«Es war Liebe auf den ersten Blick»
06.04.2023 RegionLine Dance | Heidi Gysin hat eine Schwäche für Country-Musik und Cowboys
Vor über 20 Jahren hat Heidi Gysin ihre grosse Leidenschaft entdeckt: Line Dance. Heute unterrichtet sie im eigenen Studio in Sissach. In der Schweiz werde dieser Sport oft ...
Line Dance | Heidi Gysin hat eine Schwäche für Country-Musik und Cowboys
Vor über 20 Jahren hat Heidi Gysin ihre grosse Leidenschaft entdeckt: Line Dance. Heute unterrichtet sie im eigenen Studio in Sissach. In der Schweiz werde dieser Sport oft belächelt, sagt sie. «Doch ich bin davon angefressen.» Line Dance biete auch für Nichttänzer viele Vorteile.
Luana Güntert
«Und eins, zwei, drei, vier» gibt ein Schildchen im dritten Stock eines Gebäudes neben dem Sixmadun-Areal in Sissach den Takt an. Dieser Raum in diesem unscheinbaren Industrie-Bau ist das zweite Wohnzimmer von Heidi Gysin aus Gelterkinden. Fast täglich unterrichtet die sich seit Kurzem im AHV-Alter befindende Tanzlehrerin Line Dance – ihre grosse Liebe.
Doch wie kommt man in einem Land, in dem man Country-Musik, Cowboys und Saloons hauptsächlich aus Filmen kennt, zu diesem Sport? Als 42-Jährige besuchte sie spontan mit ihrer Tochter und einer Freundin den Kulturabend im Marabu, an dem verschiedene Tanzshows vorgeführt wurden. Der Zufall wollte es, dass die drei die einzigen anwesenden Gäste waren – und deshalb von den Tänzern aufgefordert wurden, mitzumachen. Als dann eine Line-Dance-Gruppe mit ihrer Choreografie begann, war Gysin hin und weg: «Es war Liebe auf den ersten Blick», sagt sie. Neben der Musik gefällt Gysin, die früher bereits Rock ’n’ Roll getanzt hat, die Ausgangslage des Line Dances: Man braucht keinen Partner.
Von der Schülerin zur Lehrerin
Nach der Entdeckung ihrer neuen Liebe wollte Heidi Gysin den Tanzstil unbedingt erlernen. Ihren ersten Unterricht erhielt sie im «Kentucky Saloon», einem Steakhouse und amerikanischen Restaurant in Pratteln. Das neue Hobby schien ihr jedoch nicht nur Spass zu machen, sie schien auch talentiert zu sein: «Nach einem Jahr wurde ich angefragt, ob ich in einem Tanzstudio in Gelterkinden selber unterrichten möchte», sagt sie.
Seit rund 15 Jahren hat Gysin ihr eigenes Tanzstudio in Sissach, das sie zusammen mit einer Kirche teilt. Die Sissacher Tänzer sind bekannt unter dem Namen «Aloha Line Dancers». Daneben unterrichtet sie in einem gemieteten Saal in Reinach noch zwei weitere Gruppen. Die meisten ihrer «Schützlinge» sind Frauen; die Jüngste ist 26 und die Älteste 82 Jahre alt. «Der Grossteil ist aber zwischen 50 und 75 Jahre alt», sagt Gysin.
Verzerrtes Image
Um auf dem neusten Stand zu sein, bildet sich Heidi Gysin regelmässig weiter. So war sie schon mehrmals auf einer Kreuzfahrt mit anderen Line-Dance-Fans und besuchte in Florida Technik-Trainings. «In den USA waren auch viele Junge dabei, das war toll. Bei uns wird Line Dance oft belächelt», sagt sie. Das Image des Sports scheint bei vielen Schweizern auch etwas verzerrt zu sein. «Wir tanzen nicht oft mit Cowboy-Hüten, Gilets und Stiefeln», sagt Gysin. Auch die Musik sei oft nicht «typische» Country-Musik, obwohl Gysin sich selber schon als Fan dieser Musikrichtung bezeichnet. An Auftritten und Festen kleiden sich die «Aloha Line Dancers» jedoch gerne passend im Country-Stil.
