«Mehr Schreibarbeiten als auf Patrouille»
06.01.2023 BaselbietBaselbieter Polizeikommandant Mark Burkhard fordert mehr Stellen für das Polizeikorps
Mark Burkard ist seit bald zehn Jahren Polizeikommandant des Kantons Baselland. In seinem Jahresrückblick bezeichnet er das friedlich verlaufene Eidgenössische Schwingfest als Höhepunkt. Sorgen ...
Baselbieter Polizeikommandant Mark Burkhard fordert mehr Stellen für das Polizeikorps
Mark Burkard ist seit bald zehn Jahren Polizeikommandant des Kantons Baselland. In seinem Jahresrückblick bezeichnet er das friedlich verlaufene Eidgenössische Schwingfest als Höhepunkt. Sorgen bereiten ihm die Personalsituation bei der Polizei und der abnehmende Sinn in der Bevölkerung für das Gemeinwohl.
André Frauchiger
Herr Burkhard, welches waren für Sie im Jahr 2022 die Höheund Tiefpunkte in Ihrer Arbeit?
Mark Burkhard: Einer der Höhepunkte war sicher das Eidgenössische Schwingfest in Pratteln, bei dem fast das ganze Polizeikorps im Einsatz war. Bei den Vorbereitungsarbeiten standen Sicherheitsfragen im Vordergrund. Das Fest verlief sehr friedlich, mit mehreren Hunderttausend Zuschauerinnen und Zuschauern. Meine Kontakte und Begegnungen mit der Bevölkerung waren grossartig. Man hätte meiner Meinung nach ruhig noch länger feiern können. Ein zweiter Höhepunkt war meine Teilnahme an einer Sicherheitskonferenz in New York, wo alle Polizeichefs der Welt eingeladen waren. Die Versammlung im grossen Plenarsaal der UNO war einmalig und spannend.
Nur Höhepunkte?
Eigentliche Tiefpunkte in unserer polizeilichen Arbeit gab es nicht. Ein persönlicher Tiefpunkt für mich war der Angriff von Russland auf die Ukraine. Menschen schaffen es immer wieder, die Aufbauarbeit von Jahrzehnten innert kürzester Zeit zu zerstören. Bei der Energiekrise habe ich bemängelt, dass wir es an der politischen Weitsicht haben fehlen lassen – wir sind planlos reingerutscht.Vielleicht braucht es auch in der Schweiz Think-Tanks, welche die Regierung kompetent beraten.
Die Lehren daraus?
Eine Lehre ist: Ich versuche, das Polizeikorps möglichst flexibel für die Bewältigung der unterschiedlichsten Probleme zu halten. Zum Beispiel muss die Kriminalpolizei weiterhin Uniformen für Ausseneinsätze haben. Denkbar wären in der Zukunft Unruhen in der Bevölkerung oder gar Plünderungen, falls sich die Versorgungsprobleme zuspitzen sollten. Das Polizeikorps muss im polizeilichen, rechtsstaatlichen Rahmen auf alle Ereignisse reagieren können. Zudem braucht die Polizei eine möglichst unabhängige Infrastruktur, denn die Funktionsfähigkeit muss immer gewährleistet sein. So braucht es zum Beispiel eine eigene Notstromversorgung. Wir sind diesbezüglich heute schon ziemlich gut aufgestellt.
Sie sprachen gerade von möglichen Unruhen und Plünderungen. Gibt es für solche Situationen spezielle Schulungen für Polizisten?
Nein, nicht spezifisch. Die Polizistinnen und Polizisten sind grundsätzlich auch für schwierige Situationen geschult. Hier geht es nicht um die Art, sondern um das Ausmass von solchen Ereignissen.
Sie haben aber für solche Fälle zu wenige Polizistinnen und Polizisten?
Ja, das ist so.
Woran liegt das? Ist die Polizeiarbeit zu unattraktiv?
Die erste Frage ist: Haben wir genug Stellen? Und zweitens: Gibt es genug interessierte Personen für den Polizeiberuf? Ja, es ist richtig, wir haben tatsächlich viel zu wenige Stellen bei der Polizei. Dafür aber immer mehr Aufgaben. Die Strafprozessordnung wurde leider gerade zu unseren Ungunsten angepasst. Unsere Leute haben immer mehr Büroarbeiten zu verrichten, sie sind immer weniger operativ tätig. Sie haben Einvernahmen und Ermittlungen zu tätigen. Zu wenig gemacht wird grundsätzlich bei der organisierten Kriminalität, bei Delikten im Bereich von Umwelt und Tierschutz, beim Menschenhandel und bei Wirtschaftskriminalität. Es gibt immer mehr Aufgaben, für die wir das Personal nicht haben. Wir erarbeiten deshalb für das nächste Jahr eine Vorlage an den Baselbieter Landrat für eine nachhaltige Aufstockung des Personals. Wir sind auf dem Arbeitsmarkt attraktiv, haben praktisch Vollbestand bei den bestehenden Stellen. Die Anforderungen bei der Rekrutierung werden nicht gesenkt. Wir investieren in den letzten Jahren viel in unsere Betriebskultur, in gezielte Weiterbildungsmöglichkeiten und überlegen uns im Moment gerade weitere Massnahmen zur Frauen- und Familienförderung.
