Über Fortschritt, Stillstandspolitik und Luftschlösser
29.09.2023 Baselbiet, Wahlen, PolitikSven Inäbnit (FDP) fordert Maya Graf (Grüne) im Ständeratswahlkampf heraus – ein Streitgespräch
Wer vertritt das Baselbiet besser im Ständerat? Kaum gemeinsam am Tisch auf unserer Redaktion, waren Ständerätin Maya Graf (Grüne) und Herausforderer Sven Inäbnit (FDP) fast nicht mehr ...
Sven Inäbnit (FDP) fordert Maya Graf (Grüne) im Ständeratswahlkampf heraus – ein Streitgespräch
Wer vertritt das Baselbiet besser im Ständerat? Kaum gemeinsam am Tisch auf unserer Redaktion, waren Ständerätin Maya Graf (Grüne) und Herausforderer Sven Inäbnit (FDP) fast nicht mehr zu bremsen. Ein Wort ergab das andere – das Protokoll.
David Thommen
Frau Graf, Herr Inäbnit, das wievielte Streitgespräch ist das nun? Mögen Sie überhaupt noch?
Sven Inäbnit: Ja, natürlich. Es ist Wahlkampf, und der dauert bis zum 22. Oktober. Ich nehme jede Gelegenheit für ein Streitgespräch gerne und mit Freude wahr.
Maya Graf: Absolut. Es geht auch um die Mobilisierung, damit möglichst viele Menschen an die Urne gehen. Wir haben in unserem Kanton stets eine vergleichsweise tiefe Stimmbeteiligung, was für die Demokratie schade ist. Es ist entscheidend, wer das Baselbiet in Bern vertritt.
Sie kennen Ihre gegenseitigen Positionen mittlerweile bis ins Detail. Herr Inäbnit, was sind für Sie die Hauptgründe, weshalb Maya Graf nicht erneut in den Ständerat gewählt werden sollte?
Inäbnit: Es gibt grosse Herausforderungen für unseren Kanton. Wir haben zwar eine top aufgestellte KMU- und Industrielandschaft, doch leider trüben sich international die Konjunkturaussichten ein, was auch das Baselbiet betreffen wird. Für die Wirtschaft müssen in Bern darauf Antworten aus bürgerlicher Sicht gefunden werden. Die Wirkung der bisherigen Arbeit von Maya Graf für unseren Kanton im Ständerat beurteilen wir Bürgerlichen als bescheiden, da wäre mehr dringelegen. Nicht zuletzt beim Verkehr hat Frau Graf wenig für das Baselbiet herausgeholt. Im Ständerat werden die Baselbieter Interessen nicht so wahrgenommen, wie das die Mehrheit im Kanton eigentlich erwarten würde.
Frau Graf, umgekehrt gefragt: Warum sollte das Baselbiet Sven Inäbnit nicht ins «Stöckli» schicken?
Graf: Ich bin nicht im Wahlkampf, um zu sagen, weshalb man jemanden nicht wählen soll. Ich will aufzeigen, was ich geleistet habe und darauf hinweisen, dass es weiterhin eine starke, fortschrittliche Stimme aus dem Baselbiet im Ständerat braucht. Ich habe bewiesen, dass ich diese fortschrittliche Stimme bin, ich habe Kompetenz und Erfahrung, ein grosses Netzwerk und habe die richtigen Antworten auf die dringenden Herausforderungen – sei es Klimakrise, Energieknappheit, Gesundheitsversorgung mit horrend steigenden Prämien, Europa, Verkehr, Forschung und Berufsbildung. Wir brauchen Fortschritt und keine Stillstandspolitik, für die Herr Inäbnit und die FDP stehen. Ich bin für Lösungen, nicht für Ideologie.
Inäbnit: Die genannten Themen sind die richtigen. Gerade in Klima- und Energiefragen haben die Bürgerlichen aber bessere Rezepte, die von der Mehrheit bevorzugt werden – nämlich den Weg der Eigenverantwortung und des Pragmatismus. Wir brauchen realistische Schritte und nicht grüne Luftschlösser, wie sie Frau Graf bauen möchte.
