Debatte zum Mindestlohn im Kanton ist lanciert
22.09.2023 Baselbiet, WirtschaftDie Unia fordert im Minimum 22 Franken für alle – ohne Kompromisse
Das erste Fazit der Basler Regierung zum eingeführten Mindestlohn ist positiv ausgefallen. Auch im Baselbiet wird bald darüber abgestimmt. Während die Gewerkschaft Unia eine rigorose Umsetzung fordert, zweifeln die ...
Die Unia fordert im Minimum 22 Franken für alle – ohne Kompromisse
Das erste Fazit der Basler Regierung zum eingeführten Mindestlohn ist positiv ausgefallen. Auch im Baselbiet wird bald darüber abgestimmt. Während die Gewerkschaft Unia eine rigorose Umsetzung fordert, zweifeln die Gegner sogar die Rechtsgültigkeit der Initiative an.
Roman Fries
Mit 54 Prozent Ja-Stimmen hiess die Stimmbevölkerung des Kantons Basel-Stadt im Juni 2021 einen Gegenvorschlag des Regierungsrats und Parlaments zur Initiative «Kein Lohn unter Fr. 23.–» gut. Die Inkraftsetzung der entsprechenden Verordnung ist nun bereits mehr als ein Jahr her. Damit verdient nun jeder Arbeitnehmende mindestens 21.45 Franken pro Stunde – zumindest, wenn er oder sie nicht von einer der zahlreichen Ausnahmeregelungen betroffen ist. Unlängst hat der dafür zuständige Regierungsrat Kaspar Sutter (SP) ein positives Fazit gezogen.
Weder einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen noch einen übermässigen Teuerungsschub konnte er beobachten. Die stichprobenartigen Kontrollen haben zudem gezeigt, dass die städtischen Unternehmen sich grossmehrheitlich an den vorgeschriebenen Mindestlohn halten. Geht es nach der Gewerkschaft Unia, soll der Landkanton deshalb nun nachziehen. Im nächsten Jahr wird daher auch hier über dieses Thema abgestimmt, genügend Unterschriften wurden eingereicht und die Gesetzesinitiative kam am 10. August 2023 zustande.
Löchrige Umsetzung
Im Gegensatz zum Basler Regierungsrat ist man bei der Gewerkschaft aber nicht zufrieden mit der dortigen Umsetzung. «Der Gegenvorschlag und die von der Regierung dazu ausgearbeitete Verordnung haben unser Kernanliegen, einen flächendeckenden Mindestlohn für alle, stark verwässert», so Daria Frick, Leiterin Politik und Kommunikation bei der Unia Aargau-Nordwestschweiz. Hauptkritikpunkt dabei sind Branchen mit einem allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsvertrag (GAV). Diese sind von der Regelung ausgenommen.
So ist es nicht garantiert, dass beispielsweise Schreinereien und Reinigungsbetriebe in Basel tatsächlich 21.45 Franken für eine geleistete Arbeitsstunde auszahlen. Das soll im Baselbiet nicht passieren, hier sollen auch die Bereiche mit GAV dem Mindestlohn unterstellt sein. Generell sieht die Vorlage nur wenige Ausnahmen vor, unter anderem für familiengeführte Landwirtschaftsbetriebe, Nebenjobs für Schülerinnen und Schüler und Au-pair.
Selbst wenn das Anliegen der Unia bei der lokalen Bevölkerung Anklang findet, werden die GAV ein heiss diskutiertes Thema bleiben. Am Ende des vergangenen Jahres waren sie auch Teil der Debatten im Parlament in Bern. Äusserst knapp stimmten National- und Ständerat einer Motion des «Mitte»-Ständerats Erich Ettlin zu, der die Gesamtarbeitsverträge über das kantonale Recht stellen möchte. Die Umsetzung der Motion durch den Bundesrat ist jedoch noch immer hängig. Das Resultat könnten dann wiederum Lohnsenkungen sein, wenn der im nationalen GAV vereinbarte Lohn unter der kantonalen Bestimmung liegt. In den Reihen der Linken sorgte der Entscheid für Empörung. «Das ist nichts weniger als ein parlamentarischer Putsch gegen die Verfassung», kommentierte damals etwa der Co-Präsident der SP, Cédric Wermuth, auf X (früher Twitter).
Bei Annahme der Initiative im Baselbiet würde sich auch die Höhe des Mindestgehalts in den beiden Ständen leicht unterscheiden: Im Baselbiet sind 22 Franken vorgesehen (Basel-Stadt: 21.45 Franken). Die kantonal unterschiedlichen Ansätze sind denn auch ein oft genannter Kritikpunkt der Gegner. Doch Unia-Vertreterin Frick lässt das nicht gelten: «Nachdem ein nationaler Mindestlohn im Jahr 2014 abgelehnt wurde, argumentierten Bürgerliche und Gewerbeverbände, dass mehr auf kantonale Gegebenheiten geachtet werden sollte. Genau das wird jetzt gemacht. Die Summe berechnet sich anhand der Lebenshaltungskosten im vorliegenden Kanton. Darum hatte unsere ursprüngliche Initiative in Basel-Stadt 23 Franken pro Stunde verlangt.»
