«HIV-Betroffene führen ein normales Leben»
01.12.2022 Basel, Oltingen, GesundheitGespräch mit Beraterin Carla Schuler von der Aids-Hilfe beider Basel
Heute Donnerstag ist Welt-Aids-Tag. Exakt vor 30 Jahren hat Carla Schuler, wohnhaft in Oltingen, ihre Stelle bei der Aids-Hilfe beider Basel als Leiterin Beratung und Unterstützung angetreten. Unzählige Menschen mit HIV ...
Gespräch mit Beraterin Carla Schuler von der Aids-Hilfe beider Basel
Heute Donnerstag ist Welt-Aids-Tag. Exakt vor 30 Jahren hat Carla Schuler, wohnhaft in Oltingen, ihre Stelle bei der Aids-Hilfe beider Basel als Leiterin Beratung und Unterstützung angetreten. Unzählige Menschen mit HIV hat sie seither betreut und beraten.
André Frauchiger
Carla Schuler wuchs in der Nähe von Zürich auf, wie ihr Dialekt verrät. Für ihre Ausbildung zur Krankenschwester – heute Pflegefachfrau genannt – kam sie in die Region Basel. Sie arbeitete nach der Ausbildung an den verschiedensten Orten, unter anderem im damaligen Paraplegikerzentrum Basel, im Wohn- und Bürozentrum für Körperbehinderte (WBZ) in Reinach sowie auf Akutabteilungen. Sie begann sich schliesslich mit Fragen rund um die HIV-Infektion zu befassen, weil sie das interessierte. Deshalb wechselte sie im Jahr 1989 von der Spitex Gelterkinden ins neu eröffnete Basel Lighthouse, das HIV-Patientinnen und -Patienten häufig am Ende ihres Lebens betreute. Schuler blieb in Oltingen wohnhaft und dem Oberbaselbiet treu.
«Beim Basel Lighthouse interessierte mich die neue Form der Pflege von Menschen mit HIV. Es war interessant und wir hatten ein motiviertes Team», unterstreicht Schuler. Sie wollte vor 30 Jahren nicht mehr in einem Spital arbeiten. Denn die hierarchischen Strukturen und die «Hahnen- und Hennenkämpfe» gefielen ihr überhaupt nicht. Die eigentliche Pflegearbeit aber schon. Das Basel Lighthouse existiert heute noch, ist aber seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre ein Wohn- und Pflegeheim für Frauen und Männer mit einer chronischen Krankheit oder einer schweren körperlichen Beeinträchtigung.
Heute hat sie zwei Teilzeit-Arbeitsplätze: Bei der Gemeinde Tecknau als Sozialberaterin und bei der Aids-Hilfe beider Basel mit Sitz in Basel. «Zwei Dinge zu machen und dabei über den Tellerrand zu schauen, ist für mich eine gute Sache», erklärt Schuler. In Tecknau arbeitet sie nun seit rund 12 Jahren ungefähr 30 Prozent. Bei der Aids-Hilfe in Basel ist sie in einem 70-Prozent-Pensum tätig, ab Januar noch 50 Prozent.
Radikale Verbesserung
«Vor 30 Jahren war HIV praktisch unbehandelbar», erklärt Schuler. Das hat sich radikal geändert. HIV ist heute mit Medikamenten, die lebenslänglich eingenommen werden müssen, nicht mehr tödlich. Mehr noch: Die Menschen werden nicht mehr krank und haben eine normale Lebenserwartung. Wer diese Medikamente regelmässig einnimmt, kann das Virus nicht weitergeben, auch nicht bei ungeschütztem Sex.
Menschen mit HIV können Kinder zeugen – und ein ganz normales Leben führen. Die Medikamente müssen bisher täglich eingenommen werden. Neuerdings können Betroffene aber auch mit einer monatlichen Spritze beim behandelnden HIV-Spezialisten versorgt werden. Nebenwirkungen der Medikamente seien seit Langem praktisch kein Thema mehr, so Schuler. Die Medikamente müssten auch nicht immer wieder gewechselt werden. Es gebe heute eine breite Palette an medizinischen Kombinationen, abgestimmt auf die jeweilige Person.
