Kein Denkmal für Helene Bossert
28.04.2022 BaselbietRegierungsrat sieht keinen Grund für weitere Rehabilitierung
Die Baselbieter Regierung will keine weitere Rehabilitierung der Sissacher Mundartdichterin Helene Bossert. Hingegen sollen Fälle von Diskriminierung während des Kalten Krieges im Baselbiet aufgearbeitet ...
Regierungsrat sieht keinen Grund für weitere Rehabilitierung
Die Baselbieter Regierung will keine weitere Rehabilitierung der Sissacher Mundartdichterin Helene Bossert. Hingegen sollen Fälle von Diskriminierung während des Kalten Krieges im Baselbiet aufgearbeitet werden.
David Thommen
Es Dänkmol – bhüetis – wet ekäis.
Diese Passage aus einem Gedicht von Helene Bossert (1907–1999) hat es mittlerweile zu einiger Berühmtheit gebracht. Denn ein Denkmal – oder zumindest einen Platz oder eine Strasse mit ihrem Namen – wird entgegen Bosserts Aussage im Gedicht seit einiger Zeit für sie gefordert (siehe Kasten). Damit soll die Sissacher Mundartdichterin, die wegen ihrer Reise in die Sowjetunion im Jahr 1953 verfemt wurde, geehrt und rehabilitiert werden. In zahlreichen Zeitungsartikeln in der jüngeren Zeit wurde Bossert als Opfer einer irrationalen antikommunistischen Paranoia dargestellt. Zuletzt wurde – und wird bald wieder – Bosserts Geschichte auch in einem Theaterstück im Sissacher «Cheesmeyer» thematisiert.
Im Baselbieter Parlament ist SP-Landrat Linard Candreia (Laufen) aktiv geworden. In einer Interpellation stellt er fest, dass «Bossert und ihrer Familie damals Schlimmes widerfuhr». Es sei eine regelrechte Hetzjagd der übelsten Art in Gang gesetzt worden. Sogar der Begriff «Hexe» sei gefallen. Bossert habe auch ihre Anstellung beim Schweizer Radio verloren. Jetzt stehe der Kanton in der Verantwortung und müsse Wiedergutmachung betreiben, so Candreia: «Es ist höchste Zeit, Helene Bossert auf kantonaler Ebene zu rehabilitieren.»
Bereits rehabilitiert
Am Dienstag hat die Baselbieter Regierung eine wortreiche Beantwortung der Interpellation vorgelegt. Die Kurzfassung: Eine Rehabilitierung wird abgelehnt. In rechtlicher Hinsicht bestünden keine Urteile, Beschlüsse oder Ähnliches, die mittels einer Rehabilitierung rückgängig gemacht werden könnten. Und in moralischer Hinsicht sei bereits anerkannt worden, dass Bossert diskriminiert worden ist. Dies sei 1988 im Rahmen einer öffentlichen Laudatio geschehen, als die Dichterin mit dem Baselbieter Kulturpreis geehrt wurde: «Die Wiederherstellung der Ehre der betroffenen Person ist nach Ansicht des Regierungsrats bereits erfolgt.»
Ein weiterer Handlungsbedarf sei nun nicht mehr zu erkennen. Die Regierung lehnt die Forderung Candreias ab, die «Hexenkampagne» gegen Bossert als einen «exemplarischen Baustein im Geschichtsunterricht an der Volksschule» einzubauen. Und bei der Frage, ob Bossert in irgendeiner Form (zum Beispiel mit Kunst am Bau) im Zusammenhang mit dem Umbau des Regierungsgebäudes geehrt werden könnte, bleibt die Exekutive in ihrer Antwort vage. Hingegen lässt die Regierung die Bereitschaft erkennen, die Diskriminierung von Baselbieter Personen wegen ihrer politischen Einstellung während des Kalten Krieges systematisch aufarbeiten zu lassen. Eine erste Recherche in den Archiven (und Fichen) zeige, dass etliche Personen das Schicksal von Helene Bossert geteilt hätten. Kurz und meist anonymisiert dargestellt werden die Fälle von sieben Personen, die bespitzelt und (beruflich) benachteiligt wurden; darunter Helene Bosserts Ehemann Ulrich Fausch, dem «kommunistische Umtriebe» vorgeworfen wurden. Für ein solches Forschungsprojekt, welches das Staatsarchiv beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Uni Basel in Angriff nehmen könnte, müsste mit Kosten von bis zu 60 000 Franken gerechnet werden – exklusive der nachfolgenden Kosten für die Publikation, wie die Regierung schreibt.
