AUSGEFRAGT | CAROLINE ZÜRCHER, GEMEINDEPRÄSIDENTIN WITTINSBURG UND JURISTIN
10.06.2022 Gesellschaft, Wittinsburg, PolitikLara Uebelhart
Frau Zürcher, wie kam es zu Ihrer Entscheidung, sich zuerst im Gemeinderat und später als Präsidentin zu engagieren?
Caroline Zürcher: Es gab damals zu wenige Kandidierende. Ohne dass ich mich aktiv zur Verfügung gestellt habe, ...
Lara Uebelhart
Frau Zürcher, wie kam es zu Ihrer Entscheidung, sich zuerst im Gemeinderat und später als Präsidentin zu engagieren?
Caroline Zürcher: Es gab damals zu wenige Kandidierende. Ohne dass ich mich aktiv zur Verfügung gestellt habe, holte ich 25 Stimmen. Allerdings musste ich abwägen, ob ich dieses Amt auch annehme oder bei der Feuerwehr bleibe. Denn ich war Oberleutnant und Mitglied des Kommandos. Für den Kommandantenkurs war ich bereits angemeldet. Entschieden habe ich mich für den Gemeinderat. Meine Motivation war, etwas zum Wohl der Allgemeinheit beizutragen, um die Zukunft des Dorfes besorgt zu sein und gute Lösungen für alle Einwohnenden zu finden. Beim Gemeindepräsidium war es so, dass sich niemand aufgedrängt hat, also habe ich es übernommen. Ich übe es gerne aus.
Welche Aufgaben machen Sie in Ihrem Amt besonders gerne?
Mir gefallen vor allem die «Aussenministertätigkeiten»: Beispielsweise Mitwirken bei der Region Oberbaselbiet, bei der Tagsatzung Basellandschaftlicher Gemeinden oder beim VSO (Verband für Sozialhilfe). Aber auch Aufgaben wie Alterswesen oder Sozialhilfe, der Umgang mit dem Personal und die Lösungssuche machen mir Spass. Und natürlich bin ich äusserst gerne Präsidentin des Feuerwehrrats – auch wenn ich in der Feuerwehr nicht mehr selber aktiv mitwirken kann.
Ist es generell ein Problem, dass sich zu wenige Kandidatinnen und Kandidaten für Ämter in der Kommunalpolitik zur Verfügung stellen? Falls ja, woran liegt das?
Ja, das ist generell ein Problem, in der ganzen Schweiz. Und besonders in den kleinen Gemeinden. Man muss das Privatleben teils zurückstellen, es geht viel Freizeit verloren. Ausserdem ist dieses Amt eher schlecht bezahlt und es ist eine Herausforderung: Bei den Gesetzen muss man immer à jour bleiben und sich mit Themen auseinandersetzen, denen man vielleicht nicht so nahesteht. Jede Person, die eine Aufgabe in einem Gemeinderat übernimmt, braucht im Hintergrund eine Familie, einen Partner oder eine Partnerin, die aktiv unterstützen.
Besonders Frauen scheinen wenig Interesse daran zu haben, in der Kommunalpolitik aktiv zu werden. Wie lässt sich das erklären?
Das ist schwierig zu beurteilen. Eine Erklärung gibt es nicht, aber es wird vermutet, dass sich Frauen weniger gerne exponieren als Männer. In kleineren Gemeinden ist man eher im Rampenlicht und steht schneller in der Kritik als im Landrat, einem grösseren Gebilde. Eigentlich wäre es eine spannende Aufgabe für eine Hausfrau mit Kindern, die tagsüber vielleicht sogar noch mehr Zeit hätte, um an Sitzungen teilzunehmen.
Warum braucht es mehr Frauen in politischen Ämtern?
Von mehr Frauen in der Politik verspreche ich mir, dass Frauenthemen anders angeschaut und ernster genommen werden. Es gibt Handlungsbedarf bei der Lohngleichheit, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Verwaltung und in der Öffentlichkeit. Unbezahlte Arbeit, also Haushalt und Familie, ist immer noch mehrheitlich Frauenarbeit. In der Schweiz wurden Frauen lange nicht ernst genommen. Erst 1971 kam bei uns das Frauenstimmrecht. Frauen verdienen heute 19,6 Prozent weniger, und 42,9 Prozent dieses Lohnunterschieds sind nicht erklärbar. Diese Themen müssen in der Politik gelöst werden, und solange es nicht mehr Frauen in der Politik gibt, ändert sich nichts. Eines Tages sollte Gleichstellung kein Thema mehr sein, sondern gelebt werden. Das ist noch nicht der Fall. Das Thema darf nicht mehr belächelt, sondern muss ernst genommen werden.
Wie könnte man Frauen motivieren, sich stärker politisch zu beteiligen und sich zu «exponieren»?
Die Frauen durch Gespräche stärken, unterstützen und ihnen erklären, dass sie ein politisches Amt ausüben können. Auch heute ist es noch so, dass sich Frauen weniger zutrauen und sich stärker abwerten als Männer. Werbeanlässe wie das Treffen mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die Frauen als Vorbilder zeigen und ein Signal setzen, sind wichtig, um die Gesellschaft zu sensibilisieren.
Sie erwähnen das morgige Treffen in Bern, an dem Gemeinde- und Stadtpräsidentinnen Frau Sommaruga treffen. Sie werden auch teilnehmen. Hat die Einladung in der Umgebung etwas ausgelöst?
Ja, alle hatten eine riesige Freude über die Einladung. Wir fahren gemeinsam mit dem Zug nach Bern: Gemeindepräsidentinnen aus drei Oberbaselbieter Tälern, darunter Mélanie Wussler aus Eptingen, Charlotte Gaugler aus Lampenberg und Sandra Bätscher aus Tenniken. Es ist eine Solidarität entstanden und ich habe Leute getroffen, die ich sonst nicht kennengelernt hätte. Wir haben gemerkt, dass wir viele gleiche Themen verfolgen, und es ist zu einer stärkeren Vernetzung gekommen.