Graf: Luftschlösser scheint in diesem Wahlkampf das Lieblingswort von Sven Inäbnit zu sein … (beide lachen) Das Baselbiet war schon immer ein nachhaltig-fortschrittlicher Kanton. Zusammen mit den anderen Nordwestschweizer Kantonen hat sich Baselland eine Klimacharta gegeben, deren Ziele auch für mich verbindlich sind. Lösungen in der Klima- und Energiepolitik anzugehen, das beschäftigt mich schon immer. Leider hat die FDP diesbezügliche Fortschritte stets behindert. Beispiel: Wir haben wegen der bürgerlichen Stillstandspolitik bei der Nutzung der erneuerbaren Energie 20 wertvolle Jahre, Innovation und Versorgungssicherheit verloren! Alle Fortschritte bei Klima und erneuerbarer Energie, die wir in dieser Legislatur im Ständerat zum Glück erzielen konnten, waren nur möglich, weil sich die links-grüne Allianz zusammen mit der «Mitte» durchsetzen konnte. Die FDP hat sich konsequent quer gestellt. Und das ist unverständlich. Denn gerade die Unternehmen, welche die FDP vertreten will, sind bei der Nachhaltigkeit schon auf bestem Weg. Die Politik muss nun die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.
Inäbnit: Unsere Unternehmen sind tatsächlich von sich aus schon gut unterwegs. Dafür braucht es keine parlamentarischen Einpeitscher. Gestalten wir die Politik doch so, dass die Unternehmen nicht mit übermässigen Vorschriften behindert werden; dies hat auch eine ökonomische Komponente. Nicht alle haben unbegrenzte Mittel, um auf jedem Dach eine Solaranlage zu montieren. Es braucht realistische, verträgliche Schritte. Und der Vorwurf, dass die Bürgerlichen den Ausbau der erneuerbaren Energien behindert hätten, ist absurd: Es sind Umweltschutzkreise und die Grünen, die den Ausbau von Wasserkraftwerken seit 20 Jahren blockieren.
Graf: Es braucht in solchen Fragen immer auch Kompromisse. Wir brauchen Lösungen mit der Natur und mit den Menschen, nicht gegen sie. Auch den kommenden Generationen müssen die Lebensgrundlagen erhalten werden. Wir haben eine Verantwortung. Heute leben wir so, als hätten wir drei Planeten zur Verfügung! Dabei wüssten wir längst, was wir zu tun haben, zögern aber fortschrittliche Lösungen unbegreiflicherweise immer hinaus.
Inäbnit: Ich weise klar zurück, dass wir nicht fortschrittlich sein sollen! Zum Fortschritt gehören auch Technologieentwicklung und Technologieoffenheit. Es ist alles andere als fortschrittlich, wenn man auf Biegen und Brechen den Blickwinkel einzig auf Fotovoltaik und Windenergie verengt. Das alleine hat niemals das Potenzial, unsere Energieversorgung zu sichern; Studien beweisen dies. Wir müssen beispielsweise auch für Wasserstofftechnologie, Speichertechnologie und so weiter offen sein.
Und Atomkraft?
Graf: Herr Inäbnit sagt das nie so offen, weil er genau weiss, dass das im Baselbiet nicht populär ist …
Inäbnit: Selbstverständlich gehört die Kernkraft zur Technologieoffenheit. Vor allem auch, weil wir den CO2-Austoss reduzieren müssen. Die jetzigen Kraftwerke sind so lange am Netz zu lassen, wie sie sicher betrieben werden können. Denn fällt ein Drittel der elektrischen Energie weg, steuern wir bei gleichzeitiger Zunahme des Verbrauchs in eine Versorgungslücke hinein, das ist sonnenklar. Wir müssen vorausblicken: Es gibt neue Generationen von kleinen Kernkraft-Reaktoren, die in Skandinavien sogar von den Grünen befürwortet werden. Bis 2030 müssen wir Erkenntnisse gewinnen, ob das auch für uns der richtige Weg sein könnte.
Und bis wann möchten Sie neue AKW in Betrieb nehmen?
