AHNIG VO BOTANIK
29.08.2023 BaselbietPolitisch korrekt?
Andres Klein
Im Moment werden die letzten Früchte der Kirschpflaume reif. Diese Wildpflaumenart hat von der Form her ähnliche Früchte wie unser wilder Kirschbaum. Die Früchte sind etwas grösser, die Stiele ...
Politisch korrekt?
Andres Klein
Im Moment werden die letzten Früchte der Kirschpflaume reif. Diese Wildpflaumenart hat von der Form her ähnliche Früchte wie unser wilder Kirschbaum. Die Früchte sind etwas grösser, die Stiele etwas kürzer. Der Geschmack und die Fruchtfarbe sind unterschiedlich. Die Früchte sind zuerst grün, dann gelb, und wenn sie überreif sind, weinrot. Am besten schmecken sie im späten Gelbstadium, sowohl frisch vom Baum, als Saft, als Schnaps oder als Konfitüre. Die Blätter der Kirschpflaume sind viel kleiner als bei der Kirsche, und an den Zweigen mit fast schwarzer Rinde wachsen Dornen. Dies deutet auf die Verwandtschaft zum Schlehdorn hin.
Eine typische Eigenschaft der Kirschpflaume ist: das Fruchtfleisch lässt sich sehr schwer vom Stein trennen. Vermutlich wegen dieser Eigenschaft wird diese Art daher selten in Gärten gepflanzt. Die Kirschpflaume wächst bei uns hie und da in Feldgehölzen oder höheren Hecken. Dieser Fruchtstrauch oder -baum kann mehr als fünf Meter hoch werden.
Auch wenn die Kirschpflaume selten in Gärten gepflanzt wird, kommt sie häufig in verwilderten Gärten in undurchdringlichen Gruppen vor. Wie kann das sein, wenn sie fast nie gepflanzt wird? Im Umfeld von Baumschulen wird die Kirschpflaume Myrobalane genannt. In diesen Schulen spielt diese Art in der Aufzucht von Bäumen eine wichtige Rolle. Sie wird häufig als Veredlungsunterlage von Pflaumen und Zwetschgen verwendet. Das bedeutet, auf ein junges Myrobalanen-Stämmchen werden Edelreiser der gewünschten Zuchtsorten gezweit. Alle Früchte oberhalb der Veredlungsstelle sind somit veredelte Zwetschgen oder Pflaumen. Verwildert nun ein Obstgarten, so wachsen Stamm- oder Wurzelausschläge viel schneller als die veredelten Teile und nehmen den «edlen» Trieben das Licht weg, was mit der Zeit zu deren Absterben führt. Zum Schluss wird das Gebüsch von den Kirschpflaumen dominiert und ist für uns Menschen und die einheimischen Tiere schwer passierbar und für Vögel ein sicherer Brutplatz mit gutem Futterangebot.
Als ich meiner Mutter ein paar Kirschpflaumen brachte, sagte sie: «Ah, das sind ja die Früchte, deren Namen man nicht mehr aussprechen darf!» Zuerst war ich richtig verblüfft und auch verunsichert. Seit Kind haben wir und die Leute in unserem Umfeld der Kirschpflaume immer «Judenchirsi» (Judenkirsche) gesagt. Warum sollte man diesen Namen nicht mehr aussprechen dürfen? Jude ist kein Schimpfwort, Judenkirsche ist nicht abwertend, sondern eine wertvolle einheimische Frucht. Der Name nimmt die Herkunft aus dem östlichen Mittelmeer auf, was ist daran schlecht? Darf ich jetzt auch nicht mehr Türkenbund-Lilie oder Christusdorn sagen? Für mich ist die Antwort klar, wenn ein Pflanzenname nicht eine Volksgruppe oder einzelne Menschen abwertet, dann brauche ich ihn, wie ich es gelernt habe.
So, nun esse ich einen Salat von Original Zürcher-Tomaten und nachher eine Berner Rose mit viel politischer Korrektheit!
Andres Klein ist Botaniker. Er lebt in Gelterkinden.