Paul Aenishänslin
«Eine Strom- und Gasmangellage ist für die Wirtschaft in der Region Basel ein Topthema. Es begleitet uns schon eine längere Zeit», sagt Martin Dätwyler, Direktor der Handelskammer beider Basel (HKBB). Die HKBB habe bereits vor mehr als einem Jahr auf ...
Paul Aenishänslin
«Eine Strom- und Gasmangellage ist für die Wirtschaft in der Region Basel ein Topthema. Es begleitet uns schon eine längere Zeit», sagt Martin Dätwyler, Direktor der Handelskammer beider Basel (HKBB). Die HKBB habe bereits vor mehr als einem Jahr auf die Gefahr einer Energiemangellage hingewiesen und in ihrem Themendossier «Sicher in die Stromzukunft» einen Katalog von Forderungen und Massnahmen zur Stromsicherung zusammengestellt. Zudem habe sie im Landrat eine Interpellation eingereicht, um die Versorgungssicherheit nachhaltig und langfristig zu gewährleisten.
Die geopolitischen Entwicklungen in der Ukraine verschärfen die Situation akut. Wie die Prozesse bei einer Energieknappheit ablaufen und welche Sparmassnahmen es gibt, hat die HKBB kürzlich bei einem Online-Anlass mit Fachleuten diskutiert. Das Spektrum reichte von der Optimierung von Produktionsprozessen bis hin zum Einsatz von erneuerbaren Energien. «Für den anstehenden Winter wird es in erster Linie darum gehen, Spar- und Effizienzmassnahmen realisieren zu können, um eine Kontingentierung oder gar zeitlich begrenzte Abschaltungen zu vermeiden», so Dätwyler. Das grosse Interesse mit 150 Teilnehmenden an der ersten Online-Veranstaltung habe die hohe Relevanz dieses Themas bei der Wirtschaft gezeigt. «Wir bleiben auf jeden Fall an dem Thema dran, denn es braucht noch viel Information gegenüber den Unternehmen.»
Am vergangenen Donnerstag hat schliesslich ein zweiter Online-Anlass der HKBB stattgefunden, der von rund 130 Mitgliedern besucht wurde. Von besonderem Interesse waren die Ausführungen von Dr. Lukas Küng, Chef der Ostral, der Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen, die seit mehr als 30 Jahren besteht – bisher aber kaum zum Einsatz gekommen ist.
Fünf Treiber für hohe Preise
Seit dem letzten Webinar hat sich die Lage nochmals zugespitzt: Es droht im kommenden Winter eine Stromund Gasmangellage in der Schweiz und in anderen Ländern Europas. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Küng nannte am Donnerstag fünf Treiber: etwa die sehr tiefen Strompreise in den vergangenen zehn Jahren und das schnelle Wachstum der Wirtschaft nach der Pandemie mit gestiegener Energienachfrage. Auch seien seit 2021 rund 50 Prozent der französischen Kernkraftwerke ausser Betrieb. Und der Krieg in der Ukraine stelle Gas-, Kohle- und Erdöllieferungen aus Russland infrage. Schliesslich wirken sich auch die Hitze und die Trockenheit in diesem Sommer auf die Energieversorgung aus. All dies führe dazu, dass die Strom- und Gaspreise auf dem Spotmarkt auf ein Rekordniveau geklettert sind, so Küng.
Seit 2007 gibt es in der Schweiz ein Stromversorgungsgesetz. Die Verantwortung für die Stromversorgung liegt im Normalfall beim Markt und bei der Elektrizitätswirtschaft. Im Krisenfall, beim Auftreten einer Strommangellage, würde es zu einer Planwirtschaft kommen, die vom Bundesrat gesteuert wird. Die Verantwortung würde ans Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung übergehen – und damit an die Ostral.
Und diese unterscheidet zwischen vier Krisenstufen: Zuerst würde es zu Sparappellen an die Bevölkerung kommen. Dies ist für diesen Herbst geplant. Anschliessend werden die Firmen aufgerufen, ihren Betrieb auf mögliche Stromeinsparungen zu durchforsten. Beide Massnahmen zusammen könnten bereits eine Senkung des Energieverbrauchs um bis zu 5 Prozent bedeuten. Zweitens könnte es zu Verboten und Verbrauchseinschränkungen kommen. Nicht notwendige energieintensive Anwendungen, Aktivitäten und Dienstleistungen müssten in der Wirtschaft und bei Privaten eingeschränkt werden. Drittens käme es zu Kontingentierungen für Grossverbraucher mit einem Jahresverbrauch von über 100 000 Kilowattstunden; sie müssten mit rund 15 Prozent weniger Strom auskommen als üblich. Schliesslich, als Ultima Ratio, gäbe es rotierende Netzabschaltungen für ganze Quartiere, jeweils vier oder acht Sunden lang.
Solche drastischen Massnahmen zur Einschränkung des Stromverbrauchs sind – Stand heute – aber noch nicht notwendig. Und Ostral-Chef Küng ist optimistisch, dass es der Schweiz gelingen wird, den Winter ohne eine Strommangellage zu meistern – falls die Unternehmen und Privaten im Land bereit sind, wegen der derzeit hohen Marktpreise für Gas, Strom und Erdölprodukte Energie zu sparen.