Inäbnit: Sollten wir 2030 zum Schluss kommen, dass es neue Kernkraftwerke braucht, könnten solche fünf bis sieben Jahre später ans Netz gehen. Das ist eine Frage des Willens. Wir können das an Standorten der heutigen Kernkraftwerke realisieren.
Graf: Das ist eine komplett falsche Priorisierung. Das Schweizer Volk hat den Ausstieg aus der Atomenergie mitsamt der neuen Energiestrategie beschlossen. Mittlerweile investieren wir zum Glück auch an den richtigen Orten und beschleunigen den Zubau für die Erneuerbaren. Hinzu kommt, dass es bei uns erst auf 8 Prozent unserer Dach- und Infrastrukturflächen Solarzellen gibt, wir haben also ein riesiges Potenzial. Und wir können aus Geothermie oder Biomasse noch viel herausholen. Ein neues AKW ist ein Luftschloss, Herr Inäbnit! Abgesehen davon würde das viel zu lange dauern, nämlich Jahrzehnte, und den radioaktiven Abfall will niemand lagern. Wir müssen jetzt sehr rasch handeln und erneuerbare Energien zubauen – und nicht Zeit mit solchen Diskussionen verlieren.
Der Strom wird teurer und teurer und knapper. Wird das nicht zum Hindernis beim Ausstieg aus den fossilen Energieträgern?
Graf: Ich sehe diese Gefahr nicht. Aber ja, Strom ist kostbar geworden. Natürlich gibt es wegen des Klimawandels Unwägbarkeiten beim Wasserstrom, der ein wichtiges Standbein bleibt. Doch prinzipiell haben wir die nötigen Fördermittel für den massiven Ausbau der Erneuerbaren gesprochen und Verfahren beschleunigt, Stichwort «Solarexpress». Zudem haben wir es in Bern geschafft, dass endlich Effizienzmassnahmen im Energiegesetz verankert sind. Heute wird noch viel zu viel Strom vergeudet. Und natürlich brauchen wir ein Stromabkommen mit Europa. Ganz autark werden wir nie sein, das ist auch nicht sinnvoll.
Inäbnit: Frau Graf redet die Situation schön. Die ETH hat kürzlich aufgezeigt, dass die jetzt beschlossenen Massnahmen alleine niemals ausreichen. Die Stromlücke ist eine Tatsache, und das Problem wird sich in Zukunft weiter verschärfen. Der vom Volk beschlossene Atomausstieg mitsamt der neuen Energiestrategie beruhte damals vor sechs Jahren auf falschen Annahmen – und Wunschdenken. Heute sähe das Resultat anders aus.
Graf: Ich stelle fest, dass Herr Inäbnit einen Volksentscheid nicht umsetzen möchte … Es ist das, was ich mit Stillstandspolitik meine: Die neue Energiestrategie ist nun gut aufgegleist und die Fördermittel und die Notfallpläne sind gesprochen. Hier müssen wir dranbleiben und nicht den Leuten mit dem Schlagwort «Stromlücke» dauernd Angst machen.
Schauen wir in die Region Basel: Die Bevölkerung wächst, die Wirtschaft auch. Hält die Infrastruktur mit, oder müsste «Bern» mehr Mittel in die Region für Strasse und Schiene lenken?
Inäbnit: Das ist eine zentrale Herausforderung. Wir sind zum Glück ein florierender Wirtschaftsstandort und haben eine ausgezeichnete Lebensqualität. Mit dem Bevölkerungswachstum kommen wir bei der Infrastruktur aber an den Anschlag. Alle Verkehrsträger müssen daher ausgebaut werden. Und ich meine damit ausdrücklich nicht nur die Strasse, wie mir das immer unterstellt wird.
Graf: Wir müssen weg vom Silo- hin zum systemischen Denken beim Verkehr. Mobilität muss gesamthaft betrachtet werden – Strasse, Schiene und Langsamverkehr zusammen. Es braucht zweifellos auch auf der Strasse bei Knotenpunkten punktuell einen Ausbau – wie bei Angenstein am Ausgang des Laufentals. Aber immer auch in Kombination mit einem Ausbau des öV. Im Oberbaselbiet braucht es künftig ganz sicher einen Viertelstundentakt der S-Bahn bis nach Sissach und später auch bis nach Gelterkinden. So, wie ihn Liestal nun bekommt.
