Die A22 soll vom Erdboden verschwinden
02.02.2023 Bezirk Liestal, LausenPolitikerinnen und Politiker fordern einen neuen Tunnel
Die A22 im Bereich der Umfahrungsstrasse von Liestal und Lausen soll unter dem Boden verschwinden. Dies fordern die Behörden von Liestal und Lausen. Und mit ihnen die politisch erstaunlich breit abgestützte ...
Politikerinnen und Politiker fordern einen neuen Tunnel
Die A22 im Bereich der Umfahrungsstrasse von Liestal und Lausen soll unter dem Boden verschwinden. Dies fordern die Behörden von Liestal und Lausen. Und mit ihnen die politisch erstaunlich breit abgestützte Interessensgemeinschaft «A22 unter den Boden».
David Thommen
Eine grössere Zahl von Journalistinnen und Journalisten war der Einladung der Interessensgemeinschaft (IG) «A22 unter den Boden» nach Liestal gefolgt. Dem Komitee gehören Daniel Spinnler, Stadtpräsident von Liestal, und Peter Aerni, Gemeindepräsident von Lausen, an, dazu zahlreiche Landund Liestaler Stadträte verschiedenster Parteien sowie die Nationalrätinnen Sandra Sollberger (SVP) und Florence Brenzikofer (Grüne). Die IG ist also breit abgestützt. Unter anderem ergriffen am Rand der lärmigen Umfahrungsstrasse mit Sollberger und dem Liestaler Stadtbaumeister und SP-Landrat Thomas Noack zwei Konkurrenten im derzeitigen Regierungsratswahlkampf das Wort, um für einmal am gleichen Strick in die gleiche Richtung zu ziehen.
Der Komiteename «A22 unter den Boden» war schon fast die ganze Botschaft dieses Medienanlasses. Darüber, wie der Bund die Forderung umsetzen soll, wurde kaum ein Wort verloren. Mit gutem Grund: An dieser Frage hatte sich die Politik erstmals schon in den 1950er-Jahren, als es noch um die Linienführung der Autobahn gegangen war, die Zähne ausgebissen. Man beschloss letztlich resigniert, Liestal wegen der engen Platzverhältnisse nicht direkt ans Autobahnnetz anzuhängen und wich auf die Route via Augst und Arisdorf aus. Liestal erhielt 1970 als Trostpflaster die ungeliebte Umfahrung, auf der heute täglich 30 000 Autos verkehren. Zuvor war der Transitverkehr zwischen Hamburg und Palermo durchs «Törli» in der historischen Liestaler Altstadt abgewickelt worden.
Liestal und Lausen leiden
Die Umfahrungsstrasse mit zwei Spuren im Gegenverkehr ist über weite Strecken auf Pfählen über der Ergolz gebaut worden. Der Verdacht, dass es sich hierbei um eine ziemliche Fehlplanung handeln könnte, gab es bereits während der Projektierung in den 1960er-Jahren. Mangels finanzieller Mittel bot sich aber keine bessere Alternative an. Der Plan eines Tunnels durch den Schleifenberg hatte sich bereits im Zusammenhang mit der Autobahnplanung zerschlagen: Die Geologie wurde als zu schwierig und die Baukosten als zu hoch erachtet. Liestal und Lausen, die seither von der Schnellstrasse durchschnitten werden, leiden auch heute noch unter diesem Entscheid.
Dort gehöre keine Umfahrung mehr hin, sagte der Liestaler Stadtpräsident Spinnler am Dienstag. Die Strasse verursache Lärm, zerschneide das Siedlungsgebiet und beraube Liestal und Lausen der Ergolz. Der Gewässerraum ist in beiden Gemeinden kaum zugänglich, dabei wäre gerade in der Nähe des Gitterli-Bads, wo Frenke und Ergolz zusammenfliessen, eine recht attraktive Auenlandschaft vorstellbar. Thomas Noack zeigte Visualisierungen, die Liestal ohne diese Strasse samt Zufahrten zeigen. Die Ergolz wäre demnach ein Naherholungsgebiet.
Langfristig müsse die historische Fehlplanung beseitigt werden, so Spinnler. Die IG erhebe ihre Forderung ab heute lautstark, damit irgendwann in 30 oder 40 Jahren eine bessere Strassenführung umgesetzt werden könne. Er hoffe, dies noch zu erleben – und einmal vom Altersheim aus auf die befreite Ergolz blicken zu können, meinte er.
Sollberger sagte, dass die Bevölkerung und der Kanton Baselland – namentlich der Grünen-Baudirektor Isaac Reber – nun grossen Druck aufsetzen müsse, damit der neue A22-Tunnel beim Bund in die Bauprogramme der Zukunft aufgenommen werde. Viel mehr als aktives Lobbying bleibt den Baselbieterinnen und Baselbietern nicht. Der Kanton hat seine Hochleistungsstrassen vor einiger Zeit an den Bund abgetreten. Man versprach sich dadurch Kosteneinsparungen, hat aber auch die direkte Mitsprache eingebüsst.
Sollberger sprach von einem Marathonlauf, der nun beginne. Es werde viel Energie der Akteurinnen und Akteure auf politischer Ebene brauchen, denn die Konkurrenz durch Strassenprojekte aus anderen Regionen der Schweiz sei gross – und die Bundesmittel sind bekanntlich immer zu knapp bemessen, um alle Wünsche erfüllen zu können.
