Kampf der Elemente

Der nachtschwarze Himmel am Nordwestufer des Genfersees öffnete seine Schleusen. Es war, als ob eine Armada von göttlichen Sklaven unermüdlich riesige Bottiche voller Wasser entleerte. Es gab kein Entrinnen, standen wir, mein alter Freund Antoine und ich, doch Schulter an Schulter mit etwa zehntausend anderen Menschen, eingekesselt vor einer grossen Open-Air-Bühne. Es war etwa ein Uhr morgens. Jeder Kubikmeter Luft über Kopfhöhe war brechend gefüllt mit Wasser und Schallwellen, als ob sich Gewittersturm und Musik einen Kampf der Elemente liefern wollten.

Wir waren am Paleo-Festival in Nyon, auf der Bühne spielten Neil Young und seine legendäre Begleitband «Crazy Horse». Das war 2013. Es war das fünfte Mal, dass ich den Altmeister live erleben durfte, das dritte Mal mit «The Horse». Jedes Mal eine Offenbarung. Youngs «Old Black» grummelte rostbraun, erdig und laut, ein unverkennbarer, durch die Jahrzehnte gereifter Sound. Die Licks so übersteuert, als stauten sich die Töne, bevor sie unter Hochdruck aus den Boxen perlten. Die unprätentiöse Art der Bühnenpräsenz, fokussiert und doch entspannt, Youngs schamanisches Wippen mit dem Oberkörper.

Auch heute würde ich nicht enttäuscht werden. Der damals schon fast 70-jährige Kanadier und sein dreiköpfiges Schlachtross entfesselten eine über zwei Stunden dauernde Soundorgie, gespickt mit Klassikern und Soli in epischer Länge – eine auf Entertainment-Konventionen spuckende, in ihrer Rohheit und Emotionalität einzigartige Verkörperung von Musik.

Nomen est omen: Mit den ersten Klängen von «Like a Hurricane» begann der Himmel einzureissen und zu toben und lieferte sich mit den Musikern ein Duell, das unter normalen eidgenössischen Umständen zum sofortigen Konzertabbruch geführt hätte – aber nichts da! Young und Horse galoppierten weiter, und kaum war die 20-minütige (!) Version von «Hurricane» verklungen, lieferten sie mit «Rocking in the Free World» das Echo des Donners. Ein Konzerthöhepunkt par excellence.

Dann war Feierabend. Das Scheinwerferlicht kam, der Regen ging. Wir waren nass bis auf die Unterhosen, mein Smartphone hatte den Geist aufgegeben, doch wir trotteten glücklich und erfüllt Richtung Parkplatz, den Sturzbächen ausweichend, welche die Wiese durchzogen. Es folgten eine unbequeme Nacht auf dem Rücksitz des Autos und die Heimfahrt in den immer noch nassen Kleidern am nächsten Morgen. Doch in den Erinnerungen überlebt hat nur die tranceartige Seligkeit durch dieses einzigartige Konglomerat aus Konzerterlebnis und meteorologischem Ausnahmezustand.

Als Young kürzlich auf seiner Website einen Videomitschnitt dieser letzten 30 Minuten Paleo 2013 zeigte, glaubte ich, Antoine und mich entdeckt zu haben, irgendwo hinten links im verregneten Pixelmeer.

Neil Young rockt immer noch. Er wurde vor 12 Tagen 78 Jahre alt. Nachträglich herzlichen Glückwunsch!

Patrick Moser, geboren 1974, ist ehemaliger Redaktor der «Volkstimme». Er lebt mit seiner Familie in Anwil.

MEINE WELT

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