Jüdisches Leben im Baselbiet
26.08.2022 Bezirk LiestalMartin Stohler
Menschen jüdischen Glaubens wurde die Niederlassungsfreiheit im Mittelalter und auch später immer wieder vorenthalten. Das änderte sich für kurze Zeit mit der Helvetischen Republik (1798–1803). In der Folge liessen sich Lehman Dreyfus von Hegenheim in ...
Martin Stohler
Menschen jüdischen Glaubens wurde die Niederlassungsfreiheit im Mittelalter und auch später immer wieder vorenthalten. Das änderte sich für kurze Zeit mit der Helvetischen Republik (1798–1803). In der Folge liessen sich Lehman Dreyfus von Hegenheim in Gelterkinden und Moses Maus, ebenfalls von Hegenheim, in Liestal nieder, wie in einer Untersuchung des Arztes und Historikers Achilles Nordmann* zu lesen ist. Während der Restauration von 1816 und 1821 untersagten Gesetze es Juden, sich auf dem Gebiet des Gesamtkantons Basel niederzulassen. Französische Bürger, die vor 1815 in den Kanton gezogen waren, durften bleiben. Zur Zeit der Kantonstrennung von 1833 war in Liestal noch die Familie Maus ansässig, deren Wohnrecht die Basler Regierung im Dezember 1828 um sechs Jahre verlängert hatte.
Bei der Beratung der ersten basellandschaftlichen Verfassung kam die Stellung der Juden nicht zur Sprache. Es zeigte sich aber rasch, so Nordmann, «dass man in dieser Frage mit der bisherigen, von dem ungeteilten Basel eingehaltenen Politik einig ging» und «jüdische Beziehungen noch viel schroffer fernzuhalten suchte», als dies Basel-Stadt tat. Deutlich wurde dies mit dem «Gesetz die Verhältnisse der Juden betreffend», das der Landrat im November 1851 mit 25 gegen 12 Stimmen annahm.
Das Gesetz untersagte allen Juden ohne Ausnahme die Niederlassung im Kanton Basel-Landschaft sowie die Betreibung eines Handels, Gewerbes oder Berufs. Ebenfalls verboten war ihnen das Hausieren mit Mustern und Waren jeder Art sowie «das Herumtragen derselben». Erlaubt war ihnen lediglich, sie an Jahrmärkten feilzubieten. Zudem: «Wenn ein Jude unter dem Namen eines Anderen dennoch ganz oder teilweise auf eigene Rechnung einen Handel, Beruf oder Gewerbe treibt, so trifft den Namenleiher eine Strafe von 300 Franken, den Juden nebst dieser Geldstrafe sofortige Verweisung.»
Betsaal in der «Eintracht»
Die rechtliche Diskriminierung der Schweizer Juden fand erst mit der Teilrevision der eidgenössischen Verfassung im Jahr 1866 ein Ende. Zwischen 1866 und 1870 liessen sich in Baselland 130 Menschen jüdischen Glaubens nieder und bis 1880 gegen 100 weitere, die meisten von ihnen im Bezirk Liestal. Dort bildete sich 1871 eine jüdische Gemeinde, die bis 1956 Bestand hatte.
Die Zuwanderung erfolgte damals aus den beiden Aargauer Dörfern Endingen und Lengnau sowie aus Frankreich, namentlich aus Hegenheim. Anders als die Basler Juden verfügte die Liestaler Gemeinde über keine Synagoge im Sinne eines selbstständigen Gebäudes, sondern lediglich über einen Betsaal. Dieser befand sich im Restaurant Eintracht an der Rheinstrasse 12. Auf der Website alemannia-judaica.de heisst es dazu: «Das Gebäude dieser Gaststätte wurde im 18. Jahrhundert erbaut und war zunächst ein Wohnhaus. Im Zusammenhang mit dem 1853/54 erstellten Bahnhof wurde im Erdgeschoss ein Gasthof eingerichtet. Der Betsaal war im oberen Stockwerk. Bunte Innenfenster mit jüdischen Motiven gaben dem Raum eine festliche Atmosphäre und liessen auch von aussen den Betsaal erkennen.» Das Gebäude wurde 1990 abgebrochen, an seiner Stelle entstand der Neubau der UBS.
Neben dem Betsaal bestanden in Liestal auch eine Religionsschule und eine Armenkasse. Die Toten der Gemeinde wurden auf dem jüdischen Friedhof von Endingen und Lengnau oder von Hegenheim im Elsass beigesetzt. Ferner besteht seit 1903 ein jüdischer Friedhof in Basel.
Ausrichtung nach Basel
In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ging die Zahl der jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner Liestals zurück. Dies, wie es auf der genannten Website heisst, «da ländliche Orte wie Liestal wegen des Wandels der Einkaufsgewohnheiten und auf Grund der Berufsstruktur der jüdischen Gewerbetreibenden für jüdische Familien an Attraktivität verloren». Jüdische Zuwanderer liessen sich stattdessen nun in den stadtnahen Gemeinden des Bezirks Arlesheim nieder.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Zahl der Juden in Liestal weiter ab. In den 1950er-Jahren konnte in Liestal nur noch zu den wichtigen Feiertagen Pessach, Rosch Haschana und Jom Kipur die für den Gottesdienst erforderliche Zahl von zehn jüdischen Männern erreicht werden. In der Folge wurde die jüdische Gemeinde Liestal 1956 aufgelöst.
Mit Blick auf die weitere Entwicklung des jüdischen Lebens im Kanton Baselland stellt das Baselbieter Geschichtswerk «Nah dran, weit weg» fest: «Bis 1960 blieb die jüdische Bevölkerung des Kantons bei der Grössenordnung von rund 200 Personen. Danach verdoppelte sich deren Zahl bis 1990 auf rund 440, die zum allergrössten Teil im Bezirk Arlesheim leben. Entsprechend sind das Gemeindeleben und der Besuch der Synagoge auf die Stadt Basel ausgerichtet.»
*Achilles Nordmann: Die Juden im Kanton Baselland, Basler Jahrbuch 1914 (auch online). – Ferner: alemannia-judaica.de.
Zionistenkongress in Basel
vs. Der «Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG)» bezeichnet in einem Factsheet den Zionismus als eine vom Journalisten und Schriftsteller Theodor Herzl (1860–1904) begründete «jüdische Nationalbewegung», die «das Ziel hatte, einen jüdischen Staat zu gründen». Herzl legte in einer Broschüre die Grundlage eines jüdischen Staates europäischen Zuschnitts dar und berief 1897 den ersten Zionistenkongress in Basel ein. Von Sonntag bis Dienstag findet nun am Originalschauplatz im Stadtcasino Basel eine Jubiläumsfeier statt.