Konkrete Pläne für ein neues Gleis bis Sissach und Gelterkinden gibt es allerdings nicht und Planungen brauchen in der Regel Jahrzehnte …
Graf: Es wird zweifellos Geduld brauchen, aber das wird kommen. Sobald der Viertelstundentakt bis Liestal gilt, werden sich alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus unserer Region hoffentlich in Bern für einen Ausbau bis nach Sissach starkmachen.
Inäbnit: Wo ist Ihr bisheriger Einsatz im Ständerat dafür, Frau Graf? Einen Vorstoss dafür habe ich von Ihnen noch nicht gesehen.
Graf: Ich könnte im Ständerat natürlich eine Anfrage machen, doch das wäre vor allem für die Galerie. Hier ist der Kanton Baselland als ÖV-Besteller in der Rolle, diese Verbesserungen zu fordern. Ich bin mit dem Kanton immer in Kontakt. Zudem ist Parteikollegin Florence Brenzikofer im Nationalrat in der Verkehrskommission sehr aktiv. Ich bin ja nicht alleine in Bern. Politik ist ein Zusammenspiel.
Inäbnit: Auch im Ständerat muss Einfluss genommen werden! Für mich wäre es selbstverständlich, dass ich als einziger Vertreter des Kantons im Ständerat bei diesem Thema hart kämpfen und lobbyieren würde.
Graf: Ich setze mich seit Jahren für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur ein – so für das trinationale S-Bahnnetz mit dem Tiefenbahnhof Basel, aber auch für den Hafenausbau, damit Schiene und Wasser verbunden werden können. Das ist wichtig, da die Verlagerungsziele auf die Schiene beim Gütertransport noch nicht erreicht worden sind. Sven Inäbnit kann mir nicht vorwerfen, dass ich mich zu wenig für den Ausbau der Infrastruktur in der Region Basel einsetze. Ich befürworte zum Beispiel auch den Zubringer Bachgraben.
Ein breit abgestütztes Baselbieter Komitee fordert, dass die A22, die dem Bund gehört, bei Liestal/Lausen unter den Boden verlegt wird. Hat das auch Ihre Unterstützung?
Graf: Alle Baselbieterinnen und Baselbieter in Bern sind dafür. Jetzt braucht es zuerst eine Vorstudie.
Inäbnit: Für mich eine fantastische Idee. Sie kommt einfach etwas spät.
Bei der A22 ist «nur» von einer Erneuerung die Rede. Bräuchte es nicht auch einen Kapazitätsausbau? Die Strassenachse im Ergolztal ist zu Stosszeiten fast am Anschlag – und die Bevölkerung wächst.
Inäbnit: Einen Kapazitätsausbau muss man im Rahmen der Vorstudie zweifellos prüfen. Für mich steht im Ergolztal aber der Ausbau der Schiene zeitlich im Vordergrund.
Graf: Das sehe ich gleich: Wir müssen uns auf die Schiene konzentrieren. Und in den Haupttälern unseres Kantons liegt bei den Radwegen mit Schnellrouten noch viel drin.
Frau Graf, die eidgenössischen Räte haben jüngst mehr als 5 Milliarden Franken für den Ausbau der Nationalstrassen in der Schweiz beschlossen – unter anderem auch für den Rheintunnel. Sie haben sich der Stimme enthalten.
Graf: Für mich war das ein sehr schwieriger Entscheid. Das Paket umfasst einen gigantischen Autobahnausbau, vor allem im Mittelland, mit all den negativen Auswirkungen wie Kulturlandverschleiss und späterem Mehrverkehr und in Anbetracht dessen, dass der motorisierte Verkehr noch immer zu 37 Prozent der CO2-Emissionen beiträgt – und dies, obwohl die Folgen der Klimakrise immer schlimmer werden … Meine Partei war zu Recht gegen diese Vorlage. Als Standesvertreterin vertrete ich aber auch die Kantonsinteressen. Die Region Basel plant diesen Autobahn-Rheintunnel als Teil dieses Ausgabenpakets, weshalb ich mich der Stimme enthalten habe.
