Bewegt es sich? Soll es?

Seit Wochen ziert ein silbriger Streifen unser Auto. Es handelt sich nicht um einen «stylischen» Aufdruck nach einem gepflegten «Tuning» und der Begriff «zieren» dürfte in den Augen der meisten nicht richtig verwendet sein. Ich habe den Streifen nämlich eigenhändig angebracht und statt eine unnötige Verzierung zu sein hat er eine praktische Funktion. Für viele ist es einfach silbriges Klebeband, genauer Gewebeband oder neudeutsch Duct-Tape. Für mich ist es die Hälfte der Lösung fast aller Probleme.

Schliesslich hatte ich beim Öffnen des Kofferraums plötzlich einen substanziellen Teil der Hecktür in der Hand – und der Kofferraum war zu. Irgendein Plastikteil war abgebrochen, dasjenige auf der anderen Seite hielt noch knapp, sodass ich den «Griff» wieder einrasten konnte. Mit viel Vorsicht und beiden Händen liess sich der Kofferraum weiterhin öffnen, aber alles schrie danach, dass bald jemand unbedacht zu sehr an der Tür ziehen und sich die Karosserie erneut vom Gefährt verabschieden würde.

In diesen Situationen bin ich froh darüber, dass meine Frau und ich in Sachen Auto ähnlich ticken: Es ist kein Liebhaberobjekt, sondern ein Mittel zum Zweck. Auch wenn mich diese hellblaue Kutsche seit 15 Jahren begleitet, sie schon meiner Familie als Occasion gute Dienste geleistet hat und ich sie danach günstig von meiner Mutter übernehmen konnte, was den Start unseres eigenen Familienlebens stark vereinfach hat, hege ich keine Gefühle dafür.

Also musste ich bei der Lösung des Problems nicht beachten, ob sie gut aussieht, sondern nur darauf, ob sie hält. Ich griff also zum wundervollen Duct-Tape und reduzierte das ach so komplizierte Leben wieder einmal auf zwei einfache Fragen: Zuerst «Bewegt es sich?» und danach: «Soll es das?» Das Modell – nennen wir es den «Entscheidungsbaum für Flicker» oder «für alles» – ist nicht meine Erfindung, aber ich durfte selber schon die Erfahrung machen, dass mit Duct-Tape und dem Schmiermittel WD-40, der anderen Hälfte des kongenialen Duos, fast alle Probleme zu lösen sind.

Zwei Beispiele: Bewegt sich die Halterung (Frage 1) und die Hecktür bleibt zu, sollte sie sich eigentlich nicht bewegen (Frage 2). Also kommt Duct-Tape zum Einsatz. Problem gelöst. Bewegt sich der Kurbler am Stubenfenster nicht (Frage 1), sodass sich die Aussenstore nicht herunterdrehen lässt, sollte er sich eigentlich bewegen (Frage 2). Also wird das Schmiermittel WD-40 gezückt. Problem gelöst. Bewegt sich etwas, das sich bewegen soll, oder bewegt sich etwas nicht, das sich nicht bewegen soll, hat man sowieso kein Problem. Das Leben ist einfach.

Statt uns zu fragen, warum die Autotür nicht hält oder welcher Handwerker die Storen «versiecht» hat, sollten wir häufiger nach vorne schauen und einfach Klebeband oder Schmiermittel verwenden. Denn wenn meine zwei Lieblingsfragen nicht mehr ausreichen, ist der Frageschwall plötzlich nicht mehr aufzuhalten: Occasion oder neu? Wie viele Kilometer? Ein Benziner? Dabei wollen wir doch gar kein Auto kaufen. Daher: Auf die Zukunft mit unserem neu getauften «Silberstreif».

Sebastian Wirz, Sportredaktor «Volksstimme»

HERZBLUT

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