«Die Fälle sind komplexer und aufwendiger geworden»
21.09.2023 BaselbietDer «höchste» Richter über die Herausforderungen der Gerichte
Roland Hofmann präsidiert das Kantonsgericht, die letzte Instanz im Baselbiet. Im Interview spricht er über die zunehmende Komplexität der Fälle und darüber, wer die Gerichte auf Trab hält. Zudem sagt er, was die ...
Der «höchste» Richter über die Herausforderungen der Gerichte
Roland Hofmann präsidiert das Kantonsgericht, die letzte Instanz im Baselbiet. Im Interview spricht er über die zunehmende Komplexität der Fälle und darüber, wer die Gerichte auf Trab hält. Zudem sagt er, was die Vorteile von «Laienrichtern» sind.
Thomas Immoos
Herr Hofmann, was gehört alles zu Ihren Aufgaben als «höchster» Richter des Kantons?
Roland Hofmann: In erster Linie stehe ich als Präsident der Abteilung Zivilrecht des Kantonsgerichts vor, der zweiten Instanz des Kantons für zivilrechtliche Angelegenheiten. Zum Zweiten stehe ich der Geschäftsleitung der Gerichte vor, welche die gesamte Gerichtsorganisation des Kantons leitet.
Gerichtskonferenz klingt eher nach Fachtagung. Was ist darunter zu verstehen?
Die Gerichtskonferenz ist sozusagen das Parlament der Baselbieter Gerichte und besteht aus den Abteilungspräsidien des Kantonsgerichts, den Präsidien aller erstinstanzlichen Gerichte, den nebenamtlichen Kantonsrichterinnen oder -richtern und den nebenamtlichen Mitgliedern erstinstanzlicher Gerichte. Die erstinstanzlichen Gerichte sind die beiden Zivilkreisgerichte West und Ost, das Steuer- und Enteignungsgericht sowie das Strafgericht, das Jugendgericht und das Zwangsmassnahmengericht – und die 15 Friedensrichterkreise.
Sie sprechen von nebenamtlichen Richtern und Richterinnen. Handelt es sich hierbei um Laienrichter?
In der Tat nennt man sie in der Umgangssprache Laienrichter. Wir sprechen am Gericht jedoch lieber von nebenamtlichen Richterinnen und Richtern. Denn sie gehen im Hauptberuf anderen Tätigkeiten nach. Einige von ihnen sind zwar juristische Laien, aber Spezialisten auf ihrem Gebiet – so etwa Treuhänderinnen oder Treuhänder in Finanz- und Steuersachen oder Architektinnen oder Architekten bei baurechtlichen Fragestellungen. Es ist für ein Gericht wichtig, solche Fachkompetenz in seinen Reihen zu haben. Auch bringen nebenamtliche Gerichtsmitglieder, die beispielsweise Fachanwälte sind, wertvolle praktische Erfahrungen aus ihrem beruflichen Alltag mit.
Aber nebenamtliche Mitglieder sind nicht ausschliesslich für das Gericht da. Wären vollberufliche Richterinnen und Richter, mit entsprechenden Fachgebieten, nicht eine denkbare Lösung?
Vor etwa zehn Jahren hat man im Baselbiet tatsächlich erwogen, das System zu wechseln und ausschliesslich auf vollberufliche Richterinnen und Richter zu setzen. Man hat davon abgesehen, weil man der Auffassung war, dass das bestehende Milizsystem mehr Vorteile hat. Denn so können auch «Aussenstehende» Mitglieder der Gerichte werden. Das hilft dem gesellschaftlichen Vertrauen gegenüber den Gerichten.
Das trifft wohl vor allem auf die unterste Instanz, die Friedensrichter, zu.
Ich würde nicht von der untersten, sondern von der ersten Instanz sprechen. Diese Instanzen sind besonders nahe beim Volk. Und sie sind auch die einzigen Richterinnen und Richter im Baselbiet, die vom Volk gewählt werden. Wir stellen immer wieder fest, wie sehr die Bevölkerung diese Friedensrichterinnen und -richter schätzt. Sie haben ja nicht nur juristische, sondern auch soziale Aufgaben.
Nun kann man ja nicht jedes Fachgebiet respektive -wissen in die einzelnen Gerichtsabteilungen aufnehmen. Wie holt man sich als Gericht sonst Fachkompetenz?