Soll der Rheintunnel ein reiner Ersatz für die Osttangente werden, oder soll die Kapazität mit dem Erhalt der Osttangente erweitert werden?
Graf: Meiner Meinung nach sollte die Osttangente zurückgebaut werden. Die Menschen, die dort wohnen, brauchen diesen Platz für ihre Lebensqualität. Auch wenn sich die beiden Regierungen für den Rheintunnel ausgesprochen haben, darf nicht ausgeblendet werden, dass es Widerstand geben wird. Für die Bevölkerung in Birsfelden und Basel wird auch die schwierige und langjährige Bauzeit eine grosse Herausforderung …
Inäbnit: Ich stelle fest, dass Maya Graf mit ihrer Enthaltung aus Parteiinteressen den übrigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern der Region in den Rücken gefallen ist. Auch die Basler Ständerätin Eva Herzog hat klar für den Rheintunnel Flagge gezeigt. Ich finde es bedenklich, wenn im Ständerat Partei- über regionale Interessen gestellt werden. Die Region verliert damit einmal mehr an Glaubwürdigkeit und Einfluss.
Graf: Mit meiner Enthaltung habe ich gezeigt, dass ich die befürwortende Haltung der Region in dieser Frage respektiere, auch wenn ich eine andere politische Grundhaltung habe. Ich habe nichts blockiert. Und am Schluss wird sowieso das Volk das letzte Wort haben, was richtig ist.
Lassen Sie uns zum Schluss ein weiteres Thema anschneiden, das die Menschen stark beschäftigt: die steigenden Krankenkassenprämien.
Graf: Die steigenden Prämien belasten die Menschen unglaublich, es ist das Sorgenthema Nummer 1. Wir müssen dort, neben einer effizienten Kostenentwicklung, dringend das System der unsozialen Kopfprämien überdenken. Ich habe eine Motion eingereicht, die verlangt, dass einkommens- und vermögensabhängige Krankenkassenprämien eingeführt werden. Ein solches System haben viele umliegende Länder bereits. Eine vierköpfige Familie bezahlt heute rasch einmal 1000 Franken Prämien pro Monat, unabhängig vom Einkommen. Für den Mittelstand ist das nicht mehr tragbar. Das macht mir grosse Sorgen. Bis ein solcher Systemwechsel erfolgt ist, müssten die Prämienvergünstigungen zugunsten der weniger gut Verdienenden stark erhöht werden.
Inäbnit: Einen solchen Systemwechsel bekämpfe ich vehement. Bei der Krankenkasse bezahlen wir alle eine Risikoprämie, was auch richtig ist: Jede und jeder hat das gleiche Risiko, krank zu werden. Müssen weniger gut Verdienende nichts mehr bezahlen, entspricht dies einer Entsolidarisierung. Hauptpunkt ist aber: Bereits jetzt erfolgt eine einkommensabhängige Finanzierung des Gesundheitswesens über die Steuern. Ein grosser Teil der Kosten wird nicht via Prämien, sondern via Steuern beglichen. Und die Steuern bezahlt man bekanntlich nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Es wäre deshalb unsolidarisch, die Kopfprämie abzuschaffen und die ganzen Kosten Personen mit besserem Einkommen aufzubürden. Wollen wir die Prämienhöhe senken, dann müssen wir über Anpassungen in der obligatorischen Versicherung nachdenken und den Leistungskatalog der Krankenkassen entschlacken.
Graf: Herr Inäbnit propagiert hier also eine «Grundversicherung light». Das bedeutet, dass danach gewisse Leistungen nicht mehr versichert wären, worunter vor allem Menschen mit tiefen Einkommen und ältere kranke Menschen zu leiden hätten. Das läuft auf eine Zweiklassenmedizin hinaus.
Inäbnit: Nein. Es ist erwiesen, dass es unwirtschaftliche Therapien gibt. Wer solche Leistungen will, kann sie zusätzlich versichern. Die Grundversicherung ist heute viel zu luxuriös ausgestattet.