QUERPASS
24.08.2023 Region«Ich kann leider nicht …»
«Ich hatte keinen Bock. Dann habe ich gestoppt.» Wow, die Worte sassen. Die Schweizer Radrennfahrerin Marlen Reusser war im WM-Zeitfahren freiwillig vom Sattel gestiegen. Danach nannte sie in einem ehrlichen Interview den ...
«Ich kann leider nicht …»
«Ich hatte keinen Bock. Dann habe ich gestoppt.» Wow, die Worte sassen. Die Schweizer Radrennfahrerin Marlen Reusser war im WM-Zeitfahren freiwillig vom Sattel gestiegen. Danach nannte sie in einem ehrlichen Interview den Beweggrund ihres Aufgebens: «mentale Erschöpfung». Radrennfahrerin sei kein «Nine-to-Five-Job», sagte die Bernerin, «sondern viel cooler». Gewiss schätze sie den so unalltäglichen Alltag, «er hat sehr viel Positives, kostet aber auch sehr viel Energie». Und sie richte ihr ganzes Leben nach dem Leistungssport aus. «Meine Freunde können ein Liedlein davon singen, was das konkret bedeutet.»
Mental ausgelaugt? So fühlte sich auch Lia Wälti, die Capitaine des Schweizer Fussballnationalteams. Im Frühling nahm sie kurzerhand eine Auszeit. Und sprach danach ebenfalls über die Entbehrungen des Sportlerinnenlebens: dass sie den Fussball zwar liebe, aber seinetwegen auch viele Familienfeste und Geburtstage verpasse. Seit mehr als zehn Jahren spielt die heute 30-jährige Emmentalerin im Ausland.
Ein Liedlein singen können auch meine Freundinnen und Freunde samt meiner Familie. Wie oft gibt es von mir ein «Ich kann leider nicht …» als Antwort auf eine Einladung. Sportjournalistin ist das schiere Gegenteil eines Nine-to-Five-Jobs – kein Tag gleicht dem anderen, sehr oft bin ich unterwegs, stets sind die Arbeitszeiten unregelmässig. Das ist mithin, was ich daran so liebe! Aber Entbehrungen, die kenne ich. Allein in den vergangenen zwölf Monaten habe ich auf etliches verzichten müssen, an dem ich gern dabei gewesen wäre. Der Geburtstag meines Bruders Ende Juni fiel auf ein Testländerspiel des Nationalteams. Meine Teilnahme am Hochzeitsfest von Petra und Johanna musste ich absagen, weil ich an besagtem Samstag in Zürich arbeiten musste. Die Familienweihnacht wird ohnehin seit Jahren nach meinem Arbeitsplan ausgerichtet, Heiligabend ist längst nicht mehr heilig. Statt mit meinen besten Freundinnen beging ich den Jahreswechsel im Val Müstair mit einer SRF-Crew anlässlich der Tour de Ski. Und als meine Mutter kürzlich ihren 70. Geburtstag feierte, gratulierte ich von Neuseeland aus per Videocall. Das tat schon weh.
Trotzdem beklage ich mich keineswegs. Ich habe gelernt, zu verzichten und Prioritäten zu setzen. Nie und nimmer möchte ich einen anderen Beruf, die Arbeit macht mich glücklich und dankbar. Sie mag aussergewöhnlich sein. Aber sie ist aussergewöhnlich schön. Ich könnte ein Liedlein davon singen.
Seraina Degen (36) ist in Niederdorf aufgewachsen. Als Torhüterin spielte sie lange leidenschaftlich Fussball, heute bleibt sie beruflich am Ball – als Redaktorin bei SRF Sport.