Eine andere Sicht in der NZZ
Die heute verbreitete Auffassung, Helene Bossert sei im Anschluss an ihre Russlandreise «wäge nüt und wider nüt» schikaniert worden, wurde unlängst von der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ) kräftig gegen den Strich gebürstet: Sie werde zu Unrecht als Märtyrerin verklärt, schreibt Journalist Lucien Scherrer. Bislang unbeachtete Dokumente aus dem Staatsarchiv des Kantons Waadt zeigten, «dass die bisherigen Darstellungen des Falls auf Lügen, Schutzbehauptungen und mangelnden Geschichtskenntnissen beruhen». Im NZZ-Artikel mit dem Titel «Frauen für Stalin:
Die Moskaureise der Helene Bossert» wird dargestellt, dass in der Sowjetunion damals kurz nach dem Tod Josef Stalins grauenhafte Zustände mit Gulag, Unterdrückung und Massenerschiessungen herrschten – und Armut. Die Reise der zwölf Frauen der PdA-nahen «Schweizer Frauenvereinigung für Frieden und Fortschritt» sei eine «sorgfältig geplante Propagandaaktion» gewesen, heisst es in der NZZ. «Moskau» habe dafür viel bezahlt: Alleine ein Fernflug habe Anfang der 1950er-Jahre «oft mehr als ein neuer VW Käfer» gekostet.
Der Zweck der Reise sei «hochpolitisch» gewesen: Die Menschen aus aller Welt hätten davon überzeugt werden sollen, «dass die Sowjetunion das humanste, frauenfreundlichste und friedfertigste Land der Welt» ist. Den Schweizerinnen seien nur die schönsten Seiten der Sowjetunion gezeigt und es seien ihnen viele Lügen aufgetischt worden. Dieses positive Bild der Sowjetunion sei nach der Rückkehr der Frauen in Pressekonferenzen, Reiseberichten oder Vorträgen in der Schweiz in zum Teil überaus schwärmerischer Weise verbreitet worden. Wobei sich Helene Bossert im Vergleich zu anderen Frauen diesbezüglich eher zurückgehalten habe.
Der Oberbaselbieter Dichterin wird vor allem Naivität vorgeworfen: «Helene Bossert und ihre Reisegefährtinnen beteiligten sich an einer weltweiten Desinformationskampagne, mit der die Kommunisten Millionen Opfer des real existierenden Sozialismus verhöhnten», so die NZZ.
Z Russland gsi,
Z Russland gsi,
So die mache mer jetz hi!
So dichtete Helene Bossert an anderer Stelle bitter. Russland hatte ihr kein Glück gebracht. Und inwieweit die Angst vor Russland «irrational» und «hysterisch» ist, wird in jedem Jahrzehnt etwas anders beurteilt.
Themenweg für Sissach
tho. Im Zusammenhang mit dem «Cheesmeyer»-Theaterstück über Helene Bossert sind im vergangenen Spätsommer Unterschriften für eine Petition gesammelt worden, mit der gefordert wird, dass «eine Gasse, ein Platz oder eine Brücke» in Sissach den Namen der Mundartdichterin erhält. Mit dieser Frage hat sich in der Zwischenzeit die Sissacher Kulturkommission befasst und mittlerweile hat der Gemeinderat einen Beschluss dazu gefasst: Geprüft wird ein interaktiver Themenweg ab Helene Bosserts ehemaligem Wohnhaus im Gebiet Bützenen bis zur Exotic-Vogelvoliere. Mit dem Themenweg soll allerdings nicht ausschliesslich an Helene Bossert erinnert werden, sondern auch an weitere verstorbene Sissacher Persönlichkeiten, die Ausserordentliches geleistet haben – seien es Künstler oder Industrielle. Man befinde sich derzeit allerdings erst im Ideenstudium, wie Gemeinderat Robert Bösiger auf Anfrage sagt.