Zeit sammeln, Zeit nehmen

«Boah, das ist ja viel kleiner, als es im Fernsehen aussieht!», sagt Noel staunend im Studio der Politsendung «Arena». Mit seiner Gotte Andrea ist er Zuschauer im «Sportpanorama». Trifft sich gut, dass ich an jenem Sonntagabend arbeiten muss. Eine Stunde vor meinem Dienstbeginn empfange ich die beiden, damit sie einen Blick hinter die Fernsehkulissen werfen können. «Ja, gell, man hat das Gefühl, alles sei riesig. Aber mit den Weitwinkel-Kameras sehen alle Fernsehstudios am Bildschirm um einiges grösser aus, als sie wirklich sind», erkläre ich.

Die Tour durch den «Leutschenbach» – so nennen wir SRF-Mitarbeitenden den Standort Zürich – geht weiter in die Regie, via Schreinerei zu den Radiostudios und endet im Studio 6, wo das «Sportpanorama» aufgenommen wird. Während wir die Proben verfolgen, fragt die Aufnahmeleiterin plötzlich, wer den Studiogast spielen möchte. Schwupps, sitzt Noel vor der Kamera und beantwortet Fragen des Moderators Sascha Ruefer.

Meine Freude ist mindestens so gross wie diejenige von Noel und Andrea. Was für mich Alltag ist, erleben sie zum ersten Mal – ihnen die Fernsehwelt näherzubringen und zu zeigen, wie viele Leute an einer Sendung mitwirken, dafür nehme ich mir sehr gern Zeit.

Während der Proben im Studio 6 denke ich an die wunderbare Aufführung von «Songs und Gschichtä», die ich zwei Tage zuvor im «Kulturhotel Guggenheim» in Liestal gesehen habe. Da nahm ich mir bewusst eine Aus-Zeit und genoss eine poetische Darbietung. Sina, Bänz Friedli und Ralf Schlatter erzählen und singen vom Vertreiben, Gewinnen und Vergeuden der Zeit, vom prallen Leben und Vergänglichkeit. «Je meh Zyt dass i spare, desto weniger hani», singt die «Ziitsammläri» Sina, «je meh Zyt dass i gwinne, desto meh Zyt verlier i, desto meh bin i mit allem hinnena dri.»

Die liebe Zeit … Wie oft fragt man sich: «Hast du keine Zeit oder nimmst du dir keine?» Ich nehme mir gern Zeit. Für mich und andere.

«Sind Sie Seraina Degen?», fragte mich neulich eine Frau im 70er-Bus Richtung Liestal und stellte sich als Hanni Siegrist aus Reigoldswil vor. Sie kannte mein Gesicht von dieser Kolumne. Es wurde eine wunderbare Fahrt, wir plauderten über den FCB, wie super der Teletext noch immer sei und über Aquafit, das sie regelmässig im «Gitterli» betreibt. Mir eine Busfahrt lang Zeit nehmen für Hanni, statt unnötig aufs Handy zu starren – das tat gut.

Am vergangenen Wochenende nahm ich mir gern viel Zeit. Zeit für das Wesentliche nimmt man sich. Immer. Denn Zeit ist nicht Geld. Sie ist viel wertvoller.

Seraina Degen (37) ist in Niederdorf aufgewachsen. Als Torhüterin spielte sie lange leidenschaftlich Fussball, heute bleibt sie beruflich am Ball – als Redaktorin bei SRF Sport.

QUERPASS

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