Erhaltung von historischen Bauten
04.11.2022 Gesellschaft, Kultur, LausenAndreas Bergamini saniert Dächer denkmalgeschützter Gebäude mit Schilf
Heutzutage werden Dächer nur noch äusserst selten mit Schilf oder Stroh gedeckt. Gänzlich ausgestorben ist die Methode aber nicht. Der Lausner Andreas Bergamini gehört zu den wenigen Dachdeckern, die das ...
Andreas Bergamini saniert Dächer denkmalgeschützter Gebäude mit Schilf
Heutzutage werden Dächer nur noch äusserst selten mit Schilf oder Stroh gedeckt. Gänzlich ausgestorben ist die Methode aber nicht. Der Lausner Andreas Bergamini gehört zu den wenigen Dachdeckern, die das traditionelle Handwerk noch beherrschen.
Irène Böhm
Früher hatte Stroh auf Schweizer Dächern Tradition. Doch mittlerweile werden nur noch wenige historische, denkmalgeschützte Bauten damit bedeckt. «Heute gibt es noch etwa ein Dutzend strohgedeckte Häuser im Land. Um das Jahr 1900 hingegen gab es noch rund 4000», sagt Andreas Bergamini aus Lausen. Bergamini ist Dachdecker und einer der wenigen in seiner Branche, die das Decken von Dächern mit Stroh und Schilf noch beherrschen. Dieses spezielle Handwerk hat er während eines Jahres in Holland gelernt, kurz nach seiner Dachdecker-Lehre in der Schweiz. Das Schilf bezieht er etwa aus Ungarn, Holland oder China.
Eines von Bergaminis «Werken» steht im aargauischen Kölliken. Dort hat er kürzlich ein denkmalgeschütztes Haus mit Schilf abgedeckt. Schilf dient als natürliche Alternative für Stroh, dessen Verfügbarkeit teilweise eingeschränkt sei. Damit beim Anblick des historischen Gebäudes in Kölliken die Authentizität gewahrt bleibt, schrieb der Kanton Aargau vor, über das Schilf eine dünne Strohschicht zu legen. Etwas möglichst originalgetreu zu sanieren, heisst offensichtlich auch, Kompromisse einzugehen. Das ist Bergamini bewusst.
Auch bei der Behandlung des Schilfs muss der Dachdecker dann und wann ein wenig nachhelfen. Zwar wird das Material in der Regel nur gereinigt und naturbelassen verwendet. Doch es gibt Ausnahmen: «Bei einem Auftrag des Zoos Zürich hatte ich die Auflage, das Schilf mit einer feuerfesten Schicht zu imprägnieren. Wir haben die Bündel in einer Lauge aus Borax und Borsäure gebadet, sie abtropfen und trocknen lassen, ehe das Dach damit gedeckt werden konnte», erklärt Bergamini.
Für die Nachwelt
Der Lausner Dachdecker befasst sich vor der Sanierung historischer Gebäude immer mit dem Objekt, seiner Geschichte sowie seiner Funktion früher und heute. «Die Erhaltung von Kulturobjekten in der Schweiz gehört zu meinen obersten Zielen. Mit meiner Arbeit möchte ich diese Objekte möglichst original der Nachwelt erhalten», sagt Bergamini.
Als eines seiner schönsten Erlebnisse nennt er das erste Schilfdach, für das er verantwortlich war. 1982 bedeckte der Lausner das ehemalige Tennishaus von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler in Rüschlikon im Kanton Zürich – heute ein Museum – mit Schilf. 40 Jahre später, also 2020, erneuerte er dieses Schilfdach.
Dass sich diese kulturhistorisch wertvolle Arbeit auf ältere Gebäude beschränkt, hat auch rechtliche Gründe. Denn die Gesetzesvorschriften verhindern wegen der Brandgefahr, dass Neubauten in Siedlungsgebieten mit Stroh oder Schilf bedeckt werden dürfen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht fällt diese Tatsache für Bergamini nicht allzu stark ins Gewicht; seine Kompetenzen sind breit. Denn der erfahrene Handwerker führt vorwiegend «normale» Dachdeckerarbeiten mit Ziegeln aus.
Seit Jahrzehnten ist er mit dem Metier des Dachdeckers vertraut. Auf den Beruf ist er in jungen Jahren gestossen, als er während der Schulzeit einen Ferienjob gesucht und anschliessend in der Firma eines benachbarten Dachdeckers zwei Wochen lang gearbeitet hatte: «Es gefiel mir so gut, dass ich mich in den Job verliebt habe», sagt Bergamini rückblickend. Die Lehre konnte er im angesprochenen Betrieb machen. Seither ist er dem Beruf treu geblieben, hat sich zum Dachdeckermeister weitergebildet und während seiner Karriere 15 Lehrlinge ausgebildet.
Im Wandel der Zeit
Bergamini mag Herausforderungen. Nicht von ungefähr hat er sich schon früh nach der Lehre selbstständig gemacht. Das habe er nie bereut, meint er heute. 20 Jahre lang hat er zudem als Prüfungsexperte bei den Lehrabschlussprüfungen der Dachdecker mitgewirkt. Er hat sich auch zum Gebäudehüllenexperten und zum Energieberater für Gebäude ausbilden lassen und war Experte bei den Energieberater-Prüfungen.
An seinem Beruf fasziniert den Lausner Dachdecker am meisten die grosse Vielseitigkeit. Dazu gehören nicht nur die verschiedenen Deckmaterialien, Dämmungen und Systeme, «die jedem Dach ein individuelles Äusseres geben». Sondern auch die Arbeit im Freien, die dem versierten Handwerker eine gewisse Freiheit erlaube. Hinzu kommt: «Ich bin nicht jahrelang auf einer Baustelle. Nach ein paar Tagen oder Wochen ist die Arbeit für mich jeweils beendet und ich kann mich einer neuen Herausforderung widmen», so Bergamini.
Dann kommt er aber auch auf die schwierigen und herausfordernden Momente während seiner langen Karriere zu sprechen. Dazu gehörten etwa gefährliche Stürze vom Dach, die ihm und gewissen seiner Mitarbeitenden widerfahren seien. Und: Der Beruf befinde sich derzeit im Wandel – im positiven Sinne, wie Bergamini ausführt. «Der heutige Gebäudehüllenspezialist ist massgeblich an der Gestaltung des Klimawandels beteiligt.» Durch den gezielten Einsatz von Dämm-Materialien seien die Häuser besser isoliert als früher und geben dadurch weniger Wärme an die Umgebung ab. «Das bedeutet, dass weniger geheizt und weniger Energie gebraucht werden muss.» Das Klima dankt.
Stroh- und Schilfdächer für den Erhalt denkmalgeschützter Häuser und bessere Dämmungen gegen den Klimawandel. In seinem Beruf als Dachdecker bewegt sich Bergamini stets zwischen Geschichte und Zukunft – künftig aber weniger. Denn nächstes Jahr lässt er sich pensionieren und wird kürzertreten. Ganz aus seinem Beruf zurückziehen wird er sich wohl aber doch nicht. Zu sehr hänge sein Herz an der Arbeit. «Statt 150 Prozent werde ich dann nur noch 100 Prozent arbeiten», meint er zum Abschluss scherzhaft.