«Natürlich darf man Zigeuner sagen»
12.04.2022 Bezirk Sissach, WittinsburgAm Freitag wurde trotz stürmischen Wetters der neue Rastplatz «Holchen» auf Wittinsburger Boden eingeweiht. Mit dabei waren neben Vertretern der Regierung und der Gemeinde Wittinsburg auch fahrende Jenische und interessierte Besucherinnen und Besucher aus der Region.
Brigitt ...
Am Freitag wurde trotz stürmischen Wetters der neue Rastplatz «Holchen» auf Wittinsburger Boden eingeweiht. Mit dabei waren neben Vertretern der Regierung und der Gemeinde Wittinsburg auch fahrende Jenische und interessierte Besucherinnen und Besucher aus der Region.
Brigitt Buser
2000 bis 3000 Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz pflegen heute in der Schweiz ein Nomadenleben. Gemeint sind Fahrende oder Fahrende Gemeinschaften – früher auch Zigeuner genannt –, die seit Generationen von Ort zu Ort ziehen, vorzugsweise in den wärmeren Monaten des Jahres. Dabei gehen sie nicht nur traditionellen Arbeiten wie Pfannen-, Kesselund Schirmflicken, Scherenschleifen, Korbflechten und -flicken, sondern auch ihren, auch für uns ganz normalen Berufen nach.
Damit dies aber möglich ist, sind sie auf Stand- und Durchgangsplätze angewiesen. Das Bundesgericht hielt im Jahr 2003 fest, dass Bund, Kantone und Gemeinden für eine ausreichende Anzahl von Stand- und Durchgangsplätzen für Fahrende sorgen müssen. Verankert ist dies im Gesetz über die Raumplanung. Noch heute fehlt es schweizweit an 20 bis 30 Stand- und rund 50 Durchgangsplätzen, damit Schweizer Fahrende ihre traditionelle Lebensweise pflegen können.
Einer dieser Plätze liegt seit rund 30 Jahren kurz vor der Sommeraukurve auf Wittinsburger Gemeindegebiet und wurde im vergangenen Jahr für rund 1,2 Millionen Franken erneuert. Nun gestaltet sich einerseits der Aufenthalt für die Fahrenden attraktiver und bequemer, andererseits kann die Anlage kostendeckend betrieben werden. Denn alle Fahrenden müssen für den Aufenthalt auf dem Stand- oder Durchgangsplatz eine «Miete» vor Ort und im Voraus bezahlen.
Da die meisten Fahrenden nur während der Sommermonate unterwegs sind, wurde der Standplatz erst vergangenen Freitag von Regierungsrat Isaac Reber und Caroline Zürcher, Gemeindepräsidentin von Wittinsburg, eingeweiht. Umgeben von einer Fotoausstellung aus längst vergangenen Zeiten verweilte man anschliessend in regem Gesprächsaustausch.
Vielfalt der Sprachen
Auch am nächsten Tag versammelten sich interessierte Personen mit vielen Fragen, diesmal draussen um ein wärmendes Feuer. Eine Frage, die vielen auf der Zunge brannte, war, ob man den Fahrenden denn überhaupt noch Zigeuner sagen darf, wird diese Bezeichnung doch für wanderlustige Menschen nicht nur im positiven Sinn verwendet. «Natürlich darf man das, es handelt sich dabei um den Sammelbegriff aller Fahrenden, ob Jenische, Roma, Sinti oder Manische», erklärte Alfred Werro, Mitglied des Stiftungsrats «Zukunft für Schweizer Fahrende» mit Familie geduldig.
Auch gehen die Kinder in die Schule: Im Winter an ihrem registrierten Wohnort, im Sommer erfolgt der Unterricht per Homeschooling. Manchmal ist nur die für das Einkommen verantwortliche Person unterwegs. Ebenfalls gibt es Zigeuner, die einen festen Wohnsitz haben. Auch sprechen sie eine eigene Sprache: Die Sprache der Sinti ist indoeuropäischer Herkunft, die Sprache der Jenischen stammt eher aus dem Germanischen (Jiddisch), manche Dialekte leiten sich vom Slawischen her ab, bei den Roma auch indoiranisch, wobei jede Sippe ihre eigene Sprache pflegt.
Nicht wie im Lied «Lustig ist das Zigeunerleben, brauchen dem Kaiser kein Zins zu geben», muss das heutige fahrende Volk Steuern bezahlen und auch versichert sein.
Früher waren die Zigeuner Händler. Sie brachten Möbel sowie andere Gegenstände in die Dörfer und boten ihre handwerklichen Dienste an. Später übernahmen dies Hausierer, dann gab es Geschäfte und heute sind Pfannen, Kessel und Scheren, wie vieles andere auch, zur Billigware mutiert. Flicken war plötzlich out. Nicht so beispielsweise in vielen Hotels. Hier lässt man auch heute noch die Eisenpfannen oder grosse Schneidebretter reparieren oder reinigen und Messer und Scheren schleifen. Damit laufend Aufträge hereinkommen, muss man sehr gut vernetzt und natürlich auch flexibel sein. Nur so läuft es im Zigeunerleben rund und so macht es auch Spass.