Das treffende Wort
«Weisst du – das kommt halt wegen meinem Beruf», entschuldigt sich Milo, kaum hat er meinen verdutzten Blick wahrgenommen.
Ein Schlaganfall hat aus dem stolzen Krankenpfleger von einer Sekunde auf die andere einen Pflegefall ...
Das treffende Wort
«Weisst du – das kommt halt wegen meinem Beruf», entschuldigt sich Milo, kaum hat er meinen verdutzten Blick wahrgenommen.
Ein Schlaganfall hat aus dem stolzen Krankenpfleger von einer Sekunde auf die andere einen Pflegefall gemacht. Fortwährend berät er sich mit seinen «Kolleginnen» von der Pflege, die er in einer Selbstverständlichkeit duzt, welches «Medi für das leichte Kopfweh» angezeigt wäre. In Gedanken rate ich ihm zu Tabletten gegen Schmerzen und nicht dafür. Einer der Pflegerinnen hat er eben auf dem Flur an die Desinfektionsflasche gegriffen, die an ihrer Schürze baumelt, und sich die Hände damit besprüht, als ob er selber im Dienst wäre. Gleichzeitig ertappt er mich, wie ich diese Szene mit Befremden beobachte.
Auch wenn er beinahe seit 20 Jahren in der Schweiz wohnt und längst den roten Pass besitzt, ist seine fremdländische Herkunft nicht zu überhören. Deshalb eilt ihm die Pflegerin sogleich stilistisch zu Hilfe. «Du meinst wohl Berufskrankheit», ergänzt sie ihn.
Nun schlägt meine Sekunde. «Déformation professionelle. Das bringt es noch besser auf den Punkt», wende ich ein. Wenn wir schon über ein so schönes Fremdwort verfügen, das erst noch nicht aus dem englischen Sprachraum importiert ist, so setzen wir es doch ein. Denn beim Sprechen und erst recht beim Schreiben sollten wir uns nicht mit dem richtigen Wort zufriedengeben, sondern das treffende suchen.
«Aha, Sie sind wohl Lehrer von Beruf», entgegnet die Pflegerin. «Nein, höchstens im Herzen», sage ich, «aber das Korrigieren und Verbessern ist schon eine Berufskrankheit von mir.»
Jürg Gohl, Autor «Volksstimme»