Die Stimme des Volks würdigen
01.09.2022 Bezirk Sissach, RegionJanis Erne
Ihr gefalle der Name dieser Zeitung, sagt die Künstlerin Jacqueline Borner: «Die ‹Volksstimme› – oder andersherum: ‹Die Stimme des Volks› – gibt den Leuten in der Region eine Plattform, um sich öffentlich äussern zu können.» Die Sissacherin hat ...
Janis Erne
Ihr gefalle der Name dieser Zeitung, sagt die Künstlerin Jacqueline Borner: «Die ‹Volksstimme› – oder andersherum: ‹Die Stimme des Volks› – gibt den Leuten in der Region eine Plattform, um sich öffentlich äussern zu können.» Die Sissacherin hat bei der Gestaltung des heutigen Zeitungskopfs deshalb verschiedene Begriffe mit den Wortteilen «Volk» und «Stimme» verwendet. Hinter den grossen Ziffern des Gründungsjahres blicken etwa «Engelsstimme» oder «Volksbildung» hervor. Letzterer Begriff weist nicht nur eine Konnotation mit dem Namen der Lokalzeitung auf, sondern auch mit deren Gründung: 1882 wurde die «Volksstimme» von einem Komitee gegen die Schaffung einer Bundesstelle für die Primarschule erstmals herausgegeben.
Der Zeitungskopf wirkt dank der Gestaltung mit der pinken Farbe aber keineswegs altbacken, sondern viel eher: modern. Das traditionelle Layout wird für einmal «aufgepeppt». Auch sonst arbeitet sie gerne mit starken Farben, «am liebsten mit Türkis und Orange», so Borner. Und als die Anfrage kam, eine Geburtstagsausgabe der «Volksstimme» mitzugestalten, habe sie sogleich zugesagt. Denn die Künstlerin kennt Doris Schaub von der Besitzerfamilie seit Längerem: von der Kunstkommission der Gemeinde Sissach und von Anlässen in der Oberen Fabrik. Das Kulturprogramm des Sissacher Gewerbe- und Kulturhauses hat Borner mit ihrem ehemaligen Partner Martin Zihlmann seit der Jahrtausendwende mitaufgebaut.
In den Räumlichkeiten der Oberen Fabrik beim Gerbegässlein empfängt uns Borner an einem heissen Sommertag. In ihrem kühlen Atelier im Untergeschoss mit Gartenzugang und wunderschönem Blick auf die Ergolz stellt sie ihre Kunst vor. Überall stehen oder hängen Bilder – in unterschiedlichsten Farben und Grössen. Auch die Motive unterscheiden sich oft von Werk zu Werk. Ihr eigener, authentischer Stil und ihre «Handschrift» sind aber immer deutlich zu erkennen. Sie zeigt uns Quallen, Eizellen, Mikroorganismen, Gestirne, Ellipsen, Kreise und Verflechtungen. Es sind archaische Formen – strukturell und oft sphärisch anmutend.
Grenzenlose Fantasie
Von der Wand blicken lebensgrosse Fische in oranger Farbe herab. Und auf dem Tisch liegen Kugeln aus Menschenhaaren. Der künstlerischen Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Auf einer anderen Ablage liegen Fotografien: Makroaufnahmen eines Spinnengewebes, das einem Kosmos in einer irdischen Struktur ähnelt. «Ich liebe das Kleine und das Unscheinbare, das Detail. Darin sehe ich die ganze Welt.» Die Künstlerin streift sehr oft mit der Kamera durch die Natur und findet dort Motive für ihre Arbeit. Auch Kurztrips in fremde Städte und Ortschaften sind ihr wichtig als Inspiration. Meistens arbeitet die Sissacher Künstlerin aber mit Farbe – und mit Schichten. Sie betreibe eine Art «Bildhauerei auf Leinwänden», beschreibt Borner schmunzelnd ihr Schaffen. Schicht für Schicht werden verschiedene Farben aufgetragen – und dann wieder abgetragen und abgeschliffen, bis ein Motiv oder eine spannende Struktur entsteht. Durch die verschiedenen Farbschichten auf ihren Kunstwerken will Borner eine «erlebbare Tiefe» erzeugen.