Schon immer hatte die 66-Jährige Freude an der Bewegung, doch die Vielseitigkeit schätzt sie besonders am Line Dance. Auch das intensive Erleben der Musik und sich dem Rhythmus hingeben zu können faszinieren sie. Die meisten Choreografien sucht Gysin im Internet und tanzt sie dann nach. Das Schwierige daran ist, die Tänze auf die verschiedenen Level ihrer Tanzgruppen abzustimmen. Auch das Niveau innerhalb einer Gruppe kann unterschiedlich sein. «Die Choreografie sollte einen weder unter- noch überfordern», sagt Gysin.
Nicht nur von links nach rechts
Neben dem sportlichen und musikalischen Aspekt erkennt Heidi Gysin an ihrer Leidenschaft viele weitere Vorteile. Für ältere Personen sei das Erlernen der Choreografie hilfreich, um geistig fit zu bleiben. Auch das Gesellschaftliche kommt in Heidi Gysins Tanzunterricht nicht zu kurz. Neben den wöchentlichen Lektionen gehen die «Aloha Line Dancers» regelmässig an Tanz-Partys und Auftritte. Auch an Flashmobs, also ein scheinbar spontaner Menschenauflauf und gemeinsames Tanzen an öffentlichen Plätzen, waren die Sissacher bereits dabei. «Unsere Auftritte sind jeweils total verschieden. Wir haben schon in kleinen Waldhütten getanzt, aber auch schon in Schlössern», sagt Gysin. Das Gelernte aus dem Line-Dance-Unterricht könne zudem an «externen» Veranstaltungen genutzt werden. «An einem Fest will man oft tanzen. Wenn man das aber nicht kann, macht man einfach kleine, unauffällige Schritte. Von links nach rechts und wieder zurück», sagt sie. Der Unterricht helfe den Schülerinnen, dass sie auf allen Tanzflächen eine gute Figur machen.
Nach über 20 Jahren in der Line-Dance-Szene und vielen tollen Erinnerungen fällt es Heidi Gysin schwer, sich auf ein Highlight ihrer Karriere festzulegen. Trotzdem gibt es Momente, an die sie heute noch gerne zurückdenkt: «Ich habe jahrelang denselben Charleston getanzt, der mir schon etwas zum Hals heraushing», erklärt Gysin. Als sie dann mit ihrer Gruppe in die Ostschweiz an eine Line-Dance-Party in einem Saloon fuhr, erklang genau dieses Lied für den Charleston-Tanz. «Plötzlich stand neben mir ein grosser, hübscher Cowboy, da habe ich natürlich direkt mitgetanzt», sagt Gysin und lacht. Nach dem Lied habe sie den Cowboy gefragt, ob seine Waden nicht auch brennten. «‹Wiene More› hat er geantwortet. Das war ein so schöner Abend und seitdem tanze ich wieder gerne Charleston», sagt Gysin und lacht erneut.
Ein weiterer Höhepunkt war ihre erste Line-Dance-Party, die damals vom Schweizer Dachverband im Zofinger Stadtsaal organisiert wurde. «Ich konnte erst wenige Tänze», sagt Gysin. Nichtsdestotrotz habe sie vom Mittag bis Mitternacht in ihren Stiefeln getanzt, da sie so angefressen gewesen sei. Auf dem Heimweg wurde sie von brennenden Fusssohlen geplagt und war froh, endlich sitzen zu können. «Ich war ein verrücktes Huhn.»
Trotz ihres Pensionsalters denkt Gysin nicht ans Aufhören. «Meine Schülerinnen und ich freuen uns immer so fest aufs Tanzen, das würde ich nicht übers Herz bringen», sagt Gysin. Aufgrund ihrer Sehnenentzündung könne sie jedoch nicht mehr bei allen Choreografien so intensiv mittanzen wie früher. Doch Line Dance hat sie im Blut – und möchte weiterhin Tanzschüler mit ihrer Leidenschaft anstecken.