AUSGEFRAGT | THOMAS VON FELTEN, HAUPTABTEILUNGSLEITER BERUFSBILDUNG BL
26.05.2023 Gesellschaft«Es gilt, das vorhandene Potenzial weiterzutragen»
Die Hauptabteilung Berufsbildung der kantonalen Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD) mit Leiter Thomas von Felten will die berufliche Grundbildung weiter stärken. Dabei will sie aufzeigen, dass der ...
«Es gilt, das vorhandene Potenzial weiterzutragen»
Die Hauptabteilung Berufsbildung der kantonalen Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD) mit Leiter Thomas von Felten will die berufliche Grundbildung weiter stärken. Dabei will sie aufzeigen, dass der Weg über die Berufslehre eine gute Alternative zum gymnasialen Weg darstellt.
Willi Wenger
Herr von Felten, Sie unternehmen viel, um die Berufsbildung im Baselbiet zu fördern. Zum Beispiel mit der Berufsschau oder mit Aktivitäten an Schulen. Ein Erfolg Ihrer Bemühungen ist sicher, dass sich die Lehrstellensituation entspannt hat. Wie viele Lehrstellen sind zurzeit im Baselbiet noch offen und welche Berufe sind hauptsächlich betroffen?
Thomas von Felten: Aktuell sind im Kanton noch gut 850 Lehrstellen offen. Ich muss gleichzeitig aber relativieren, weil die Erfahrung zeigt, dass bis Mitte August, also bis Lehrbeginn, noch gut 600 von den erwähnten 850 Lehrstellen besetzt werden können. Im Moment ist es so, dass ein Überangebot an Lehrstellen besteht. Aktuell sind bereits 1390 Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. Dies ist der höchste Wert seit dem Jahr 2011 zur gleichen Zeit. Am meisten offene Stellen, nämlich deren 65, hat es im Bereich des Detailhandels. Die Kaufleute und die Fachleute Gesundheit folgen mit je 53, die Elektroinstallateure mit 47 und die Köche sowie Chemielaboranten mit je 26 offenen Lehrstellen.
Stimmt der Eindruck, dass die Mittelschulen im Vergleich zur Berufsbildung deutlich im Vorsprung liegen?
Nein, das stimmt so nicht. Die weiterführenden Schulen verzeichneten zwar in den vergangenen 20 Jahren einen leichten Zuwachs von rund 3 Prozent. Auf der anderen Seite ist die Zahl bei der beruflichen Grundbildung konstant geblieben. Abgenommen haben Zwischenlösungen wie die Brückenangebote. Im Kanton Baselland liegt der Anteil der jungen Erwachsenen, die von der obligatorischen Schule in weiterführende Schulen gehen, bei rund 37 Prozent, während die Zahl bei der Berufsbildung bei 58 Prozent liegt. Zum Vergleich: In Basel-Stadt liegen diese Werte bei je 45 Prozent. Sie sehen also, dass im Baselbiet die Mehrheit weiterhin den Weg über die Berufsbildung beschreitet. Im Vergleich zu den anderen Deutschschweizer Kantonen haben wir aber einen tiefen Wert bei der beruflichen Grundbildung. Es sind daher von allen Seiten grosse Anstrengungen zu unternehmen, um die Attraktivität und die guten Karrierechancen auf der Basis einer Berufslehre besser zu vermitteln.
Was müssen Lehrbetriebe tun, um für Lehrstellensuchende attraktiver zu sein?
Grundsätzlich gilt es, das vorhandene positive Potenzial der Berufsbildung weiterzutragen. Ausbildungsbetriebe, die den Wert der Berufsbildung durch ihr tägliches Engagement und ihre positive Aussenwirkung aufzeigen, sind mehr wert als jede Imagekampagne. Seitens des Kantons ist wichtig, dass wir die Eltern in geeigneter Form bereits in der Primarstufe über die verschiedenen Laufbahnwege informieren. Das Bildungssystem ist heute durchlässiger denn je und bietet zahlreiche Möglichkeiten zur flexiblen, individuellen und selbstbestimmten Gestaltung der eigenen Laufbahn. Alle Bildungs- und Berufswege sowie die damit verbundenen Abschlüsse haben ihre Berechtigung und sind immer wertneutral darzustellen.
Welches sind die hauptsächlichen Männer- und Frauenberufe?Was wollen die Schülerinnen, was die Schüler der Sekundarstufe I werden?
Im Ganzen gibt es gegen 300 verschiedene Berufslehren. Im Sommer vergangenen Jahres haben sich im Kanton 70 Prozent der 775 jungen Frauen, die eine Lehre begonnen haben, auf zehn Berufe konzentriert. Dies sind Berufe im Detailhandel und im kaufmännischen Bereich sowie im Gesundheitswesen. Im Vordergrund stehen bei Mädchen fraglos soziale Berufe und Berufe mit Kontakt zu Menschen. Die Berufswahl der jungen Männer verteilt sich auf viel mehr Berufe, insbesondere auch auf handwerklich-technische Berufe wie Logistiker, Informatiker, Automatiker, Elektroniker, Polymechaniker oder Elektroinstallateur. In diesen Berufen beträgt der Anteil von Frauen oft nur wenige Prozente.
Hatte die Pandemie einen Einfl uss auf die Berufswahl in der jüngsten Vergangenheit?
Ja, so beispielsweise in den Gesundheitsberufen. Dort wurden während dieser Zeit die enorme Belastung und die schlechten Arbeitsbedingungen oft in den Medien thematisiert. Dies hat dem Image der Gesundheitsberufe geschadet und beeinflusst Jugendliche heute noch bei der Berufswahl. Im Gastgewerbe registrierten wir ebenfalls einen Negativtrend. Dort stand der Abschluss von Lehrverträgen für Unternehmen – bei behördlich angeordneten Betriebsschliessungen während der Pandemie-Zeit – verständlicherweise nicht mehr im Vordergrund.
Wie stellt sich auf der anderen Seite die Lehrstellensituation in der dar?
Sehr erfreulich. Seit gut zehn Jahren schliessen wir im Baselbiet jährlich gut 50 Ausbildungsverträge im Beruf Landwirt EFZ ab. Im vergangenen Jahr waren es sogar 55. Im gleichen Zeitraum haben jährlich auch einige Agrarpraktiker mit dem Ziel eines Berufsattestes ihre Lehrzeit begonnen.
Zur Person
en. Thomas von Felten ist 60 Jahre alt und seit 2019 in der Dienststelle Berufsbildung, Mittelschulen und Hochschulen der BKSD tätig. Er übernahm vergangenen Sommer die Leitung der Hauptabteilung Berufsbildung mit der betrieblichen Ausbildung, dem Zentrum Berufsintegration, der Koordinationsstelle Brückenangebote und den Ausbildungsbeiträgen. Er ist in Trimbach (SO) aufgewachsen, von wo aus er später das Wirtschaftsgymnasium in Olten besuchte. Er liess sich an der Universität Bern zum Sekundarlehrer in den Fächern Mathematik, Geografie und Sport ausbilden. Von Felten war während 20 Jahren zuerst Lehrer und dann Schulleiter an der Oberstufe in Schönenwerd (SO), ehe er 2009 als Schulleiter an die Sekundarschule Pratteln wechselte. Dort war er von 2014 bis zum Wechsel in die Bildungsverwaltung Präsident der kantonalen Schulleitungskonferenz der Sekundarschulen. Von Felten, der in der Freizeit gerne kulturelle Veranstaltungen verschiedenster Art besucht und sich sportlich betätigt, wohnt in Basel.