MEINE WELT
22.03.2024 GesellschaftSissacher Pinot statt Cosmopolitan
Mit 18 bin ich nach Basel gezogen. Dann nach St. Gallen zum Studieren. Ich habe ein Jahr Studium ausgesetzt, um das «St. Gallen Symposium» mit zu organisieren: Ein Mini-WEF auf dem Uni-Campus, mit viel Arbeiten und viel Reisen. ...
Sissacher Pinot statt Cosmopolitan
Mit 18 bin ich nach Basel gezogen. Dann nach St. Gallen zum Studieren. Ich habe ein Jahr Studium ausgesetzt, um das «St. Gallen Symposium» mit zu organisieren: Ein Mini-WEF auf dem Uni-Campus, mit viel Arbeiten und viel Reisen. Später habe ich neben dem Studium am Flughafen Zürich gearbeitet und weitere Reisen unternommen. Dann ein Austauschsemester in Rotterdam. Nach dem Studium habe ich als Praktikantin bei der Schweizerischen Exportförderung begonnen. Ein halbes Jahr Zürich, ein halbes Jahr Tokio. Wieder viel Reisen.
Bis 30 war ich Kosmopolitin. Ich bewegte mich in einem Umfeld, in dem mit Selbstverständlichkeit um die Welt geflogen wird. Nicht «mal» nach Malle, sondern mindestens nach Malle, Lissabon, Hongkong und Buenos Aires – in einem Jahr. In diesem Umfeld wird Englisch gesprochen. Ländergrenzen, nationale Identität? Überbewertet.
Dann führte eine Reihe von Umständen dazu, dass ich nach Sissach zurückkehrte und Bäuerin wurde. Dass ich hier verwurzelt bin, habe ich nach dem Umzug gemerkt, und das umso stärker. Plötzlich gab es etwas, für das ich mich einsetzen wollte. Ich trat der Partei bei, die menschlich naheliegend schien. Aber das Parteiprogramm war auch okay. Grundrechte, Erhaltung unserer Lebensgrundlagen … Andererseits fand ich Themen wie Souveränität und Freiheit interessant, aber ich dachte, das wird sich schon vereinbaren lassen.
Bekanntlich liess es sich nicht. Und zwar nicht nur wegen «Corona», sondern wegen der Symptomatik dieser Krise und der dazu präsentierten Antworten. Von Anfang an war in der öffentlichen Kommunikation irgendwie klar, dass «gute» Massnahmen international und digital sein müssen. Es folgte ein Push globaler Strukturen und Kontrollinstrumente; innerhalb kürzester Zeit wurden Ideen von biometrischer Überwachung, digitaler Identität, digitalen Zahlungsmitteln salonfähig gemacht. Und diejenigen, die regionale und analoge Lösungen, Freiheit und Souveränität vorzogen? Schwurbler. Rechte.
Tatsächlich weiss ich heute nicht mehr, wo ich auf dem Links-Rechts-Spektrum einzuordnen bin. Denn einerseits hat sich dieses spätestens dann ad absurdum geführt, als die Linken zu Kriegsbefürwortern wurden und die Rechten sich für die Wahrung demokratischer Rechte von Minderheiten einsetzten. Andererseits ist es vielleicht nicht mehr relevant. Denn die nächste grosse gesellschaftliche Konfliktlinie wird wohl nicht zwischen Links und Rechts, Kapital und Arbeit, Stadt und Land verlaufen. Sondern zwischen den Befürwortern und Gegnern der globalen Strukturen, die uns derzeit als so alternativlos präsentiert werden. Ich wage zu behaupten, dass ich auch heute noch weltoffen bin. Und trotzdem weiss ich ganz klar, dass ich im Zweifelsfall auf der Seite derjenigen stehe, die souveräne, demokratische Nationalstaaten vorziehen – gegenüber internationalen Organisationen voller sogenannter «Experten», aber ohne jegliche demokratische Legitimation. Denn unsere Lebensgrundlagen sehe ich durch Letztere bedroht, nicht durch Erstere.
Laura Grazioli, geboren 1985, ist Landwirtin und ehemalige Landrätin. Sie lebt mit ihrer Familie in Sissach.