Nicht mehr Strassenkapazität
Eher erstaunlich ist, dass die Allianz für das Strassenbauprojekt von SVP bis Grünen reicht. Dies sei nur so, weil es sich nicht um einen Strassenausbau handle, sagte der SP-Regierungsratskandidat und Liestaler Stadtbaumeister Thomas Noack gegenüber der «Volksstimme». Die A22 unter dem Boden solle gemäss der jetzigen Forderung auch weiterhin nur eine Spur in jede Richtung aufweisen. Ob die Ansichten darüber zu einem späteren Zeitpunkt bei weiter wachsendem Verkehr nicht auseinandergehen werden, wird sich zeigen. Ganz offensichtlich wurde am Dienstag auch, dass sich die Koalition der Willigen in diesem frühen Stadium nicht durch einen Streit um Varianten spalten lassen will. Man überlasse es ganz den Ingenieuren des Bundes, die beste Linienführung zu finden, hiess es. Denkbar wäre aus heutiger Sicht ein Versenken der Strasse im Talboden entlang der jetzigen Route. Oder aber tatsächlich eine Neuauflage des Schleifenbergtunnels, bei dem die Strasse ab dem Schönthaltunnel bei Füllinsdorf in den Berg einbiegt, Liestal und Lausen unter dem Sonnenhang unterquert und erst wieder zwischen Lausen und Itingen oder sogar zwischen Itingen und Sissach wieder ans Tageslicht kommt. Wobei der Anschluss an die beiden Frenkentäler wohl wie heute im Bereich Altmarkt hergestellt werden müsste. Bereits früher einmal gab es zusätzlich die Idee, mit einem Abzweiger aus einem neuen Schleifenbergtunnel heraus sogleich auch noch Arisdorf anzubinden.
Der Lausner Gemeindepräsident Peter Aerni zuckte bei der Frage nach seiner bevorzugten Variante mit den Schultern. Auch er wolle den Bescheid der Fachleute abwarten. Er persönlich könne sich aber gut vorstellen, dass ein Tunnel unter dem Talboden – unter der Ergolz – einfacher zu realisieren wäre als eine Bergvariante. Wenngleich es auch im dicht besiedelten Tal zahlreiche bauliche Knacknüsse gebe. Zum Beispiel, wo aus dem Untergrund heraus die Ein- und Ausfahrten in Liestal und Lausen realisiert werden können. Dafür braucht es voraussichtlich einiges an Platz. Lausen habe aber jedes Interesse daran, dass gehandelt werde. Den Raum, den die A22 heute im Zentrum des wachsenden Dorfs einnimmt, könne man deutlich besser für Natur und Siedlung nutzen.
Zuerst die grosse Sanierung
Während es bei der Pressekonferenz der neuen IG vorweg um Pläne weit in der Zukunft ging, rückt ein anderes Grossprojekt in gleichem Zusammenhang mit grossen Schritten näher. Und zwar muss die A22 auf der weiten Strecke von Lausen (Ausfahrt nähe Lidl) und dem Schönthaltunnel bei Füllinsdorf umfassend instand gestellt werden. Die Lebensdauer der Strasse, die nach dem Willen der IG später verschwinden soll, wird damit um wohl 20 Jahre verlängert.
Die Fahrbahn über der Ergolz ist heute teilweise so marode, dass sie vor einiger Zeit bereits notsaniert werden musste, denn sie drohte an den Rändern abzubrechen. Wie das anstehende Sanierungsprojekt genau aussieht, ist gemäss dem Liestaler Stadtpräsidenten Spinnler noch nicht bekannt. Baustart dürfte dem Vernehmen nach 2028 sein. Eine jahrelange Totalsperrung der Schnellstrasse und die Umleitung des Verkehrs durch das Siedlungsgebiet hätte laut Spinnler in der Baselbieter Hauptstadt ein «Chaos» oder sogar einen «Kollaps» zur Folge. Offenbar prüfe der Bund, wie eine Totalsperrung vermieden werden kann, sagte der Lausner Gemeindepräsident Peter Aerni am Rand der Medienkonferenz. Zumindest theoretisch infrage komme eine Notbrücke über der jetzigen Strasse.
So oder so sind Noack, Spinnler und Aerni eher pessimistisch, was das Resultat der anstehenden Sanierung der A22 betrifft. Vor allem bezüglich Lärmschutz: Und zwar lasse es die Statik der Konstruktion über der Ergolz vermutlich nicht zu, dass dort wirksame Lärmschutzwände neuerer Generation montiert werden können – diese seien zu schwer. Selbst der Einbau eines Flüsterbelags ist dem Vernehmen nach mit einer zu hohen Gewichtsbelastung für die eher schmächtigen Stelzen in der Ergolz verbunden. Der Lärm werde also belastend bleiben, solange diese Strasse existiere. Umso eindringlicher müsse die Forderung an den Bund gestellt werden, er solle die A22 vom Erdboden verschwinden lassen.
Visualiserungen zu Liestal ohne A22 sind unter www.ig-a22.ch zu finden.