Die Parlamentssitze sollen gerechter verteilt werden
30.08.2022 Baselbiet, PolitikRoman Fries
Eine Portion Glück oder Pech ist bei jeder Verhältniswahl dabei. Bei der Zusammenstellung des Landrats ist diese Portion aber etwas grösser als bei anderen Parlamenten. Das zuletzt im Jahr 1981 revidierte Baselbieter Wahlrecht stösst deshalb von immer mehr ...
Roman Fries
Eine Portion Glück oder Pech ist bei jeder Verhältniswahl dabei. Bei der Zusammenstellung des Landrats ist diese Portion aber etwas grösser als bei anderen Parlamenten. Das zuletzt im Jahr 1981 revidierte Baselbieter Wahlrecht stösst deshalb von immer mehr Seiten auf Kritik. Seit dieser Überarbeitung hat die Forschung zahlreiche optimierte Wahlsysteme hervorgebracht. Deswegen wird das Wahlrecht auf verschiedenen politischen Ebenen immer wieder angepasst.
Nun soll im Kanton Baselland nachgezogen werden. Die Geschäftsleitung des Landrats als vorberatendes Organ stützt sich dabei auf Berichte des renommierten Politologen Daniel Bochsler. Dieser hat verschiedene Optionen aus wissenschaftlicher Sicht geprüft. Der Wahlrechtsexperte ist Privatdozent an der Universität Zürich sowie Professor an der Universität Belgrad und der Central European University in Wien.
Warum so kompliziert?
Was grundsätzlich simpel klingt, ist in der Realität ein überaus komplexes mathematisches Problem: Welche Partei erhält wie viele Mandate des 90-köpfigen Landrats? Der erste und einfachste Ansatz, den allseits bekannten Dreisatz anzuwenden, ist dabei bei Weitem nicht ausreichend. Berechnet man auf diese Weise aus den Wählerstimmen eine Anzahl an resultierenden Sitzen für jede Partei, so steht am Ende stets eine Zahl mit Nachkommastellen in der Auswertung. Diese muss daher entsprechend der im Wahlrecht verankerten Wahlformel gerundet werden.
Im Kanton Baselland kommt dabei eine Formel zum Einsatz, die auch als «Nationalratsproporz» bezeichnet wird – und genau bei dieser wird in den Berichten Bochslers eine erste Schwachstelle lokalisiert. Dabei wird der Quotient stets auf die nächste Ganzzahl abgerundet.
Diese Abrundung trifft kleine Parteien stärker als grosse. Angenommen, für eine Kleinpartei wird ein Quotient von 1,99 ermittelt: Dann entgeht ihr durch das Verfahren ein Sitz, der für sie einen hundertprozentigen Zuwachs bedeutet hätte. Eine starke Partei mit grossem Quotienten und vielen Sitzen spürt diesen Verlust hingegen kaum. Auch wenn es sich dabei auf den ersten Blick nur um eine kleine Rundungsdifferenz handelt, vervielfacht sich dieser Effekt. Das Problem tritt nämlich in allen vier Wahlregionen separat auf. Dadurch summiert sich der Verlust für kleine Parteien im Schnitt auf zwei Sitze im ganzen Kanton.
Kuriose Sitzverschiebungen
Ein Blick auf die momentanen Stärkeverhältnisse im Landrat bestätigt dies: Während alle grossen Parteien (SP, SVP, FDP und Grüne) überrepräsentiert sind, sind Die Mitte, EVP und GLP unterrepräsentiert. Überrepräsentiert bedeutet, dass der prozentuale Anteil an Mandaten grösser ist als der prozentuale Anteil an Wählerstimmen.
Ein Rechenschritt reicht im Baselbiet für die Zuteilung der Mandate aber nicht aus. Das geltende Wahlrecht beruht auf 12 Wahlkreisen, die aus jeweils 2 bis 15 Gemeinden gebildet werden. Die Wahlkreise sind wiederum zu den oben erwähnten 4 Wahlregionen zusammengefasst. In einem komplizierten mehrstufigen Verfahren werden dabei die für die Wahlregionen ermittelten Sitze auf die Wahlkreise verteilt. Dies wird als nur schwer nachvollziehbar und undurchsichtig eingeschätzt.
Bei der Landratswahl 2019 resultierte eine besonders kuriose Sitzverschiebung: Die EVP gewann mit nur 146 Stimmen im Wahlkreis Pratteln einen Sitz, währenddessen die CVP mit fast doppelt so vielen Stimmen leer ausging. Dies, weil die EVP im Wahlkreis Liestal mit 500 Wählerinnen und Wählern gut abschnitt. Die beiden Wahlkreise gehören derselben Wahlregion an. Unter bestimmten Voraussetzungen erfolgt im heutigen System in bestimmten Wahlregionen die Sitzzuteilung auf die Parteien ungeachtet der Wahlkreisstimmen.
Auch die Tatsache, dass nach heutigem Gesetz jedem Wahlkreis garantiert sechs Mandate zustehen, stellt einen weiteren Kritikpunkt dar. Denn dadurch wird die Stimmgewichtsgleichheit verletzt. Die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger der einwohnerschwachen Wahlkreise sind stärker gewichtet als diejenigen der einwohnerstarken Wahlkreise. Würden die Sitze rein proportional verteilt, hätten beispielsweise Gelterkinden und Waldenburg nur fünf statt sechs Mandate.
Verbesserungen in Reichweite
Die Dokumente des Experten decken aber nicht nur die genannten Schwachpunkte auf, sondern präsentieren gleich auch eine Fülle an möglichen Verbesserungen. Die Geschäftsleitung des Landrats stuft das «Doppelproporzverfahren» als am vielversprechendsten ein. Dabei wird ähnlich zur bisherigen Variante zuerst in einer Oberzuteilung kantonsweit die Anzahl Mandate jeder Partei ermittelt. Anschliessend folgt in der Unterzuteilung die Verteilung dieser Sitze auf die einzelnen Wahlkreise. Während die Wahlkreise unangetastet bleiben, spielen die vier Wahlregionen bei diesem Vorschlag keine Rolle mehr.
Durch den Einsatz der Standardrundung wird sichergestellt, dass keine Bevorzugung der grossen Parteien mehr vorliegt. Weiter ist das so auch im Kanton Zürich eingesetzte System besser nachvollziehbar und sorgt für weniger fragwürdige Sitzverschiebungen. Die Änderung soll zudem durch die Aufhebung der Mindestsitzgarantie ergänzt werden.
Volksabstimmung nötig
Der Landrat entscheidet voraussichtlich übermorgen, ob er den Regierungsrat mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Vorlage beauftragt. In jedem Fall soll aber das Volk über eine allfällige Gesetzesänderung das letzte Wort haben. Während die Idee bei einer Allianz von den Grünen bis zur Mitte Anklang findet, sehen die FDP und die SVP nur bedingten Handlungsbedarf. Für sie habe die Problematik nur geringe Relevanz und die Beseitigung der momentanen Probleme schaffe neue Angriffsflächen.
Bochsler bestätigt in den Berichten, dass selbst ein überarbeitetes Wahlrecht nicht perfekt sein könne. Und auch die Mathematik zeigt, dass perfekte Proportionalität nicht erreicht wird, denn gerundet wird so oder so.