140 Jahre «Volksstimme»
27.09.2022 BaselbietRettungsboot in einer wirren Welt
Zeitungskopf | Heute gestaltet von Lilot Hegi, Bühnenbildnerin aus Böckten
Jürg Gohl
Auf der Weltbühne erleben wir stürmische Zeiten. Wir alle sehnen uns bei tobender ...
Rettungsboot in einer wirren Welt
Zeitungskopf | Heute gestaltet von Lilot Hegi, Bühnenbildnerin aus Böckten
Jürg Gohl
Auf der Weltbühne erleben wir stürmische Zeiten. Wir alle sehnen uns bei tobender See nach Rettung, Ruhe und Orientierung. Das gilt erst recht für einen kulturell und politisch informierten und engagierten Mitmenschen wie Künstlerin Lilot Hegi aus Böckten. Diese Unruhe sei auch bei den Zeitungen auszumachen, sagt sie. Mitgemeint ist die «Volksstimme». Obschon sie so viel zu berichten hätten wie nie, drohen sie vor allem in ihrer herkömmlichen Papierform im digitalen, kühlblauen Meer zu ertrinken. Um dabei das Oberbaselbieter Blatt zu unterstützen, hat Lilot Hegi der «Volksstimme» als Collage ein Rettungsboot geschenkt.
«Wir lesen die ‹Volksstimme› seit Jahr und Tag. Wir wollen wissen, was in unserer Region geschieht», sagt sie, «und das soll so bleiben.» Deshalb soll ihr Werk zum 140-jährigen Bestehen der «Volksstimme» die Menschen auf diese Zeitung, zugleich auf die aktuelle Schieflage der Welt im Allgemeinen und der Zeitungen im Besonderen aufmerksam machen.
In der Region verwurzelt
Zuerst mag das Bekenntnis einer Frau, die in der Ostschweiz aufgewachsen ist, oft Hochdeutsch spricht und 20 Jahre ihres Berufslebens in deutschen Grossstädten verbracht hat, zum Oberbaselbiet und seiner Zeitung überraschend klingen. Doch das Schmeicheln ist nicht ihre Art. Sie ist mit ihrem Ehemann, dem Schauspieler Charles Brauer, sehr viel auf Reisen und in Städten unterwegs. «Da schätzen wir es umso mehr, uns in ein ländliches Gebiet zurückziehen zu können, inklusive Lokalzeitung», sagt sie. Seit 1988 wohnt sie in Böckten. Dorthin zog sie damals mit dem einjährigen Sohn Jonas zu ihrem bekannteren Mann. Zur Sicherheit kam sie zuerst nur «mit zwei Koffern», erzählt sie mit einem Schmunzeln, «doch ich fühlte mich sogleich heimisch und es gefiel mir so gut, dass zwei Jahre später die Umzugskisten folgten.» Im Dorf hat sie sich seither verschiedentlich engagiert, zuerst natürlich in der Kultur, aber auch als Mitglied der Schulpflege. Sie steuerte auch mehrere Beiträge zur Böckter Heimatkunde von 2021 bei.
Im Zügelgut von 1988 befanden sich auch Stifte, Farbtöpfe, Malblöcke und Ähnliches, denn das Malen begleitete sie bereits durch die Kindheit. Aufgewachsen in der Ostschweiz, lehrte sie ihr Vater Fritz Hegi, selber ein Maler, schon früh das Aquarellieren. «Lehrer steht bei ihm zuerst. Dann kommt der Maler», schreibt sie im Vorwort der Sammlung seiner Aquarelle über ihren Vater.
Das Los der Weisshaarigen
Ähnlich klingt es, wenn Lilot Hegi von sich selber spricht: «Mein Beruf ist Bühnen- und Kostümbildnerin, die Malerei folgt dahinter.» Wobei in vergangener Zeit die Arbeit an-Theaterhäusern ruhte. Das lag nicht alleine an Corona. Anfang 2020 schuf sie am Berner Theater noch das breit gelobte Bühnenbild für den Miller-Klassiker «Tod eines Handlungsreisenden». Es reichte zu drei Aufführungen, dann musste das Haus schliessen. Doch auch ohne Virus ist es schwieriger geworden: «Nicht nur alte, weisse Männer, sondern auch alte, weisshaarige Frauen sind am Theater in der kompliziert gewordenen Welt von heute nicht mehr gefragt», sagt sie.