Lehrerberuf als zweites Standbein
Die Künstlerin, die 1998 der Liebe wegen von Brugg ins Oberbaselbiet kam, unterreichtet als Stellvertretung in Primarschulen im ganzen Kanton das Fach Textiles Werken. «Meine Tochter ist erwachsen und ich kann deshalb flexibel von Einsatz zu Einsatz springen.» Den Kindern Freude am Handwerk zu vermitteln, ist Borner dabei ein Anliegen. Besonders mag sie Kunst-Workshops, die sie in ihrem Atelier durchführt, für Schulklassen, Kindergartenkinder und auch für Lehrpersonen. «Die Arbeit als Lehrkraft ermöglicht es mir, ohne finanziellen Druck meine Kunst zu machen und meinen eigenen Weg zu gehen. Auch wenn diese beiden Standbeine manchmal einen Spagat erfordern.»
Bis Ende August stellte sie einige ihrer Werke in der Galerie Carzaniga in Basel aus. Nun folgt Mitte dieses Monats eine dreitägige Gruppenausstellung in der «Alte Papieri», der ehemaligen Papierfabrik in Arlesheim. Diese Umgebung gefällt Borner überaus: «Ich liebe alte Gebäude, Gemäuer und Fabriken. Es sind inspirierende Orte voller Geschichte und Charakter – und Patina, die auch auf meinen Bildern erscheinen.» In solchen Umgebungen hätten ihre Lieblingsausstellungen stattgefunden: etwa im Tonwerk Lausen, in der Cheddite-Halle Lausen, im Kraftwerk Augst, im Salzhaus Brugg oder in einer Papierfabrik in Zürich. Gerne würde Borner einmal in einer schlichten Kirche ausstellen, denn von sakralen Orten sei sie besonders fasziniert.
Letztlich geht es ihr – egal, wo sie ihre Werke präsentiert – oft um die Kombination von Vorgeschichtlichem mit aktuellen Geschehnissen. So, wie sie zurzeit alte Schriften von Mönchen aus einem Kloster im Burgund mit modernen Farben beschichtet. Die Verbindung von verschiedenen Epochen gehört zweifellos zum Metier der Sissacher Künstlerin – das ist auch am heutigen Zeitungskopf eindrücklich zu sehen.
Zur Person
Jacqueline Borner, Künstlerin
Biografisches: Die 57-Jährige wurde in Schaffhausen geboren, wuchs im Aargauer Freiamt auf und zog 1998 nach Sissach. Zuvor wohnte sie lange Zeit in Brugg, wo sie das Kindergartenseminar abschloss. In Zürich besuchte sie die Schule für Gestaltung.
Wichtigste Ausstellungen: Seit 1998 hat Borner an mehr als 50 Einzel- und Gruppenausstellungen ihre Kunstwerke präsentiert. Auch in bekannten Kunststädten: etwa an der Harbour Art Fair in Hongkong (2019), in der Galerie Hammer in Basel (2012) oder in der Kunsthalle Artefiz in Zürich (2007). In Bern stellte die Künstlerin im Rahmen der Ausstellung «Frauen im Bundeshaus» aus (2021). Im Baselbiet besitzen die Gemeinden Wenslingen und Sissach, das Reinacher Grossunternehmen Endress + Hauser, die Psychiatrie Baselland und das Sissacher Alters- und Pflegeheim Mülimatt Werke von Borner.
Nächste Projekte: Vom 16. bis 18. September stellt Borner in der ehemaligen Papierfabrik «Alti Papieri» in Arlesheim aus. Vom 11. November bis 11. Dezember sind ihre Werke Teil einer Sonderausstellung zu «120 Jahre Schweizerische Gesellschaft Bildender Künstlerinnen (SGBK)» im «Sprützehüsli» in Oberwil. Und vom 2. Februar bis 24. August 2023 findet in den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel eine Einzelausstellung von Jacqueline Borner statt.
www.jacqueline-borner.ch
14 kreative Köpfe
vs. Im September 1882 kam die erste Ausgabe der «Volksstimme» aus der Druckpresse. Zum 140. Geburtstag unserer Zeitung haben wir 14 Künstlerinnen und Künstler aus unserer Region eingeladen, den Zeitungskopf jeweils einer unserer September-Ausgaben zu gestalten. Alle bisher erschienenen Kunstwerke finden Sie unter www.volksstimme.ch.
Individuelle und originelle Kunstwerke
Im Atelier von Jacqueline Borner gleicht kein Kunstwerk dem anderen. Sowohl Motiv als auch Technik variieren stets. Die Sissacherin versteht es, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und ihre Ideen kunstvoll auf die Leinwand zu bringen – oder in Form von Bastelarbeiten an die Wand. So zu sehen auf dem Bild unten rechts mit den Fischen im Hintergrund.