Wie das Tragen eines Gurtes
In der Aids-Hilfe gibt es Testangebote für unterschiedliche Zielgruppen: Allgemeinbevölkerung, Männer, die Sex mit Männern haben, sowie Personen, die im Sexgewerbe arbeiten. «Ungeschützter Geschlechtsverkehr ist heute die Hauptursache für eine HIV-Übertragung. Jemandem zu sagen, er oder sie sei selber schuld an der Ansteckung, sei aber grundfalsch, meint Schuler. «Das Ganze ist vergleichbar mit dem Sicherheitsgurt im Auto: Auch der wird nicht immer angezogen, obwohl man ganz genau weiss, dass ein Unfall ohne ihn gravierendste Folgen haben kann.»
Es gebe Menschen, die einen HIV-Test machen wollten, zum Beispiel nach einem Risikokontakt oder am Anfang einer neuen Beziehung, so Schuler. Dies sei bei der Aids-Hilfe beider Basel möglich. Für die Allgemeinbevölkerung bietet sie HIV- und Syphilis-Schnelltests an. Die Getesteten erhalten das Resultat sofort – absolut sicher ist das Ergebnis sechs Wochen nach einer Risikohandlung. Für andere Zielgruppen gibt es an speziellen Abend- und Nachmittagsöffnungszeiten zusätzliche Tests für sexuell übertragbare Krankheiten. Und bei allen Angeboten wird Wert auf die grundsätzliche Beratung zur sexuellen Gesundheit gelegt.
Wichtige Triagefunktion
Schuler: «Das Beratungsangebot meines Bereichs Beratung und Unterstützung nutzen Menschen, die mit HIV leben, sowie Menschen aus ihrem Umfeld. Es geht dabei vor allem darum, zuzuhören, Fragen zu beantworten und allenfalls neue zu stellen.» Und: «Ziel meiner Beratungstätigkeit ist immer, dass die Besuchenden wieder Selbstvertrauen gewinnen». Sie sei aber weder Psychologin noch Psychiaterin.
Sie gibt, falls gewünscht, Adressen von ärztlichen Spezialistinnen und Spezialisten weiter. Wichtig sei: «Ich habe eine Triagefunktion. Die Menschen kommen zu mir – nicht umgekehrt.» Das Unispital Basel, das Kantonsspital Baselland und die Hausärztinnen und -ärzte arbeiteten eng mit der Aids-Hilfe zusammen und seien in der Behandlung von HIV-Patientinnen und -Patienten sehr erfahren.
Doch wie steht es um die Diskriminierung von HIV-positiven Menschen, gibt es die noch? «Ja», das sei fast das grösste Problem, erklärt Schuler. Medizinisch sei HIV heute behandelbar; es gebe praktisch keine Einschränkungen im Alltag mehr – «aber man trägt ein Geheimnis mit sich». Es gebe nach wie vor Diskriminierungen, besonders häufig im Gesundheitsbereich. So zum Beispiel in Physiotherapien, in der Podologie, beim Pflegepersonal oder in Zahnarztpraxen, zudem im Bereich der Sozialversicherungen. «Solange sich Betroffene überlegen müssen, ob sie jemandem mitteilen können, dass sie HIV-positiv sind und was diese Information für negative Konsequenzen haben könnte, sind wir noch weit davon entfernt, dass HIV eine chronische Krankheit wie viele andere ist», sagt Schuler.
Weiterhin Anlaufstelle
Wie soll es in der Nordwestschweiz bei der Behandlung von HIV-positiven Menschen weitergehen? In den vergangenen Jahren hat die Aids-Hilfe beider Basel ihre verschiedenen Angebote erweitert. «Es geht letztlich um die sexuelle Gesundheit der Bevölkerung», stellt Schuler klar. Bei den Jugendlichen sei die Aufklärung besonders wichtig. «Menschen mit HIV brauchen auch in Zukunft eine Anlaufstelle, die Beratung mit klaren Informationen bietet.
Die Betroffenen sollten befähigt werden, so informiert zu sein, dass sie selber einen Entscheid über das «Wie weiter?» fällen können, fasst Schuler zusammen. «Vor 30 Jahren wurde von Betroffenen häufig die Frage gestellt: ‹Soll ich Medikamente einnehmen oder nicht?› Die zwei Jahre mit Corona haben mich an diese Zeit erinnert. Falschmeldungen, besonders auf Social Media, haben die Welt leider nicht einfacher gemacht und viele Menschen verunsichert.»