HERZBLUT
28.07.2023 GesellschaftDie lieben Nachbarn
Wer viel reist, begegnet zwangsläufig vielen Menschen, die ebenfalls reisen. Die Art der Begegnung hat beim Campen ihre eigenen Gesetzmässigkeiten. Manchmal steht man nur einen Tag nebeneinander, dann wieder sind es Wochen. Je nach Stell- oder ...
Die lieben Nachbarn
Wer viel reist, begegnet zwangsläufig vielen Menschen, die ebenfalls reisen. Die Art der Begegnung hat beim Campen ihre eigenen Gesetzmässigkeiten. Manchmal steht man nur einen Tag nebeneinander, dann wieder sind es Wochen. Je nach Stell- oder Campingplatz sind die Platzverhältnisse so eng, dass man den Nachbarn beim Zähneputzen zusehen und beim Schnarchen zuhören kann. Wenn die Chemie stimmt, dann ist das kein Problem. Dann wird aus der Platznot eine Tugend gemacht, die Tische aneinandergerückt und die Flasche Wein in die Mitte gestellt.
Stimmt die Chemie nicht, wirds schwierig. Ich habe schon eine Woche neben einem Ehepaar gestanden, das mich in der ganzen Zeit weder gegrüsst noch sonst beachtet hat. Mein demonstratives «Guten Morgen» wurde nicht beachtet. Nach drei Tagen lagen meine Nerven blank. War irgendetwas an mir, das diese Reaktion hervorrief? Oder hatte ich mich falsch verhalten? Meinen Stuhl zu nahe an die Parzellengrenze gestellt? Die Musik zu laut gehört? Als das Paar begann, Tücher an die Markise zu hängen, um ihren Bereich gegenüber meinem abzugrenzen, reichte es mir. Und damit sind wir bei einem der Vorzüge, die das Campen mit sich bringt: Ist Ihr Nachbar ein Idiot, zeigen Sie ihm den Stinkefinger und suchen sich einen schöneren Platz mit netteren Menschen.
Davon gibt es reichlich. In der Regel kommt man unter Campern schnell ins Gespräch, tauscht sich aus und hat eine gute Zeit miteinander. Die meisten dieser Begegnungen bleiben oberflächlich, was nicht negativ zu bewerten ist. Denn man kann unmöglich mit allen in Kontakt bleiben, mit denen man in Ferienlaune ein Glas Wein getrunken und einen lustigen Abend verbracht hat.
In den vergangenen drei Jahren sind auch Freundschaften entstanden, die über das Reisen hinaus Bestand haben. Oder es haben sich kleine Gruppen gebildet, mit denen ich immer wieder für einige Zeit unterwegs bin. Wenn mich jemand fragt, wie ich das aushalte, so alleine unterwegs, dann ist meine Standardantwort: «Ich bin immer nur dann alleine, wenn ich es sein will.»
Und manchmal möchte ich das ganz einfach, alleine sein. Nur blöd, wenn der Nachbar meint, er müsse mich aus meiner trostlosen Einsamkeit herausholen. Ein Ehepaar hat mich zu einem Ausflug in die Markthallen des Ortes überredet. Das war nett, so für zwei, drei Stunden. Danach ging mir seine penetrante Besserwisserei so auf den Keks, dass ich mich für den Rest des Tages im Camper verkroch. Natürlich nur, um am nächsten Morgen zu hören, dass sie es sich nicht vorstellen könnten, an einem so schönen Ort den ganzen Tag im Camper zu hocken. Und ob ich abends mit ihnen ins Fischrestaurant kommen wolle? Ähh, nein! Ihr seid unausstehlich. Lasst mich in Ruhe! Das habe ich natürlich nicht gesagt, ich bin ja kein Unmensch. Als sie mich später ganz alleine an einem Cafétisch im Ort sitzen sahen, war ihnen wohl klar, dass ihre Anwesenheit nicht zu meinem Glück beitrug. Am folgenden Tag waren sie auf dem Weg zu einem neuen Campingplatz mit netteren Nachbarn.
Yvonne Zollinger ist ehemalige «Volksstimme»- Redaktorin und lebt in ihrem Wohnmobil.