Eine umstrittene Studie
Ein weiterer Dorn im Auge der Befürworter ist die vom Arbeitgeberverband in Auftrag gegebene und viel zitierte Studie von Conny Wunsch, Professorin für Arbeitsmarktökonomie an der Universität Basel. In dieser wurden beinahe 2000 Betriebe befragt, wie sie auf gesetzlich verankerte Mindestlöhne reagieren. Viele Befragte aus dem Kanton Basel-Stadt gaben an, dass sie in den ersten sechs Monaten nach Einführung der kantonalen Lohnuntergrenze entweder die Preise erhöht haben, zurückhaltender bei der Einstellung neuer Arbeitskräfte waren oder Investitionen reduziert wurden.
Die Unia stört dabei vor allem daran, dass die Umfrage nicht repräsentativ sei. In der Tat sind Betriebe aus Niedriglohnbranchen in der Stichprobe übervertreten. Daria Frick meint dazu: «Die Unternehmen wurden willkürlich ausgewählt, sodass die vom Arbeitgeberverband gewünschten Zahlen resultierten.» Daraus Schlussfolgerungen abzuleiten, sei unseriös. Auch eine öffentlich gemachte Aussage, wonach rund 70 Prozent der Unternehmen in der Gastronomie vom Mindestlohn betroffen seien, stimme nicht. Diese seien bekanntlich einem GAV unterstellt und damit von der Regelung ausgenommen, so Frick.
Ganz anders beurteilt Saskia Schenker (Itingen), Direktorin des Arbeitgeberverbands der Region Basel und FDP-Landrätin, die Resultate: «Es ist korrekt, dass der Arbeitgeberverband die Studie finanziell unterstützt hat. Die Forschenden sind auf solche Beiträge aus der Privatwirtschaft angewiesen. Dennoch handelt es sich um eine unabhängige, wissenschaftliche Forschung einer Universität.»
Schenker sieht sich in ihrer Sichtweise bestärkt und ergänzt: «Ich sehe selbst in der Praxis jeweils Einzelfälle bei uns in der Rechtsberatung, daher sind diese Ergebnisse umso wichtiger.» Einen solchen Fall lieferte zum Beispiel der traditionsreichste Basler Taxihalter. Das Risiko, nicht genügend hohe Umsätze zu generieren und dadurch die Lohnuntergrenze nicht einhalten zu können, war ihm zu gross und das Unternehmen wurde kurzerhand aufgelöst. Die meisten seiner ehemaligen Taxifahrer fahren nun als Selbstständigerwerbende. Dadurch sind sie deutlich schlechter abgesichert.
Rechtlich heikel
Grundsätzlich unterscheiden sich die geäusserten Bedenken von Schenker kaum von jenen aus anderen Kantonen. Hervorzuheben sei dabei, dass gerade Jobs im niederschwelligen Bereich geschwächt werden: «Für Arbeitgeber wird es deutlich schwieriger, Stellen für Niedrigqualifizierte und Wiedereinsteigende anzubieten. Diese sind aber wichtig, denn diese bieten oft Möglichkeiten zur Weiterentwicklung.»
Schenker weist aber noch auf ein weiteres Detail hin: Im Gegensatz zu den eingeführten Varianten in Neuenburg, Genf, im Tessin und im Jura soll hier der Mindestlohn auch für Arbeitnehmende gelten, die im Baselbiet Arbeitsleistungen erbringen, deren Firmensitz sich aber ausserhalb der Kantonsgrenzen befindet. Sie meint dazu: «Wir denken, dass dies rechtlich nicht korrekt ist und die Initiative darum teilgültig ist. Der Arbeitgeberverband will dies baldmöglichst adressieren.»
Der Hintergrund dieses Standpunkts liegt in einem Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2017, in dem steht, dass Mindestlöhne lediglich als sozialpolitische Massnahme erlassen werden dürfen, nicht aber, wenn sie wirtschaftspolitisch motiviert sind. Laut Arbeitgeberverband darf eine sozialpolitische Massnahme eines Kantons Arbeitnehmende von ausserkantonalen Betrieben nicht betreffen. Das schränke die Wirtschaftsund Gewerbefreiheit zu stark ein.
Interessant bleibt es in naher Zukunft also allemal. Optimistisch zeigen sich beide Seiten. «Die Leute haben ein Bedürfnis nach einem Mindestlohn, das konnten wir auf der Strasse beim Sammeln der Unterschriften eindeutig feststellen. Gerade in der heutigen Zeit, in der Themen wie Inflation und steigende Krankenkassenprämien sehr präsent sind», ist sich Daria Frick von der Unia Aargau-Nordwestschweiz sicher. Dem entgegnet Saskia Schenker, dass sich auch die Gegner der Initiative für alle Arbeitnehmenden höhere Saläre wünschen. Und: «Die Sozialpartnerschaft in der Schweiz funktioniert. Alle Branchen, die im vergangenen Jahr etwas für höhere Löhne tun konnten, haben dies auch getan. Dies insbesondere bei den tiefen Einkommen.» Der Mindestlohn hingegen sei kein effektives Werkzeug, um Armut zu bekämpfen.
Auch die Wissenschaft tut sich übrigens schwer, eindeutige Erkenntnisse zum Thema Lohnuntergrenze zu liefern. Den politischen Entscheid muss die Baselbieter Stimmbevölkerung im nächsten Jahr treffen.