Wenn dies erforderlich sein sollte, geben wir Gutachten in Auftrag; beispielsweise psychiatrische, technische oder weitere Sachverständigen-Gutachten. Es ist wichtig, dass ein Gericht in Kenntnis aller Fakten ein kompetentes und korrektes Verfahren durchführen kann, das allen Beteiligten gerecht wird. Was uns Richterinnen und Richter angeht, so eignen wir uns mit der Zeit und der Erfahrung – quasi «on the job» – ein gewisses Fachwissen ausserhalb der Juristerei an. Das erleichtert uns die Arbeit zunehmend.
Sie sprechen von Fachleuten in den Gerichten. Nominiert werden die Richterinnen und Richter jedoch von den Parteien.
Es stimmt, dass die Parteien die Richterinnen und Richter wählen, auch die nebenamtlichen. Dies geschieht nach strengem Parteienproporz. Das mag in der Öffentlichkeit befremdlich wirken. In der Alltagsarbeit der Gerichte hat das aber kaum Einfluss, weil ein Gericht nach juristischen – und nicht nach politischen oder gar parteipolitischen Kriterien – urteilt. Mit der Wahl in ein Gericht gibt ein Richter gewissermassen das Parteibüchlein ab. Es kann sogar vorkommen, dass eine Richterin oder ein Richter bei einer umstrittenen Abstimmung eher gegen sein Parteibüchlein stimmt – gewissermassen als Gegenreaktion, um dem Eindruck von Befangenheit entgegenzuwirken.
Bei Gerichtsverhandlungen muss man als Richterin oder Richter präsent sein und auf alle denkbaren Fragen – ob juristischer oder anderer – vorbereitet sein. Wie schafft man das?
Die Erfahrung hilft einem sicherlich. Auch sind das Internet und die juristischen Datenbanken eine wertvolle Hilfe, vor allem in der Vorbereitung. Dank Suchbegriffen und Google kommt man rasch zu Fällen und zu Urteilen anderer Gerichte, etwa der grossen zweitinstanzlichen Gerichte der Kantone Bern und Zürich.
Man hört häufig, dass es (zu) lange dauert, bis ein Verfahren aufgenommen wird oder zur Gerichtsverhandlung gelangt. Sind die Baselbieter Gerichte überlastet?
Von Überlastung würde ich nicht sprechen. Es ist aber so, dass die Fälle in den vergangenen Jahren komplexer geworden sind und sie mit deutlich mehr Aufwand verbunden sind als früher. Was die Fallbelastung angeht, so stellen wir Wellenbewegungen fest.
Sind es auch «Querulanten», welche die Gerichte auf Trab halten?
In der Tat müssen sich alle Gerichte immer wieder mit Querulanten befassen, die wegen jeder Kleinigkeit die Gerichte bemühen. In jüngster Zeit gaben einige Fälle von Staatsverweigerern, vor allem im Zusammenhang mit den Corona-Massnahmen, zu reden. Diese Leute leben teilweise in dem Widerspruch, dass sie einerseits den Staat und seine Organe ablehnen, auf der anderen Seite aber wollen, dass ihnen ebendieser Staat und dessen Organe zu ihrem Recht – wie sie es verstehen – verhelfen.
Kann man solche querulatorischen Klagen nicht vorgängig verhindern?
Der Rechtsstaat sichert jeder Person den Rechtsweg zu, mit dem ganzen Instanzenweg. Allerdings haben Gerichte die Möglichkeit, trölerische Eingaben gar nicht zu behandeln, weil sie nicht justiziabel sind. Das Gericht muss einen solchen Fall nicht entgegennehmen. Allerdings sollte man dies nur sehr sorgsam und zurückhaltend tun. Denn man will sich nicht dem Vorwurf aussetzen, ein Gericht habe jemandem das rechtliche Gehör verweigert.
Persönlich
tim. Roland Hofmann (1965) arbeitet seit Jahren bei den Baselbieter Gerichten. Nach dem Abschluss seines Jurastudiums und vor seiner Tätigkeit als Richter arbeitete er in der Informatik. Es folgte ein Praktikum in einem Anwaltsbüro, bis Hofmann ans Bezirksgericht Arlesheim kam. Seit fünf Jahren präsidiert er das Kantonsgericht Baselland.