Während 44 Jahren mit aller Kraft dem Gewerbe gedient
24.08.2023 BaselbietZum Abschied von Hans Rudolf Gysin
Als Hans Rudolf Gysin am 29. Dezember 2020 seinen Achtzigsten feiern und längst den Ruhestand geniessen durfte, freute er sich spitzbübisch über doppelbödige Komplimente wie das folgende: «Deine Herzlichkeit und ...
Zum Abschied von Hans Rudolf Gysin
Als Hans Rudolf Gysin am 29. Dezember 2020 seinen Achtzigsten feiern und längst den Ruhestand geniessen durfte, freute er sich spitzbübisch über doppelbödige Komplimente wie das folgende: «Deine Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit, mit der Du im Alltag nahezu alle Gegenspieler zu betören verstandest, sind unvergesslich – genauso wie Deine Verlässlichkeit in allem, was Du anpacktest, und nicht zuletzt Dein strategisches Bauchgefühl, das Dich und Dein enormes Umfeld fast immer richtig leitete!»
Diese Gysin-Gratulation ist in mehrfacher Hinsicht in den traurigen Tagen des Abschieds vom hochverdienten Spitzenmann der Wirtschaftskammer Baselland erklärungsbedürftig. 1968 hatte Hans Rudolf Gysin die Leitung des seinerzeitigen Kantonalen Gewerbeverbands übernommen. Mit der daraus entwickelten Wirtschaftskammer gelang es ihm, gleichgesinnte Personen in verschiedensten Verantwortungsbereichen so zu mobilisieren, dass sie zusammen in die Politik hinein zu wirken vermochten. Er war im besten Wortsinn ausgezeichnet vernetzt.
Im Baselbieter Landrat begann 1979 Hans Rudolf Gysins politische Laufbahn. Gleichzeitig politisierte er auch im Prattler Einwohnerrat. 1987 wurde er in den Nationalrat gewählt, dem er bis 2011 angehörte. 2012 übergab er den Stab bei der Wirtschaftskammer an seinen Nachfolger Christoph Buser. Mittlerweile ist durch den Umzug nach Pratteln die vom langjährigen Direktor geprägte Organisation heute in jener Gemeinde zu Hause, in der auch Hans Rudolf Gysin lebte und nun vor Wochenfrist verstarb.
Er bleibt in unser aller Erinnerung als ein Macher, der es schaffte, mit manchmal fast verwirrender Fertigkeit den «Paso doble» zwischen seinem Stützpunkt Liestal und dem bundespolitischen Echoraum in Bern zu nutzen. Dass er mitunter freisinnige Erwartungen seiner Parteigefolgschaft nicht mit gleicher Effizienz zu bedienen vermochte, sei auch nicht verschwiegen: Das machte ihn nur glaubwürdiger. Zu den Eigenschaften von Politikern gehöre eine grosszügig bemessene Portion Eitelkeit, wird gerade in Vorwahlphasen gerne kolportiert. Wer den Ex-Direktor der anfänglich eher bieder wirkenden gewerblichen Basisorganisation nur mit diesem Massstab zu messen versucht, kommt nicht zum Ziel. Hans Rudolf Gysins Wirken während 44 Jahren seines Lebens diente zu keiner Zeit der Selbstdarstellung, sondern von A bis Z dem grundsoliden Einsatz im Dienste des regionalen Nordwestschweizer Gewerbes.
Seine überragende Lebensleistung bestand darin, dass er Problemfelder reflexartig zu analysieren verstand und dass er zu deren zielführender Bearbeitung auf ein immer dichteres und stets verlässliches Netz von Mitarbeitenden und Gleichgesinnten zurückgreifen konnte. Diese Organisationsmethode des kombinierten Zupackens im Schutzraum maximaler Diskretion auf Gegenseitigkeit war die eigentliche Spezialität und Besonderheit seiner Arbeitsweise.
Dass selbst erfahrene Mit- und Gegenspieler hin und wieder glaubten, da sei ein Baselbieter Hinterbänkler für einen eingeschränkten Lokalkreis am Werk, das freute den Betroffenen erst recht. Er konnte bestens damit umgehen, dass man ihn unterschätzte, weil man seine vertraulich geführte Agenda nicht kannte. Entscheidend war immer, dass das Netzwerk hielt und dem Zweck der Übung bestmöglich diente.
Diesem Kern seines Erfolgs kam dem Direktor in verzwickten Situationen seine gewinnende Liebenswürdigkeit und lebensfrohe Genussfreude zustatten. Selbst mit hartnäckigen Meinungsdifferenzen vermochte er – ab Stufe Regierungsrat und Kantonsverwaltung bis zum Bundesrat samt Parteiwortführern – routiniert so umzugehen, dass bei Auseinandersetzungen nicht zwingend Verlierer präsentiert werden mussten.
Zu Hause im Baselbiet freute ihn ganz besonders, wenn man ihn verdächtigte, als sechster Regierungsrat den Takt der Kantonalpolitik zu bestimmen. Kurz und gut: Es war ein Privileg, Hans Rudolf Gysin, diesen routinierten Türöffner und Problemlöser, kennen zu dürfen und wirken zu sehen.
Die Wirtschaftskammer Baselland und ich als deren Ehrenpräsident danken Dir, dem hochverdienten Ehrendirektor, für das Vertrauen und die Kraft, die Du uns immer geschenkt hast. Das Gewerbe ist Dir zu grossem Dank verpflichtet und behält Dich und Dein Lebenswerk in bester Erinnerung. Der Trauerfamilie Gysin entbieten wir unsere aufrichtige Anteilnahme.
Andreas Schneider, Ehrenpräsident der Wirtschaftskammer Baselland