«Uns läuft langsam die Zeit davon»
27.10.2023 BaselbietRegierung konkretisiert Massnahmen gegen Lehrpersonenmangel
Der Aescher SP-Landrat und Lehrer Jan Kirchmayr hat im Frühjahr in einer Interpellation dem Regierungsrat mehrere Fragen zum sich abzeichnenden Lehrpersonenmangel gestellt. Nun liegen die Antworten vor. Philipp Loretz, ...
Regierung konkretisiert Massnahmen gegen Lehrpersonenmangel
Der Aescher SP-Landrat und Lehrer Jan Kirchmayr hat im Frühjahr in einer Interpellation dem Regierungsrat mehrere Fragen zum sich abzeichnenden Lehrpersonenmangel gestellt. Nun liegen die Antworten vor. Philipp Loretz, Präsident des Lehrerinnenund Lehrervereins Baselland, ist nur bedingt zufrieden.
Tobias Gfeller
In absoluten Zahlen müssen im Kanton Baselland auf Primarstufe bis ins Schuljahr 2027/28 insgesamt 176,5 Vollzeitstellen neu besetzt werden. Auch auf den Sekundarstufen I und II fehlt in den kommenden Jahren eine Vielzahl an Lehrkräften. Die Pensionierungsquote schwankt pro Schuljahr zwischen 1,4 und 4,8 Prozent. Von einem Lehrpersonenmangel könne man im Baselbiet aber noch nicht sprechen, betont Fabienne Romanens, Mediensprecherin der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD). Doch die Zeichen sind eindeutig, warnen Fachleute.
Der Fachkräftemangel wirkt sich gemäss Romanens an den Baselbieter Schulen derzeit vor allem dahingehend aus, dass die Schulleitungen bei der Stellenbesetzung ganz allgemein weniger Bewerbungen zur Auswahl haben und deshalb Abstriche beim Wunschprofil der Kandidatinnen und Kandidaten machen müssen. Gemäss Prognosen des Bundesamts für Statistik ist frühestens ab 2030 mit einer Entspannung der Situation zu rechnen.
Erste Massnahmen eingeleitet
Im Jahr 2021 hat die BKSD eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Lösungsvorschläge ausarbeiten soll. Wie ernst es Bildungsdirektorin Monica Gschwind (FDP) mit der Situation ist, zeigte sie im Rahmen der ausführlichen Beantwortung der Interpellation von SP-Landrat Jan Kirchmayr, der Auskunft zu Neueinsteigern, offenen Stellen, Notfallszenarien, Strategien und Massnahmen zur Behebung des sich abzeichnenden Lehrpersonenmangels forderte.
Zu Beginn ihrer Antwort merkt Gschwind an, dass seit 2019 sowohl auf kantonaler als auch auf überkantonaler Ebene verschiedene Massnahmen eingeleitet wurden. Zu diesen gehören die Möglichkeiten eines Quereinstiegs in den Lehrpersonenberuf und die beschleunigte Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).
Die kantonal bereits umgesetzten Massnahmen würden insbesondere darauf abzielen, die Attraktivität einer fortwährenden Berufsausübung an einer Baselbieter Schule für bereits angestellte Lehrpersonen mit pädagogischer Ausbildung zu erhöhen und somit einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Beruf oder einem Kantonswechsel vorzubeugen. Weitere Massnahmen seien aber notwendig, macht Gschwind klar.
Aktuell fokussiere man sich auf die Bereiche Ausbildung, Personalgewinnung und Personalbindung, erklärt Monica Gschwind. In ihrer Antwort auf die Interpellation Kirchmayr listet die Bildungsdirektorin die bereits ergriffenen Massnahmen zur Stärkung der Bindung der Lehrpersonen und zur Neurekrutierung auf. Zu den Massnahmen des Typs «Notfall» gehören Unterstützungsprogramme für Personen mit Anstellung ohne Lehrdiplom, die Begleitung der Quereinsteiger und die Möglichkeit zur Weiterarbeit nach der Pension. Zum Typ «Bindung» gehören der begleitete Berufseinstieg mit Unterstützung im ersten Jahr und der Einsatz von Zivildienstleistenden und Assistenzen in Sekundarschulklassen in schwierigen Situationen.
Zum Typ «Rekrutierung» gehören die Förderung des Wiedereinstiegs und eine Image-Kampagne, um das Ansehen des Lehrpersonenberufs zu stärken. Weitere Massnahmen würden entwickelt, versichert Gschwind. Den Schulleitungen sollen auf Ende des laufenden Jahres Notfallszenarien zur Verfügung stehen, falls der Mangel eskalieren sollte.
Mehr Leadership gefordert
Philipp Loretz, Präsident des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland (LVB), begrüsst die ausführliche Antwort des Regierungsrats. Für ihn ist die Lage prekär. «Bereits jetzt fehlt es auf allen Stufen an qualifiziertem Personal.» Insbesondere die Primarschule müsse für alle Beteiligten wieder leistbar werden. So gewinne der Lehrberuf wieder an Attraktivität. «Wir brauchen die Lehrpersonen primär im Schulzimmer für das Kerngeschäft und nicht für überbordende Bürokratie und sinnlose Sitzungen», formuliert Loretz seine Hauptbotschaft.
Die Situation sei im Baselbiet noch nicht so gravierend wie in den Kantonen Zürich und Bern, wo Lehrpersonen in Crashkursen innert weniger Tage «ausgebildet» werden, betont Philipp Loretz. Doch der LVB-Präsident stellt klar: «Uns läuft langsam die Zeit davon!» Nicht zufrieden mit der Interpellationsbeantwortung ist Loretz bezüglich der Teilautonomie der Schulen. Er fordert vom Kanton «mehr Leadership», damit der Kanton flächendeckend wieder attraktiver werde. Hinsichtlich der geforderten Aufwertung der Primarstufe schweige sich die Regierung aus, obwohl die Baselbieter Primarstufe im Vergleich zu den umliegenden Kantonen mittlerweile bei allen lohnrelevanten Faktoren das Schlusslicht sei. Auch die abgeschaffte Altersentlastung, bei der bei älteren Lehrpersonen zum Beispiel die Anzahl Lektionen bei gleichbleibendem Lohn reduziert wird, ist Loretz ein Dorn im Auge. Nur noch der Kanton Tessin kenne wie Baselland keine Altersentlastung, kritisiert der Vertreter der Baselbieter Lehrpersonen.