«Wegen der Steuern zieht keiner zu uns»
22.04.2022 Baselbiet, ItingenJürg Gohl
Herr Mundwiler, 2021 ist Ihre Gemeinde um 129 Personen oder um 5,9 Prozent gewachsen. Hat es Sie überrascht, im Baselbiet damit die unangefochtene Nummer eins zu sein?
Martin Mundwiler: Natürlich war uns bewusst, dass uns 2021 ein ...
Jürg Gohl
Herr Mundwiler, 2021 ist Ihre Gemeinde um 129 Personen oder um 5,9 Prozent gewachsen. Hat es Sie überrascht, im Baselbiet damit die unangefochtene Nummer eins zu sein?
Martin Mundwiler: Natürlich war uns bewusst, dass uns 2021 ein Wachstumsschub bevorstehen würde. Schliesslich kann jede Gemeinde via Quartierplanung diese Entwicklung zu einem gewissen Grad mitsteuern. Aber wir haben nie einen Gedanken daran verschwendet, diesbezüglich in einer kantonalen Statistik an erster Stelle zu erscheinen. So gesehen sind wir überrascht.
Itingen hat in den vergangenen Jahren reichlich in die Schulen investiert. Sind Sie von der Infrastruktur her gerüstet für die neuen Bewohnerinnen und Bewohner?
Das darf ich bejahen. Wir sind gut aufgestellt. Im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinden ist Itingen reich an Kindern. Wegen der Schulplanung richten wir immer ein spezielles Auge auf diese Zahlen. Der Anteil der Kinder unter den 129 Neuzuzügern liegt hingegen eher unter den Erwartungen. Der neue Wohnraum entspricht zudem mittleren und gehobeneren Ansprüchen. Er zog viele kinderlose Paare an, was – offen gesagt – mit Blick auf die Steuereinnahmen erfreulich ist.
Hinter Ihnen folgen Lausen und als Vierter Zunzgen. Itingen und Ihre beiden Nachbarn sind drei ähnlich strukturierte Gemeinden. Auch Sissach hat überdurchschnittlich zulegen können. Warum sind diese vier Gemeinden so beliebt?
Ganz einfach: Es gibt direkte Anschlüsse an den öffentlichen Verkehr sowie an die Autobahn A2 und die Schnellstrasse A22. Alle sind zudem ländlich gelegen, aber mit dem Wesentlichen ausgestattet. Nicht vergessen werden darf, dass Itingen theoretisch für jeden Arbeitstätigen einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen kann.
Im Zusammenhang mit der Pandemie wurde oft von Stadtflucht geschrieben. Spielt Corona eine Rolle?
Explizit habe ich von niemandem vernommen, er oder sie sei wegen Corona zu uns «geflohen». Aber ich will es nicht ausschliessen, dass Leute aus der Stadt oder der Stadtnähe bewusst mehr Raum und Luft suchten und wir gerade das Gesuchte bieten konnten.
Ihr Steuerfuss liegt bei 63 Prozent. Wie wichtig ist dieser Faktor in Ihren Augen?
Wenn die Steuerbelastung ein entscheidendes Kriterium für die Wahl des Wohnorts wäre, läge Itingen in dieser Statistik nicht an erster Stelle. Für Normalverdienende zählen die anderen, bereits genannten Faktoren weit mehr: Anbindung, Natur, Infrastruktur. Nach Itingen zieht niemand wegen der Steuern.
Wie stufen Sie nach diesem Wachstumsschub die langfristigen Perspektiven für Itingen ein?
Das vergangene Jahr war ein ausserordentliches. Ich sehe auf lange Sicht für uns 2600, maximal 2700 Einwohnerinnen und Einwohner. An Nachbar Lausen werden wir nie heranreichen.
Wie viel Zeit lassen Sie den Neuen, bis sie es verinnerlicht haben, «Ütige» zu sagen?
Allen ist empfohlen, an unserem Banntag mitzumachen. Das ist der mit Abstand wichtigste Familienanlass im Dorf. Dann wird sich die Sache mit dem «Ütige» von selbst ergeben.