Weihnachten in der Fremde
23.12.2022 Gesellschaft, Wenslingen, KulturKsenia Saseniuk flüchtete mit ihrer Familie vor den Kriegswirren in der Ukraine
Nach ihrer Flucht aus der Ukraine lebt Ksenia Saseniuk mit ihrem Ehemann Vitalii und ihren vier Kindern seit einiger Zeit in Wenslingen. Nun stehen die Festtage vor der Tür und damit eine emotionale Zeit für ...
Ksenia Saseniuk flüchtete mit ihrer Familie vor den Kriegswirren in der Ukraine
Nach ihrer Flucht aus der Ukraine lebt Ksenia Saseniuk mit ihrem Ehemann Vitalii und ihren vier Kindern seit einiger Zeit in Wenslingen. Nun stehen die Festtage vor der Tür und damit eine emotionale Zeit für die Familie. Feiern wollen sie trotzdem – aber nicht mehr nach russischer Tradition.
Sander van Riemsdijk
Trotz Kriegsgetrommel hatten nur die wenigsten in der Ukraine damit gerechnet, dass der russische Präsident Wladimir Putin am 24. Februar seiner Drohung Taten folgen lassen würde und seine Armeen in die Ukraine einmarschieren lässt. Auch die 35-jährige Ksenia Saseniuk aus der Region um Zaporizhia im Süden der Ukraine nicht. Sie konnte nicht ahnen, wie der Kriegsausbruch das Leben von ihr und ihrer Familie mit den vier Kindern von einem Tag auf den anderen auf den Kopf stellen würde. «Nein, es war für uns undenkbar, dass dies passieren würde.» Am frühen Morgen habe sie über Whatsapp erfahren, was in der Nacht passiert ist, sagt sie in fast perfektem Englisch. «Es war ein Schock.» Sie arbeitete als Lehrerin an einer Primarschule, ihr Mann Vitalii arbeitete in Kiew. Dieser machte sich an diesem Tag umgehend auf den Weg zu seiner Familie.
Als die ersten Bomben fielen, packten sie innert 24 Stunden das Nötigste zusammen und machten sich mit einem geliehenen Auto zuerst auf den Weg Richtung West-Ukraine, wo Bekannte wohnten. Sie lebten abwechselnd in einem grossen Raum oder in einem Luftschutzkeller mit vielen anderen Geflüchteten zusammen. «Das war keine einfache Situation. Wir hofften aber, dass wir nach kurzer Zeit wieder in unser Haus zurückkehren können.» Diese Hoffnung zerschlug sich, als sie erfuhren, dass ihr Haus zur Hälfte weggebombt war und es kein Wasser und keinen Strom gab. Schweren Herzens entschied die Familie sich, die Ukraine zu verlassen und machte sich auf den Weg Richtung Bulgarien. Ukrainische Männer, die eine Familie mit drei oder mehr Kindern haben, werden nicht in die Armee eingezogen, sodass es bei der Ausreise aus der Ukraine keine Probleme gab.
Es war der Anfang einer Reise voller Strapazen ins Ungewisse und eine emotionale Achterbahn für die sechsköpfige Familie, die schliesslich in Wenslingen ein vorläufiges Ende finden sollte. Und dies nicht zufällig. «Man hatte uns in Bulgarien gesagt, dass wir in die Schweiz reisen sollten, da dieses Land sehr kinderfreundlich sei», berichtet Ksenia Saseniuk. Dabei liegt zwar ein Lächeln auf ihrem Gesicht, es ist aber offensichtlich, dass sie mit ihren Gefühlen ringt.
Kein einfacher Start
Mit Unterstützung des Auffangzentrums für Flüchtlinge in Basel, wo sie sich zuerst aufhielten, fand die Familie Wohnraum in Wenslingen. Saseniuk hat zwei Mal täglich via Whatsapp Kontakt zu ihren Eltern, die in der Ukraine in der gleichen Region wohnen wie sie – und diese trotz der Kriegswirren nicht verlassen möchten. Unterdessen hat sich die Familie in Wenslingen eingelebt.
Der Anfang war nicht einfach. «Wir konnten die Leute nicht verstehen und nichts lesen», sagt sie. Mit ihrer Familie besucht sie jeweils am Mittwochnachmittag das Begegnungskaffee für ukrainische Geflüchtete im «Lindenhof» in Gelterkinden. Sie schätzt den Kontakt. «Das ist vorübergehend meine neue Familie.» Auch wenn Ksenia Saseniuk ihre eigene Familie bei sich hat und jetzt alle in Sicherheit weiss, ist es für sie eine emotional herausfordernde Zeit. Und dann kündigt sich auch noch Weihnachten an. Auf das religiöse Fest angesprochen, kann sie die Tränen nicht mehr unterdrücken. Trotz der vielen Strapazen, die sie als Mutter von vier Kindern und in Erwartung ihres fünften Kindes durchgemacht hat, ist sie eine starke Frau geblieben. Aber nun wird es ihr zu viel. Sie hat Albträume. Dann hört sie, wie die Bomben einschlagen und sieht deren Zerstörungen.
Neue Traditionen
Nach einer kurzen Pause fährt sie fort und erzählt, dass Weihnachten in der Ukraine wie bei uns ein Fest für die ganze Familie sei. Die orthodoxen Christen in dem Teil der Ukraine, aus dem sie kommt und der nach Russland ausgerichtet ist, erinnern sich traditionell am 6. Januar an die Geburt Jesu Christi. «Das wird bei uns dieses Jahr anders sein», sagt sie bestimmt. «Ich will nicht mehr nach alter russischer Tradition an diesem Tag Weihnachten feiern, sondern wie in Europa am 25. Dezember.»
Mit einem Mix aus Tradition und Modernem wird sie diesen Tag zusammen mit Schweizer Bekannten feiern, in einer ihr immer noch fremden Kultur, gut 2000 Kilometer weg von ihrer Heimat. Das grösste Geschenk unter dem Weihnachtsbaum wäre für sie eine baldige Rückkehr in die Ukraine. «Es ist schliesslich unser Land.» Sie ist aber Realistin genug, um zu sehen, dass dies noch eine Weile dauern könnte. Ihr fünftes Kind zumindest wird in der Schweiz zur Welt kommen – der Geburtstermin ist in zwei Wochen.