied man mir lapidar, ich solle doch Beschwerde erheben, falls mir das Gesetz nicht passe, allerdings würde ich chancenlos sein. Gleiches sagte mir ein Anwalt. Und ein Zürcher FDP-Nationalrat meinte zu mir: «Seine verfassungsmässigen Rechte kann man auf Bundesebene nicht einklagen.» Und augenzwinkernd: «Sonst dürften Frauen schon bald nicht mehr früher als Männer in Pension und müssten selbstverständlich auch ins Militär …»
Das mit dem AHV-Alter hat sich mittlerweile demokratisch erledigt. Die anderen Dinge bleiben: Ich habe trotz Zivilschutzdienst Tausende von Franken Militärpflichtersatz bezahlt und musste auf Abertausende von Franken Hinterbliebenenrente verzichten. Nur, weil ich keine Frau bin.
Ich habe damals mit Verweis auf die Gleichstellung der Geschlechter Beschwerde gegen die Renteneinstellung erhoben – sie wurde abgewiesen. Ein Witwer aus der Ostschweiz, dem die Rente fast zur gleichen Zeit aus dem gleichen Grund aberkannt worden war, hatte mehr Ausdauer: Er erstritt sich vor dem Europäischen Gerichtshof sein Recht auf gleiches Recht. Geht doch!
Wie die Schweiz ihr diskriminierendes Gesetz nun anpasst, bleibt abzuwarten. Männerkundgebungen habe ich deswegen noch keine beobachtet. Frauen hingegen gehen regelmässig auf die Strasse und fordern Gleichstellung. Ich denke jedes Mal: Ah, ihr demonstriert also auch für mich! «Die Gleichberechtigung» mag grammatikalisch weiblich sein, sie ist aber durchaus auch ein Männerthema.
David Thommen, Chefredaktor «Volksstimme»