«Europäische Friedensordnung ist gefährdet»
13.12.2022 Gesellschaft, Kultur, SissachGesprächsreihe im «Cheesmeyer»: Hintergründe zum Krieg gegen die Ukraine
Am Donnerstag ist im «Cheesmeyer» der Historiker und Osteuropa-Experte Frithjof Benjamin Schenk zu Gast bei Modereator Ueli Mäder.
vs. Frithjof Benjamin Schenk forscht zur Geschichte ...
Gesprächsreihe im «Cheesmeyer»: Hintergründe zum Krieg gegen die Ukraine
Am Donnerstag ist im «Cheesmeyer» der Historiker und Osteuropa-Experte Frithjof Benjamin Schenk zu Gast bei Modereator Ueli Mäder.
vs. Frithjof Benjamin Schenk forscht zur Geschichte Osteuropas und lehrt seit 2011 an der Universität Basel. «Die europäische Friedensordnung ist heute gefährdet», erklärte der Professor schon im November an einem Podium der «Buch Basel». Und warum? Ein Grund ist der russische Staatspräsident Wladimir Putin. Er entfachte vor acht Jahren einen Krieg gegen die Ukraine, spricht dem Nachbarstaat die Existenzberechtigung ab und begeht fast täglich Kriegsverbrechen.
Nach Putins krudem Geschichtsbild ist der ukrainische Staat eine Schöpfung Lenins. Nach der Oktoberrevolution von 1917 habe dieser die damalige UdSSR als Union nationaler Sowjetrepubliken geschaffen, eine davon die Sowjetukraine. Schenk korrigiert. Er verweist auf nationale Bewegungen im 19. Jahrhundert in Europa; auch in der Ukraine, die damals noch zwischen dem Zarenreich und der Habsburgermonarchie geteilt war. Zunächst strebten die Ukrainer nur nach nationaler Autonomie im Russischen Reich oder in Österreich-Ungarn. Im Ersten Weltkrieg zerfielen dann die grossen Reiche im östlichen Europa. In diesem Zug proklamierten Ukrainer erstmals die nationale Unabhängigkeit. Putin blendet diese Realität aus.
Der russische Staatspräsident hängt einer alten Reichsidee nach. Schon mit der Annexion der Krim im Jahr 2014 hat er das Fundament des Völkerrechts verlassen. Darum fragt sich, ob er heute überhaupt Interesse an Verhandlungen hat. Frieden basiert jedenfalls auf verbindlichen Vereinbarungen wie der UNO-Charta von 1945, der Helsinki-Schlussakte von 1975 oder der Charta von Paris von 1990. Wobei diese Verträge weit über den Ukraine-Krieg hinausweisen. Sie zu brechen, versetzt Europa zurück in die Schlussphase des Zweiten Weltkriegs, als die Grossmächte Europa unter sich in Einflusssphären aufteilten. Schenk graut vor einer solchen Perspektive. Vor allem kleine und dem Völkerrecht verpflichtete Staaten wie die Schweiz könnten daran kein Interesse haben.
Grosser Nachholbedarf
Selbstkritisch stellte Schenk an der «Buch Basel» fest, auch an der Universität Basel habe sich die Osteuropa-Forschung zu lange auf Russland konzentriert und andere Länder der Region vernachlässigt. Hier bestehe grosser Nachholbedarf. Schenk, der lange selbst in St. Petersburg und Moskau gelebt und geforscht hat, setzt sich heute intensiv für ein vertieftes Verständnis der Ukraine in der Schweiz ein. Am Podium wirkte ebenfalls der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch mit. Die Moderatorin fragte ihn, was die Ukraine benötige, um sich weiter der Europäischen Union annähern zu können. «Mehr Waffen», antwortete er. Die ukrainische Historikerin Olha Martynyuk ergänzte, dass auch mehr Rechtsstaatlichkeit gefragt sei. Und dazu gehöre das Zulassen kritischer Fragen.
Im «Cheesmeyer» geht es laut den Veranstaltenden darum, vielfältige Hintergründe des Ukraine-Krieges zu ergründen. Auch das Publikum soll wiederum prominent einbezogen werden. Und dabei dürfte wohl auch interessieren, was es bedeuten könnte, wenn nun weltweit militärische Aufrüstung mehr Frieden sichern soll. Und: Weist uns der Ukraine-Krieg darauf hin, dass grenzüberschreitender Wirtschaftstransfer und eine beschwichtigende Appeasement-Politik gescheitert sind?
Der Historiker Frithjof Benjamin Schenk geht am Donnerstag im Gespräch mit Moderator Ueli Mäder auf die Hintergründe des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ein. Zudem berichten Charlotte Luchsinger und Anina Jendreyko von ihrer Arbeit mit Flüchtlingen.
Gespräch mit Historiker Frithjof Benjamin Schenk, Donnerstag, 15. Dezember, 19.00 bis 20.30 Uhr, «Cheesmeyer», Hauptstrasse 55, Sissach.