Wie gross ist das Polizeikorps?
Das Polizeikorps Baselland zählt 630 «Köpfe», aufgeteilt auf 555 Vollzeitstellen. Im Moment läuft eine Studie über die notwendige Stellenaufstockung. Die Forderung nach mehr Personal bei der Polizei muss gut begründet werden. Mehr kann ich heute darüber noch nicht sagen.
Polizeiposten haben Sie im abgelaufenen Jahr keine geschlossen?
Wir reduzierten sie in der Vergangenheit von 16 auf 9 Polizeiposten. Zweimal mussten wir in diesem Jahr temporär die einzelnen Polizeiposten für einen Tag in der Woche schliessen, aus Personalmangel. Wir mussten immer wieder Einschränkungen beim Angebot für die Bevölkerung machen, was ich grundsätzlich nicht gut finde. Ganz klar: Angebote werden nur temporär eingeschränkt. Auf temporäre Schliessungen hatten wir auch keine direkten Reklamationen. Ich möchte das Grundangebot aber nicht weiter einschränken. Wir müssen verfügbar sein, auch beim Grundangebot. Wir haben zu wenige Leute bei der Sicherheitspolizei, zu wenig in der Ermittlung, die 20 Stellen im Cyber-Bereich sind ebenfalls bereits wieder knapp, auch bei der Verkehrspolizei sind wir im Personellen knapp – fast überall!
Wie sind Ihre Erfahrungen mit den mobilen Polizeipatrouillen?
Wir hatten das Ziel, die Patrouillen zu steigern, um 18 Prozent. Im Gegenzug wurden Polizeiposten geschlossen. Die Steigerung bei der Anzahl Patrouillen betrug effektiv gar 30 Prozent. Die Patrouillen sind stark ausgelastet, aber das Personal ist heute leider mehrheitlich drinnen mit Schreibarbeiten beschäftigt, anstatt draussen auf Patrouille zu sein.
Was sind die Gründe für den administrativen Mehraufwand?
Die Strafprozessordnung ist in ihren Auswirkungen für uns extrem personalaufwendig und formell belastend. Wir bekommen auch immer mehr Aufgaben. Extrem ist zum Beispiel der ganze Cyber-Bereich. Der Umgang mit ausländerrechtlichen Themen, mit Drogen und Waffen und weiteren Gebieten wird immer wichtiger und verlangt ein erweitertes Wissen der Polizistinnen und Polizisten.
Was sagen Sie zu den Sprengungen von Bancomaten?
Das ist ein europaweites Problem, eine schwierige Situation und ein grosses Ärgernis. Wir koordinieren die Ermittlungen interkantonal und international, um die Täterschaften dingfest zu machen. Es gibt in der Schweiz mehrere aktive Gruppen, die dieses Delikt begehen. Mehr kann ich dazu im Augenblick nicht sagen.
Wie verhält es sich mit der interkantonalen Zusammenarbeit?
Operativ ist die Zusammenarbeit sehr gut. Aber nicht im Austausch von Daten. Wir können Systeme nicht einfach zusammenschliessen, da wir dafür noch keine Rechtsgrundlage haben. Zum Beispiel ist die Analysesoftware für Einbrüche in Nachbarkantonen für uns nicht einsehbar. Das ist völlig ungenügend. Aber mit dem Ausbau des Schengen-Abkommens, das den Informationsaustausch auf europäischer Ebene ermöglicht, muss sich dies logischerweise auch unter den Kantonen ändern. Im Auftrag der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektionen sind wir dabei, eine entsprechende Gesetzesgrundlage für den Informationsaustausch unter den Kantonen zu schaffen. Zu sagen ist auch: Die Zusammenarbeit mit Deutschland und Frankreich bei der Verbrechensbekämpfung ist sehr intensiv, dank spezieller gegenseitiger Staatsverträge. Es gibt auch regelmässige operative Treffen zum Informationsaustausch. Verbrecherbanden agieren in der Region nicht nur von Mulhouse und Strassbourg, sondern sogar von Lyon aus.
Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Zoll?
