Junge SVP ruft «Kulturkrieg» aus
31.08.2023 Politik, Wahlen, SchweizRede von Sissacher Nationalratskandidatin stösst auf Kritik
«Krieg», «Schlacht» und «Frontalangriff». Mit diesen Schlagworten beschreibt die Junge SVP nicht etwa die Situation in der Ukraine, sondern den laufenden Wahlkampf. Eine Rede, an der auch die Sissacherin Sarah Regez ...
Rede von Sissacher Nationalratskandidatin stösst auf Kritik
«Krieg», «Schlacht» und «Frontalangriff». Mit diesen Schlagworten beschreibt die Junge SVP nicht etwa die Situation in der Ukraine, sondern den laufenden Wahlkampf. Eine Rede, an der auch die Sissacherin Sarah Regez beteiligt ist, kommt nicht überall gut an.
Janis Erne
Die Swiss-Life-Arena in Altstetten, normalerweise Wirkungsstätte des Zürcher Eishockeyklubs ZSC Lions, war am vergangenen Samstag Schauplatz des SVP-Wahlkampfauftakts. Mittendrin eine Sissacherin: Sarah Regez, Nationalratskandidatin der Baselbieter Kantonalpartei. Voller Entschlossenheit betritt sie die Bühne und hält zusammen mit Nils Fiechter, dem Strategie-Chef der Jungen SVP Schweiz, eine Rede, die im Nachgang vielfach diskutiert und kritisiert werden sollte.
Vor dem Rednerduo sitzen rund 4000 SVP-Sympathisierende. Im Hintergrund sind ein Holzchalet, zwei riesige Schweizer Fahnen und eine Attrappe eines Bernhardiners zu sehen. Doch die Idylle trügt, wenn man den beiden Mitgliedern der Jungen SVP Glauben schenkt: «Die Schweiz ist nicht mehr länger die Schweiz.» In allen Lebensbereichen gehe es bergab, mahnt Fiechter mit epischer Musik hinterlegt. «Der gesellschaftliche Zusammenhalt, die wirtschaftliche Stabilität und unsere zukünftige Freiheit sind akut gefährdet.» Zudem schwinde die Neutralität und es gebe eine «ungebremste Masseneinwanderung».
Linksgrün als Sündenbock
Wer den angeblichen Niedergang der Schweiz verantwortet, ist für das Rednerduo klar: die «unfähige Classe Politique» – «eine kleine, elitäre Gruppe von Berufspolitikern», so Fiechter. Mucken die beiden Nachwuchspolitiker hier gegen die Alteingesessenen in ihrer Partei auf? Denn bekanntlich stellt die SVP ein Viertel der Mitglieder im Nationalrat, also der gescholtenen Classe Politique.
«Nein», sagt Sarah Regez auf Anfrage der «Volksstimme». Die Kritik richte sich primär an die Fraktionen der SP und der Grünen. Im Vergleich zur SVP habe es dort deutlich mehr Berufspolitiker, «die nicht wissen, woher das Geld kommt, das sie ausgeben», so die 29-jährige Studentin und Unternehmerin, die im Social-Media-Marketing tätig ist.
Demnach ist also Linksgrün für die «Misere» verantwortlich. Doch was will die Jungpartei dagegen tun? Abgesehen von den Forderungen eines zurückhaltenden Staates nach mehr Eigenständigkeit und Schutz der Landesgrenzen, fehlen in der Rede, die Regez und Fiechter gemeinsam geschrieben haben, konkrete Vorschläge weitgehend. Stattdessen wird impliziert, dass man zurück in eine Zeit will, in der nicht «tagtäglich Schweizerinnen und Schweizer angegriffen, ausgeraubt und vergewaltigt werden». In eine Zeit, in der «sich Frauen in einer Stadt wie Basel unbehelligt bewegen können». Und in eine Zeit, in der «uns niemand vorschreiben will, wie wir zu sprechen, zu leben und zu denken haben».
Die Oberbaselbieterin und der Berner Oberländer erhalten für diese Worte viel Applaus. Euphorisiert von der Musik und dem grossen Publikum, das die gesamte SVP-Prominenz vereinigt, setzt Fiechter zum Schluss an: «Das ist nicht irgendein Wahlkampf, es ist die Schlacht um die Seele unseres Landes. Es ist ein Krieg um unsere Kultur. Unsere Kinder – ob geboren oder ungeboren – zählen darauf, dass wir diesen Frontalangriff auf unsere Identität abwehren.»
Bereits 215 000 «Views»
Auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter), wo das Video der Rede bis gestern Nachmittag bereits 215 000 «Views» bekommen hat, empören sich zahlreiche Nutzer über die kriegerische Rhetorik. Einer schreibt: «Merkt ihr eigentlich nicht, wie falsch und übertrieben die Wortwahl ist? ‹Schlacht› und ‹Krieg› – und das in einer Zeit, in der echter Krieg in Europa herrscht.» Sarah Regez verteidigt die Rhetorik: Man habe die Begriffe nicht im Kontext des Ukraine-Krieges verwendet. Und man habe sie nicht erfunden, sondern lediglich aus dem ausländischen Sprachgebrauch übernommen. «Der Begriff ‹Culture War›, also Kulturkrieg, zum Beispiel wird im englischsprachigen Raum bereits seit einiger Zeit im politischen Diskurs verwendet», sagt sie.
Doch nicht nur die Wortwahl stört einige X-Nutzer. Auch die Tatsache, dass die Junge SVP die Schweizer Kultur für sich beanspruche, stösst vielen sauer auf. «Dieses Land gehört nicht der SVP. Es gehört der gesamten Schweizer Bevölkerung», schreibt jemand. Regez entgegnet: «Die Schweizer Kultur wird nicht von der SVP bestimmt, sondern ist historisch gewachsen.» Und weiter: «Wir als SVP wollen sie bewahren; die anderen Parteien nicht.»
Ein anderer X-Nutzer postete eine Fotomontage, die Donald Trumps schrilles Auftreten mit demjenigen der Jungen SVP vergleicht und zeigen soll, was viele Politbeobachter denken: Offenbar sind amerikanische Wahlkampfmethoden spätestens jetzt in der Schweiz angekommen. Methoden, die auf wenig Inhalt, dafür umso mehr auf Show und Drama beruhen. Frei nach dem Motto der Jungen SVP: «Wir gewinnen die Schweiz zurück!»
Regez sagt dazu, dass es in erster Linie um die politischen Inhalte gehe. Die Art der Vermittlung hänge dabei vom Zielpublikum, von der Botschaft und der zu erzielenden Wirkung ab. Klar ist: Die Aufmerksamkeit, welche die Junge SVP mit ihrer Rede erlangt hat, kommt ihr kurz vor den Wahlen wohl nicht ungelegen.