AHNIG VO BOTANIK
25.11.2022 Gelterkinden, NaturHirschzunge, ein schöner Farn
Andres Klein
Die Hirschzunge ist ein Farn aus der Familie der Streifenfarngewächse. Die Blätter sind im Gegensatz zu den meisten einheimischen Farnen nicht fiedrig geteilt, sondern ungeteilt ganzrandig. Auf der ...
Hirschzunge, ein schöner Farn
Andres Klein
Die Hirschzunge ist ein Farn aus der Familie der Streifenfarngewächse. Die Blätter sind im Gegensatz zu den meisten einheimischen Farnen nicht fiedrig geteilt, sondern ungeteilt ganzrandig. Auf der Unterseite des Blatts sind die Organe, welche die Sporen enthalten, streifenförmig angeordnet. Diese Streifen werden Sporenträger (Sporangien) genannt.
Alle Farne bilden zur Fortpflanzung keine Blüten. Sie haben einen zweiteiligen Fortpflanzungsmechanismus. Der erste asexuelle Mechanismus basiert auf Sporen. Diese sind genetisch identisch mit dem Farnblatt, wo sie auf der Unterseite wachsen. Sobald die Haut beim Alterungsprozess spröde wird, fallen sie ab. Im zweiten, dem sexuellen Mechanismus entstehen aus den Sporen ganz kleine, höchstens fünf Zentimeter grosse Pflänzchen, die völlig anders aussehen als die sporentragenden Pflanzen. Auf den kleinen Pflanzen, den Prothallien, wachsen weibliche und männliche Organe. Das männliche Organ bildet sogenannte Spermatozoen, die sich mittels Geisseln im Regenwasser oder dem Tau den Weg zur weiblichen Eizelle suchen. Aus der befruchteten Eizelle wächst anschliessend der neue Farn, der dann wieder Sporen produziert.
Die Blattoberfläche der Hirschzunge ist stark glänzend. Sie wächst hauptsächlich an feuchten steilen Nordhängen im Blockschutt oder in geröllreichen Wäldern. Meist finden sich dann dort viele Individuen, und wenn es dann noch leicht neblig ist, kann man gut nachvollziehen, dass ein gewisses Urwald-Gefühl aufkommen kann.
Was in historischen Quellen nachgewiesen ist: Die Hirschzunge hat schon Griechen, Römer, Araber und Kelten stark beschäftigt. Ihr wurden sehr viele und sehr unterschiedliche Heilkräfte nachgesagt. Dabei standen immer wieder Milzleiden im Brennpunkt. Besonders interessant ist die mittelalterliche Zuordnung der Milz zu Melancholie. Also war die Hirschzunge auch gut gegen Schwermut und Traurigkeit. Für den Römer Plinius machte sie Frauen unfruchtbar und bewirkte glänzende Haare, wenn man sie zusammen mit Schweineschmalz zu sich nahm. Die Kelten nutzten sie als Mittel bei Brust- und Milzleiden und auch gegen Schlangenbisse. Offiziell ist die Hirschzunge heute keine Heilpflanze mehr.
Seit ungefähr 1900 bekam die Hirschzunge in unserer Gegend eine nicht medizinische Bedeutung, denn sie wurde zur Modepflanze im Garten. Damals ging man am Sonntag mit der Schaufel in den Wald und grub die Hirschzunge aus, um sie im schattigen Garten zu pflanzen. Diese Mode war so verbreitet, dass die Hirschzunge fast in der ganzen Schweiz geschützt wurde. So wurden also Gesetze erlassen, um eine Mode zu unterbinden. Denselben Prozess können wir auch heute beobachten. Es gibt bereits Verbote für die modischen Gärten aus herbizidgetränkten Eisenbahnschottern, «SBB-Wüsten» genannt. Es bleibt zu hoffen, dass diese Mode so uncool wird wie die der Hirschzunge. Diese braucht heute nämlich keinen gesetzlichen Schutz mehr. Sie gedeiht prächtig in unseren schönen Wäldern.
Andres Klein ist Biologe. Er lebt in Gelterkinden.