Das Zollgesetz wird zurzeit überarbeitet, was schon Diskussionen ausgelöst hat. Die heutige Zusammenarbeit ist aus unserer Sicht sehr gut. Wir wollen aber nicht, dass der Zoll seine Kompetenzen bei den polizeilichen Aufgaben ausdehnt. Er hat primär grenzpolizeiliche Aufgaben wahrzunehmen. Der Zoll ist keine Polizei. Aber es darf umgekehrt auch keine Einschränkungen der heutigen Aufgaben des Zolls geben.
Es gibt immer wieder neue Drogen auf dem Markt. Wie sieht die Drogenbekämpfung aus?
Im Grossraum Basel sind wir ein Drehkreuz für Verschiebungen von Drogen. Der Flughafen, die Rheinhäfen, die Züge, die Nord-Süd-Autobahn – wir sind ein Drehkreuz für den Import von Drogen in die Schweiz und für den Drogenhandel auf der Achse Nord-Süd/Süd-Nord. Zur Drogensituation ist zu sagen: Die weichen und synthetischen Drogen nehmen generell zu. Bei den harten Drogen bleibt die Situation auf hohem Level eher stabil. Vor allem bei den jungen Menschen werden Drogen kombiniert mit Medikamenten und Alkohol, was sehr bedenklich ist. Wir sind präventiv tätig, zusammen mit dem Jugenddienst, aber bekämpfen auch den bandenmässigen, organisierten Drogenhandel.
n Wie steht es mit der Bekämpfung des Menschenhandels?
Wir könnten uns in der Bekämpfung des Menschenhandels mehr engagieren, und wir wollen das auch. Wir wollen auch deshalb die personellen Ressourcen ausbauen. Auch hier muss die Zusammenarbeit zwischen den Kantonen verbessert werden. Die Koordination muss durch interkantonale Arbeitsgruppen erfolgen. Im Terrorund Cyber-Bereich wird dies bereits praktiziert. Aber Verbesserungen sind auch hier notwendig. Auch im Fall von Mafia-Aktivitäten muss die Zusammenarbeit der Polizeien noch ausgebaut werden.
Die Auseinandersetzungen in der Bevölkerung sind härter geworden. Wie sehen Sie das?
Die Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung nimmt zu – zum Beispiel bei Links- und Rechtsextremen. Im Nachgang zur Pandemie haben Leute mit Extrempositionen auch mit Hilfe von Social Media begonnen, sich zu organisieren. In den letzten Jahrzehnten haben wir in zunehmendem Masse den Individualismus gepflegt. Als Folge davon habe ich heute den Eindruck, dass der Wille zum Gemeinwohl abnimmt. Möglicherweise macht der Dichtestress die Menschen aggressiver. Die Polizei kann aber die Leute nicht erziehen. Die Frage stellt sich, wohin diese Ich-Entwicklung letztlich führt. Ich appelliere an die Selbstverantwortung der Bevölkerung. Die Konzentration auf Eigeninteressen und die zunehmende Gewaltbereitschaft sind meiner Ansicht nach nicht nur für die Polizei, sondern für die ganze Gesellschaft ein grosses Problem.
Wie steht es mit den Cyber-Delikten?
Cyber-Delikte verändern die Polizeiarbeit zum Teil stark und fordern die Polizistinnen und Polizisten in grossem Masse. Dabei geht es vor allem um Vermögensdelikte. Der Arbeitsmarkt für Cyber-Spezialisten ist ausgetrocknet. Deshalb wollen wir nach Möglichkeit Leute aus den eigenen Reihen entsprechend schulen. Wir haben bereits ein Spezialistenteam mit rund 20 Beschäftigten, die den spezifischen Cyber-Delikten nachgehen. Auf dem Arbeitsmarkt bei den Spezialisten auch lohnmässig konkurrenzfähig zu sein, ist nicht einfach, aber die Polizeiarbeit ist auch faszinierend. Übrigens: Wir fühlen uns von der kantonalen Politik generell sehr unterstützt!
Zur Person
fra. Mark Burkhard ist 58 Jahre alt und seit 2013 Polizeikommandant des Kantons Baselland. Er studierte Informatik an der Fachhochschule in Biel und Volkswirtschaft an der Universität Fribourg. Danach arbeitete er etliche Jahre beim Nachrichtendienst des Bundes und ab dem Jahr 2000 als Vizedirektor im Bundesamt für Informatik und Telekommunikation. 2003 wurde er Stabschef bei der Kantonspolizei Bern. Bevor er seine heutige Stelle in Liestal antrat, war er noch zweieinhalb Jahre als Generalsekretär bei der Gesundheitsdirektion des Kantons Aargau tätig. Er ist Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS). Mark Burkhard ist geschieden und kinderlos.