«Kleingemeinden sind kein Auslaufmodell»
22.11.2022 Gemeinden, Politik, SissachUni-Talk macht Zukunft ländlicher Gemeinden zum Thema
Beim Uni-Talk wurden Wege diskutiert, wie kleine Baselbieter Gemeinden selbstständig bleiben. Die häufig anzutreffenden Zweckgemeinschaften führen dazu, dass Gemeindefusionen (fast) kein Thema sind. Patentrezepte zum Überleben gibt ...
Uni-Talk macht Zukunft ländlicher Gemeinden zum Thema
Beim Uni-Talk wurden Wege diskutiert, wie kleine Baselbieter Gemeinden selbstständig bleiben. Die häufig anzutreffenden Zweckgemeinschaften führen dazu, dass Gemeindefusionen (fast) kein Thema sind. Patentrezepte zum Überleben gibt es aber keine.
Jürg Gohl
Gut 50 Personen sitzen am vergangenen Donnerstagabend im Sissacher «Cheesmeyer» vor dem Podium. Sie strecken praktisch alle die Hand hoch nach der Einstiegsfrage, wer im Publikum denn einem Gemeinderat oder einer Gemeindekommission angehöre. Am Tag nach dem Auftritt mit einem Informationsstand am Sissacher Herbstmarkt ist die Universität Basel im Bezirkshauptort erneut zu Gast. Diesen Abend geschieht dies im Rahmen des Uni-Talks, mit dem sich die älteste Universität alljährlich aus dem Elfenbeinturm begibt, um über Themen zu diskutieren, welche die Öffentlichkeit beschäftigen.
Um die künftigen Herausforderungen in ländlichen Gemeinden geht es dieses Mal. Moderiert von der Journalistin Karin Salm sprechen Regula Meschberger, die langjährige SP-Landrätin, Vizegemeindepräsidentin in Birsfelden und vor allem seit zwei Jahren Präsidentin des Verbandes der Baselbieter Gemeinden (VBLG), mit dem Soziologen Peter Streckeisen, Privatdozent an der Universität Basel. Dabei standen die Fragen, wie Einwohnerinnen und Einwohner für politische Ämter gewonnen werden können, wie sich ein kleines Dorf für Neuzuzüger attraktiv macht und welche Vorteile Gemeindefusionen bringen, im Mittelpunkt.
In anderen Kantonen kommt es immer wieder zu Fusionen. Im Bündnerland etwa, so erzählt Peter Streckeisen, der dort bei Fusionprozessen mithilft, sei die Anzahl der Gemeinden durch Zusammenschlüsse inzwischen auf 100 halbiert worden – und eine weitere Halbierung stehe bevor. Im Baselbiet hingegen sind seit der Fusion von Biel-Benken im Birsigtal vor genau 50 Jahren konkrete Gelüste dieser Art ausgeblieben, sieht man von den aktuellen Annäherungsversuchen zwischen Arisdorf und Hersberg ab.
«Kein Betty-Bossi-Rezept»
«Viele kleine Gemeinden bei uns bekunden mit ihrer aktuellen Situation keine Probleme», sagt Regula Meschberger, «sie sind kein Auslaufmodell.» Sie und Peter Streckeisen machen dafür noch einen weiteren Grund verantwortlich: Wie in keinem anderen Kanton schliessen sich gerade im Oberbaselbiet kleine Gemeinden zu Zweckverbänden zusammen – zum Beispiel bei der Schule, bei der Feuerwehr, bei der Wasserversorgung, im Forstwesen, in der Sozialarbeit, ja selbst bei der Verwaltung.
Streckeisen, in Sachen Gemeindezusammenschlüsse sehr erfahren, warnt zudem, dass Fusionen erstens eine sehr komplexe Vorarbeit benötigen und zweitens bestimmt zu keinen Einsparungen führen: «Es gibt kein Betty-Bossi-Rezept für Fusionen.» Auch betont er, dass in keinem anderen Land die Autonomie von Gemeinden so ausgeprägt sei wie in der Schweiz. Das führe auch dazu, dass wir uns stark mit unserer Gemeinde identifizieren. «Je kleiner das Dorf, umso höher die Identifikation», sagt Peter Streckeisen.
Ein heikles Dossier
Die Gemeindevertreterinnen und -vertreter verfolgen in den Stuhlreihen im «Cheesmeyer» die Ausführungen interessiert, auch wenn das Podium auf die drängenden Fragen an den Gemeinderatstischen im Oberbaselbiet keine erlösenden Antworten erwartete. Wie finden wir neue Rats- und Kommissionsmitglieder? Wie halten wir die Jungen im Dorf oder holen sie zurück?
Beim Austausch nach dem Podium fragt zum Beispiel Nadia Jermann, die Gemeindepräsidentin von Buus, in die Apéro-Runde auch, wie es zu schaffen sei, aus der Abhängigkeit von den Gebergemeinden zu finden. Wie finden wir aus der Situation heraus, dass sich der Dorfkern entvölkert und dafür am Dorfrand neue Häuser wachsen?
Gerade die Raumplanung erweist sich da als heikles Dossier. Während Grossgemeinden dafür über geschultes Verwaltungspersonal verfügen, sind im Oberbaselbiet viele Gemeinderäte überfordert. «Hier wäre es hilfreich, wenn der Kanton oder der VBLG etwas Nachhilfe für neue Mitglieder anbieten würde», sagt Ferdinand Bolinger, der im Känerkinder Gemeinderat für den Hoch- und den Tiefbau verantwortlich ist. Er rennt damit bei Regula Meschberger offene Türen ein. Die VBLG-Präsidentin verspricht: «Nach der Pandemiepause sind wir am Planen.»