Funzel- und andere Beleuchtungs geschichten
08.11.2022 Gesellschaft, Kultur, ZiefenAbendspaziergang mit Kulturhistoriker Remy Suter
Am vergangenen Freitag ging es mit dem Kulturhistoriker Remy Suter auf einen Abendspaziergang durch Ziefen. Rund zwei Dutzend Gäste bekamen Spannendes über die private und öffentliche Beleuchtung zu hören – ein Thema, das gerade heute ...
Abendspaziergang mit Kulturhistoriker Remy Suter
Am vergangenen Freitag ging es mit dem Kulturhistoriker Remy Suter auf einen Abendspaziergang durch Ziefen. Rund zwei Dutzend Gäste bekamen Spannendes über die private und öffentliche Beleuchtung zu hören – ein Thema, das gerade heute wieder eine spezielle Brisanz aufweist.
Elmar Gächter
«Was muss das für ein Ereignis gewesen sein, als im Jahr 1855 mein Grossvater Theodor Bider-Matt die ersten Petrollampen im Dorf feilbot. Abends versammelten sich die Nachbarn in seinem Kämmerlein im ‹Ryybigärtli› und alle wollten das Steinöl brennen sehen. Es war eine Riesensensation, viel heller als vorher die Funzel oder die Talgkerzen», steht im Lesebuch, das Gustav Müller, Bürger von Ziefen und Lehrer in Lausen, 1940 herausgegeben hat.
Steinöl, besser bekannt als Petroleum, hatte ab dem 19. Jahrhundert nach und nach das aus Rapssamen gewonnene Lewatöl ersetzt, dessen Dampf den engbrüstigen Leuten Mühe machte, wie Johann Peter Hebel einst geschrieben hatte. Mit einer petroleumgefüllten Laterne ausgerüstet war auch der Kulturhistoriker Remy Suter am Dorfrundgang vom vergangenen Freitagabend in Ziefen. Er berichtete dort über Ölfunzeln, Steinöllampen, Nachwächter und Strassenlaternen.
Der jüngste Abendspaziergang lief unter dem Titel «Nicht im Dunkeln munkeln – es werde Licht». Die Erzählungen und Kurzgeschichten des Ziefner Historikers entführten die rund zwei Dutzend Mitspazierenden in eine Zeit, in der Romantik eher in verklärten Geschichten als in der damaligen Realität zu finden ist. Im Winter waren die Stuben dunkel und nur durch Talgkerzen, hergestellt aus Schlachtabfällen, oder durch Öllämpchen beleuchtet, welche die Leute auf dem Posamenterstuhl kaum mehr atmen liessen. Es gab weit und breit keine Strassenlaternen; hingegen einen Nachtwächter, der aufpassen musste, dass nirgends im Dorf Feuer ausbrach oder Schelme ihr Unwesen trieben.
Laut Remy Suter ist aus Reigoldswil belegt, dass der Nachtwächter bis 1870 unterwegs gewesen war und die Stunden von 22 Uhr bis 3 Uhr in der Früh ausgerufen hatte. «Loset, was i euch will sage! D’Glocke het Oelfi gschlage. Und wer no an der Arbet schwizt, und wer no by de Charte sitzt, dem bieti iez zum leztemol, – s’isch hochi Zit – und schlofet wohl!», so ein Ausschnitt aus Johann Peter Hebels Wächterruf, der in Reigoldswil in Gebrauch war.
Lichtwart ersetzt Nachtwächter
Die ersten mit Petrol betriebenen Strassenlampen dürften in Ziefen gemäss den Ausführungen Remy Suters um 1870 eingeführt worden sein. Anstelle des Nachtwächters war neu der Lichtwart mit seiner Leiter unterwegs, um die auf einem Holzpfosten montierten Lampen anzuzünden und wieder zu löschen. Dass die Strassenbeleuchtung nicht jedermanns Sache war, sondern sogar als verwerflich angesehen wurde, belegt eine Schrift aus dem 19. Jahrhundert.
Die Schrift besagt: Die Beleuchtung sei aus verschiedensten Gründen abzulehnen – so etwa aus philosophisch-moralischen, da die Sittlichkeit durch Gassenbeleuchtung eingeschränkt werde, die Helle den Trinker sicherer mache und sie verliebte Paare verkupple. Und nicht zuletzt wurden staatswirtschaftliche Gründe aufgeführt, da durch die Beschaffung des Leuchtstoffs, Öl oder Steinkohle, jährlich eine bedeutende Summe ins Ausland gehe, wodurch der Nationalreichtum geschwächt werde.
«Diese Überlieferung stammt zwar aus der Stadt Köln, es könnte sich aber durchaus auch hier zugetragen haben. Und der Gruss an unsere heutigen Gas- und Öllieferanten ist ja auch nicht völlig daneben», meinte Remy Suter auf dem Abendspaziergang mit einem Schmunzeln.
Erste elektrische Lampen
Ein Ereignis machte die Welt schliesslich im wahrsten Sinne des Wortes heller: Die elektrische Glühlampe, die Thomas Edison im Januar 1880 patentieren liess. In Ziefen sollte die Elektrizität allerdings noch ein paar Jahre auf sich warten lassen. 1902 war es dann aber auch dort so weit: Die genossenschaftlich organisierte Elektra Ziefen wurde gegründet. Die neue Energie, die anfangs vor allem den Posamenterinnen und Posamentern für ihre nun motorenbetriebenen Webstühle zugutekam, verbreitete sich immer häufiger auch in den Haushaltungen – anfänglich noch mit einer bescheidenen 110-Volt-Spannung und mit Gleichstrom; ab 1930 mit dem heutigen Wechselstrom und 220-Volt-Spannung.
Das Thema der privaten und öffentlichen Beleuchtung für den Abendspaziergang hat Remy Suter nicht zuletzt mit dem Blick auf eine mögliche Energieknappheit in diesem Winter aufgegriffen, eine «Panikmache von Behörden und Medien», wie er sie selbst bezeichnet. Abschaltungen des Lichts sähe der Kulturhistoriker entspannt entgegen: «Es könnte dann wie früher sein. Man stelle sich vor, wie ‹romantisch› es wäre, wenn die Strassen und Radwege nicht mehr beleuchtet würden. Immerhin würden wir einen Beitrag zur Bekämpfung der Lichtverschmutzung leisten», schloss Remy Suter den Abendspaziergang ab.