Als junge Frau setzte sie sich mit ihrer Arbeit schon früh durch. Sie schloss 1971 die Kunsthochschule in Berlin als «Meisterschülerin» ab und brachte es am Schauspielhaus Hamburg bis zur Ausstattungsleiterin. Sie war schnell etabliert und arbeitete danach als «Freie» an den verschiedensten deutschsprachigen Bühnen, etwa in Wien, München und Berlin, aber auch in Basel und Bern. Hinter der Bühne fühlt sie sich wohl. Sie schätzt die Zusammenarbeit mit den Bühnenhandwerkern, Bühnentechnikern und Beleuchtern – mit den Schauspielerinnen und Schauspielern sei es hingegen oft komplizierter. Ihr Ehrgeiz beschränkt sich darauf, das richtige Bühnenbild und die passenden Kostüme zu finden.
Als sie vor zwei Jahren ihr Material zu den Bühnenarbeiten zu ordnen begann, regte ihr Sohn Jonas an, ein «Verzeichnis der Theaterarbeiten von 1978 bis 2020» in Buchform zu schaffen. Es entstand ein dicker Band mit Zeichnungen, Entwürfen, Bildern und Fotografien. Zu jedem Stück hält sie in einem zweiten, dünneren Band zusätzlich Erinnerungen und ihre Gedanken zu den Stücken fest. Bis hin zum «Tod eines Handlungsreisenden».
«Poetin des Zeichenstifts»
Bereits in diesen Skizzen lässt sich der Stil der Malerin Lilot Hegi erkennen, die von einer Zeitung einst als «Poetin des Zeichenstifts» bezeichnet wurde. Zu Recht, denn die Sprache ist ihr wichtig. Ihr gelingt es, mit grossen Farbflächen oder aber mit wenigen, silhouettenhaften Strichen eine starke Wirkung zu erzielen. Ihre Bilder, knapp und prägnant, hängen immer wieder in Galerien, zuletzt in der Basler Galerie Carzaniga. Mit dieser Ausstellung feierte die Schweizerische Gesellschaft bildender Künstlerinnen, einst die Suffragetten der Kunst, diesen Sommer ihr 120-Jahre-Jubiläum.
Doch ganz lässt sie das Theater nicht los. Anfang 2024 gibt es im Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg ein anderes Jubiläum zu feiern: 70 Jahre wird dann ihr Ehemann Charles Brauer als erwachsener Schauspieler auf der Bühne gestanden haben. In ebendiesem Haus hat diese lange Karriere begonnen. Das wird mit einem Zwei-Personen-Stück und Lilot Hegis 71. Bühnenbild gefeiert.
Zur Person
Lilot Hegi, Bühnenbildnerin
Biografisches: Lilot Hegi ist 1947 in der Ostschweiz zur Welt gekommen und aufgewachsen. Sie studierte an der Berliner Hochschule für Künste Bühnenbild und wurde «Meisterschülerin». Vier Jahre lang war sie danach am Hamburger Schauspielhaus angestellt, zuerst als Bühnenbildnerin, bald als Ausstattungsleiterin. Seither arbeitet sie freiberuflich an zahlreichen deutschsprachigen Theatern als Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie war Gastprofessorin an der Universität der Künste in Berlin.
1988 zog sie aus Deutschland zu ihrem Ehemann, dem Schauspieler und früheren «Tatort»-Kommissar Charles Brauer, nach Böckten. Neben ihrer Arbeit am Theater ist sie Malerin und bildende Künstlerin.
Wichtigste Ausstellungen: In der Region: «TonArt–TonWerk in Lausen (2012 sowie 2017), «Aussichten – Kunst im Gelände» in Sissach (2015).
14 kreative Köpfe
vs. Im September 1882 kam die erste Ausgabe der «Volksstimme» aus der Druckpresse. Zum 140. Geburtstag unserer Zeitung haben wir 14 Künstlerinnen und Künstler aus unserer Region eingeladen, den Zeitungskopf jeweils einer unserer September-Ausgaben zu gestalten. Alle bisher erschienenen Kunstwerke finden Sie unter www.volksstimme.ch.
GALERIE
Viel Theater ums Theater und schlichte Striche
Als Bühnenbildnerin und als Verantwortliche für die Kostüme investiert Lilot Hegi viel in ihre Arbeit und in ihre Kreativität, wie das Beispiel der «Zauberflöte» (unten links) zeigt. Als Malerin hingegen reduziert sie ihre Arbeit oft auf wenige Striche. Und doch ist bei beiden ihre Handschrift unverkennbar.