«Etwas tun, nicht nur wollen»
27.10.2022 Baselbiet, Bezirk LiestalEBL-Energie- und Klimagipfel: Plädoyers für die Wende
«Ende der Utopien – Schweizer Energiesystem am Wendepunkt?», fragte die Genossenschaft Elektra Baselland an ihrem zweiten Energie- und Klimagipfel an der ETH Zürich. Die Referate der Fachpersonen ...
EBL-Energie- und Klimagipfel: Plädoyers für die Wende
«Ende der Utopien – Schweizer Energiesystem am Wendepunkt?», fragte die Genossenschaft Elektra Baselland an ihrem zweiten Energie- und Klimagipfel an der ETH Zürich. Die Referate der Fachpersonen machten klar: Es braucht die Energiewende und sie ist möglich.
Tobias Gfeller
Klimakrise, Lieferkrise und Energiekrise – der lokale Gastgeber Christian Schaffner, Direktor des Energie- und Wissenschaftscenters der ETH Zürich, ging gleich in medias res. Die Klimakrise sei die grösste dieser drei aktuellen Herausforderungen. Trotz der düsteren Aussichten verbreitete Schaffner aber sogleich auch Optimismus. Positiv sei, dass alle drei Herausforderungen ähnliche Lösungen benötigen. Dazu machte Schaffner klar: «Neben all diesen Krisen gibt es ganz viele Chancen.» Die Schweiz sei traditionell ganz gut darin gewesen, Chancen zu nutzen, fuhr Christian Schaffner optimistisch fort und nannte dafür die Kehrichtverbrennung und die Wasserkraft sowie die Technik, die sich dabei entwickelte, als Beispiele.
Auch der eigentliche Gastgeber Tobias Andrist, seines Zeichens CEO der Genossenschaft Elektra Baselland (EBL), analysierte in seiner Begrüssungsansprache die aktuelle Situation. «Momentan sind wir in einer extremen Energiesituation in Europa.» War früher günstige Energie für die Versorgungssicherheit selbstverständlich, sei die Unsicherheit heute gross.
Das Ziel müsse sein, so Andrist, ein klimaneutrales, bezahlbares und sicheres Klimasystem aufzubauen. «Das sind wir den nachfolgenden Generationen schuldig.» Damit dies gelingt, braucht es Wissen und eine langfristige Perspektive von der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Der EBL-CEO sprach von «einer der grössten Generationenaufgaben unserer Gesellschaft. Es braucht viel mehr Investitionen als bis anhin». Man dürfe sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, mahnte Andrist und kritisiert: «Wir haben in den letzten 20 Jahren nicht sehr viel gemacht. Wir brauchen Leute, die etwas tun und nicht nur wollen.»
Investitionen erhöhen
Die EBL lud zu ihrem zweiten Energie- und Klimagipfel namhafte Fachpersonen nach Zürich ein. Den Auftakt machte Anthony Patt, Professor für Klimaschutz und -anpassung an der ETH Zürich und einer der Hauptautoren des sechsten Weltklimaberichts. Seine Botschaft war von Beginn weg unmissverständlich: «Wir müssen auf null Emissionen kommen – so schnell wie möglich.» Neusten Berechnungen des Energie- und Wissenschaftscenters der ETH Zürich zufolge würde Netto-Null bis 2050 «gar nichts kosten» und sogar Geld sparen, so Patt zum häufig formulierten Einwand, das Erreichen von Netto-Null würde wirtschaftliche Einbussen zur Folge haben. Gemäss der vorgestellten Formel müssen dafür die kohlenstoffintensiven Energieträger auf null zurückgefahren werden. Um dies zu erreichen, müssen diese «schmutzigen» Energieträger jährlich um 4 Prozent zurückgehen. Dafür müssten in der Schweiz die jährlichen Investitionen in kohlenstofffreie Energien um den Faktor drei erhöht werden, rechnete Anthony Patt vor.
Physikerin Almut Kirchner, eine der meistbeachteten Expertinnen im deutschsprachigen Raum, sprach wie Tobias Andrist davon, dass die Schweiz in der Vergangenheit zu zaghaft unterwegs war. «Es ist nicht viel Grünes dazugekommen. Wir machten es uns im stabilen Wasserkraft- und Kernkraftblock gemütlich.» Kirchner geht davon aus, dass der grösste Teil an zusätzlichen erneuerbaren Energien von der Photovoltaik kommen muss. Das Aufbautempo müsse sich in etwa verdreifachen, schloss sich Almut Kirchner nahtlos Anthony Patt an. Für die Physikerin ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es in diesem Winter zu einer Strom- und Energiemangellage kommt. «Die Speicher bringen uns nicht durch den ganzen Winter, sondern nur durch einen bis eineinhalb kalte Monate.»
Landschaftsschutz weniger wichtig
Mit Blick auf die Preise sprach EBL-CEO Tobias Andrist in der abschliessenden Podiumsdiskussion von «Signalen der Knappheit» und dass die aktuelle Situation mit nichts zuvor vergleichbar sei. Mehrfach kam im Livechat der Internet-Videoübertragung die Frage auf, inwiefern Wasserstoff Teil der Lösung sein kann. Nurettin Tekin, Wasserstoff-Produktmanager bei Kawasaki, stellte klar: «Ich glaube, dass wir gar nicht den Luxus haben, aus Technologien auszuwählen und Technologien auszuschliessen.» Am Ende des Tages habe jede Technologie Vor- und Nachteile. «Wo die eine Technologie an ihre Grenzen stösst, kann eine andere übernehmen.» Dem stimmte Anthony Patt zu. In der Mobilität sieht dieser Strom im Vergleich zu Wasserstoff klar im Vorteil.
EBL-CEO Tobias Andrist rief am Ende des Energie- und Klimagipfels zum Handeln auf und lieferte ein dezidiertes Plädoyer dafür, die Versorgungssicherheit im Vergleich zum Landschaftsschutz noch weiter zu priorisieren. Das bis jetzt Beschlossene reiche nicht aus.