Der Arbeitsmarkt ist am Limit
20.10.2023 Baselbiet, WirtschaftArlesheim | Fachkräftemangel bedroht das Wirtschaftswachstum
Am achten Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsforum der Baselbieter Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion stand der Arbeitsund Fachkräftemangel im Zentrum. In den Referaten und Diskussionen wurde klar: Ohne ...
Arlesheim | Fachkräftemangel bedroht das Wirtschaftswachstum
Am achten Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsforum der Baselbieter Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion stand der Arbeitsund Fachkräftemangel im Zentrum. In den Referaten und Diskussionen wurde klar: Ohne Zuwanderung würde der Schweizer Arbeitsmarkt nicht mehr funktionieren.
Tobias Gfeller
Der neue Baselbieter Volkswirtschaftsdirektor Thomi Jourdan (EVP) beliess es am Ende nicht bei einem einfachen Schlusswort, wie es in der Einladung eigentlich geheissen hatte. Er holte vor den anwesenden Unternehmerinnen und Unternehmern zur Motivationsrede aus, nachdem zuvor vor allem düstere Prognosen über den Arbeits- und Fachkräftemangel infolge der demografischen Entwicklung zu hören waren. «Gehen Sie ins Risiko, seien Sie Unternehmer. Senden Sie Zuversicht aus.»
Der Arbeits- und Fachkräftemangel sei auch ein Zeichen dafür, dass es der Schweiz gut geht, resümierte der neue Regierungsrat. «Unsere Wirtschaft erweist sich als erstaunlich robust», meinte Jourdan hinsichtlich mehrerer Krisen der vergangenen Jahre, die das Ausland weit mehr trafen als die Schweiz. Jourdan bedankte sich für das Engagement der Unternehmerinnen und Unternehmer und lobte dafür explizit Gastgeber und Investor Thomas Staehelin, der in Arlesheim mit «uptownBasel» mehrere Hundert Millionen Franken investiert und so Tausende moderne Arbeitsplätze ermöglicht. Eingeladen hatte am späten Mittwochnachmittag die Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion des Kantons Baselland zum achten Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsforum, das sich mit dem vorherrschenden Arbeits- und Fachkräftemangel beschäftigte.
Im gemeinsamen Gespräch waren sich Thomi Jourdan und Handelskammer-Direktor und FDP-Landrat Martin Dätwyler einig, dass sich der Arbeits- und Fachkräftemangel nicht mehr wegdiskutieren lasse. «Er hat seit Corona exponentiell zugenommen», mahnte Dätwyler. Möglichkeiten, dem Mangel entgegenzuwirken, habe der Kanton nur beschränkt, so Jourdan. Eine Möglichkeit bestehe in der Bildungspolitik.
Wichtig sei, so der Volkswirtschaftsdirektor, dass die Durchlässigkeit in der Ausbildung garantiert ist. Zudem müsse die Politik Anreize schaffen, damit es attraktiv sei, mehr zu arbeiten, also höhere Stellenprozente zu übernehmen. Jourdan sprach dabei explizit die familien- und schulergänzende Betreuung an.
Anreize setzen für mehr Arbeit
Diese erwähnte auch FDP-Landrätin und Direktorin des Arbeitgeberverbands Region Basel, Saskia Schenker. Längst nicht nur finanzielle Aspekte seien der entscheidende Faktor, ob sich eine Arbeitskraft für eine jeweilige Firma entscheidet. Dass längst nicht nur der Lohn alleine ausschlaggebend für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist, bestätigte auch Elisabeth Catharina Vock, Head Human Resources bei Syngenta. Gerade auch Kindertagesstätten würden immer wichtiger.
Gewerkschafter Lucien Robischon, Bereichsleiter kollektive Mitgliederbewegung der Unia Region Aargau-Nordwestschweiz, warnte aber davor, die aktuelle Mangellage als Vorteil für die Arbeitnehmerseite zu sehen. «Vielleicht können aktuell höher Qualifizierte den Job aussuchen. Für den Grossteil der Arbeitnehmenden ist die Situation aber eine andere. Die Lohnverhandlungen sind schwierig.»
Die aktuelle Situation sei für viele sogar schwieriger, weil die Lebenshaltungskosten für diesen Teil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärker zunehmen als die Löhne, erklärte Robischon.
Wie gravierend der Arbeits- und Fachkräftemangel zurzeit ist, zeigten Jan-Egbert Sturm, Direktor der Konjunkturforschungsstelle (KOF)der ETH Zürich, und Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit, Seco, auf. Im Baugewerbe bräuchten die Betriebe bis zu 60 Prozent mehr Arbeitskräfte, rechnete Sturm vor. Bis zum Jahr 2042 werde die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter um rund 13 Prozent abnehmen. Nur mit Zuwanderung sei die bereits vorhandene Lücke zwischen Nachfrage und Angebot zu füllen.
Nur ein Drittel des Wachstums der inländischen Erwerbstätigkeit könne von Schweizerinnen und Schweizern gedeckt werden, betonte Boris Zürcher. «Der Schweizer Arbeitsmarkt wächst über sein demografisches Potenzial.» Die zugewanderten Menschen hätten von der Altersstruktur her die Schweizerinnen und Schweizer optimal ergänzt, weil eine Mehrheit davon im erwerbsfähigen Alter ist. Was passiert, wenn diese grosse Masse einmal pensioniert wird, sagte Zürcher nicht. Er erwähnte aber, dass aktuell eine «überdurchschnittliche» Zuwanderung stattfinde, die in vielen Bereichen des Lebens für Stress sorge.
Trotzdem war die Botschaft von Boris Zürcher und Jan-Egbert Sturm unmissverständlich: Ohne Zuwanderung würde der Schweizer Arbeitsmarkt nicht funktionieren. «Es ist ein Privileg der Schweiz, so viele Menschen rekrutieren zu können», fand Zürcher.