Kanton lässt Ruine bewachen
22.04.2022 Bauprojekte, Gemeinden, Bezirk Sissach, SissachChristian Horisberger
Seit am Gründonnerstag die Bagger das Areal der früheren Tschudy AG verlassen haben, liegt eine gespenstische Ruhe über dem Gelände mit der teilweise zerstörten Villa, für die eine Unterschutzstellung zur Debatte gestanden hatte (siehe ...
Christian Horisberger
Seit am Gründonnerstag die Bagger das Areal der früheren Tschudy AG verlassen haben, liegt eine gespenstische Ruhe über dem Gelände mit der teilweise zerstörten Villa, für die eine Unterschutzstellung zur Debatte gestanden hatte (siehe «Volksstimme» vom Mittwoch). Die Neugierigen haben sich an der Ruine sattgesehen.
Was aus dem Haus werden soll, und welche Konsequenzen das Handeln von Eigentümer Laurent de Coulon hat, wird derzeit an Schreibtischen und in Sitzungszimmern von kommunalen und kantonalen Amtsstellen beurteilt. Zu einem späteren Zeitpunkt allenfalls auch von einem Gericht: Die Baselbieter Bau- und Umweltschutzdirektion (BUD) prüft bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen die involvierten Personen – wegen widerrechtlichen Abbruchs der Villa.
Damit das teilweise abgerissene Gebäude während der Abklärungen keinen weiteren Schaden nimmt, wurde offenbar vorgesorgt. Seit vorgestern wacht ein Angestellter eines Sicherheitsdienstes über das Gelände, wie die «Volksstimme» festgestellt hat. Dies «zum Schutz der Villa», so Andrea Bürki, Sprecherin der BUD, «wir wollen damit sicherstellen, das nicht wieder die Bagger auffahren».
Rückwirkend unter Schutz stellen
Die BUD prüfe gegenwärtig neben vielen anderen Optionen auch einen Wiederaufbau der Villa. Voraussetzung, dass die Behörde diesen anordnen könnte, wäre der Schutzstatus beziehungsweise eine rückwirkende Unterschutzstellung des 1924 erbauten Gebäudes. Ruedi Riesen, Präsident des Baselbieter Heimatschutzes, hat bereits in der «Volksstimme» vom Mittwoch die Rekonstruktion der Villa gefordert. Dafür jedoch wären einige Hürden zu nehmen: Für eine entsprechende Verfügung müsste das Haus unter Denkmalschutz stehen, was zwar vorgesehen war, aber nicht vollzogen worden ist.
Daher wäre eine rückwirkende Unterschutzstellung der Liegenschaft erforderlich. Dafür müsste die kantonale Denkmal- und Heimatschutzkommission (DHK) beim Regierungsrat eine provisorische Unterschutzstellung beantragen. Sagt dieser Ja, hat die Kommission ein Jahr Zeit, um die Schutzwürdigkeit nach fachlichen Kriterien zu prüfen und die definitive Unterschutzstellung zu beantragen – wiederum bei der Regierung. Pikant: Um ein Gebäude unter kantonalen Denkmalschutz stellen zu können, braucht es seit der jüngsten Gesetzesrevision das Einverständnis der Eigentümerschaft. Dass dieser ohne Weiteres mitzieht, ist mehr als unwahrscheinlich. «Dann muss man eben Druck aufbauen», sagt Riesen. Er könnte sich beispielsweise vorstellen, dass die Gemeinde das Grundstück, das offenbar für Wohnungen genutzt werden soll, mit einer fünfjährigen Planungszone belegt.
Schutz vor Wind und Wetter
Der Heimatschutz-Präsident ist zuversichtlich, dass die DHK den provisorischen Denkmalschutz beantragt. Dies würde auch bedeuten, dass die Ruine vor Wind und Wetter geschützt werden müsste, damit es noch etwas unter Denkmalschutz zu stellen gibt. Das möglichst rasch: Laut Wettervorhersage könnte es am Samstag regnen. Dem Vernehmen nach ist vom Kanton ein Witterungsschutz für das schwer beschädigte Haus in Auftrag gegeben worden. Gestern waren Fachleute des Kantons vor Ort. Anders als für den Sicherheitsdienst muss für den Witterungsschutz eine Verfügung des Kantons vorliegen, da für das Anbringen Privatareal betreten werden muss.
Hauseigentümer Laurent de Coulon schweigt weiter. Er nimmt weder zur möglichen Unterschutzstellung noch zu den Motiven für sein Vorgehen Stellung.
1998: Gemeinderat liess Haus nach Teileinsturz abbrechen
ch. Entfernt erinnert der Teilabbruch der Sissacher Tschudy-Villa an das Bohnyhaus in Zunzgen vor mehr als 20 Jahren: Das alte Bauernhaus im Ortskern sollte zum neuen Zunzger Gemeindezentrum umgebaut werden. Kurz nach Baustart im Dezember 1998 kam es bei Unterfangungsarbeiten zu einem Teil-Einsturz einer Giebelmauer. Daraufhin ordnete der Gemeinderat den Abbruch des gesamten Hauses an. Seinen Entscheid hatte er damit begründet, dass man die Bauarbeiter keinem Risiko aussetzen wolle, nur um die alte Bausubstanz zu erhalten, die sich als schlechter erwiesen habe als erwartet. «Der Schutz von Menschenleben kommt vor dem Heimatschutz», verkündete Gemeindepräsident Thomas Fiechter an einer Medienorientierung unmittelbar vor dem endgültigen Abbruch der Liegenschaft.
Das Umbauprojekt war unter Mitwirkung der kantonalen Denkmalschutzbehörde entwickelt worden. Den Abbruchentscheid fällte der Gemeinderat dann allerdings, ohne die Denkmalpflege beizuziehen; ein Abbruchverbot vonseiten des Kantons lag nicht vor. Dennoch trug dem Gemeindepräsidenten Thomas Fiechter das entschiedene Handeln eine Strafanzeige eines Privatklägers ein: Die Liegenschaft sei ohne Einverständnis des Souveräns vorsätzlich zerstört worden, begründete der Zunzger Einwohner Ruedi Bohny seine Anzeige.
«Weder musste ich hinter Gitter, noch habe ich auch nur 1 Franken bezahlt», sagt Thomas Fiechter gestern lachend, als sich die «Volksstimme» bei ihm nach dem Ausgang des damaligen Verfahrens erkundigte. Zu einer Anklage sei es nicht gekommen, die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren eingestellt. Fiechter hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits von der Politik verabschiedet.
Auf Parallelen zur Tschudy-Villa angesprochen, hält der einstige Gemeindepräsident fest, dass er die Hintergründe nicht kenne, daher könne er sich dazu konkret nicht äussern. Kein Geheimnis macht Fiechter daraus, dass er mit Denkmalpflege und Heimatschutz das Heu nicht auf derselben Bühne hat: Er habe sie als eine «Verhinderungsbehörde aus Idealisten» wahrgenommen, welche die Gegebenheiten, die über ihr Fachgebiet hinausgehen, nicht berücksichtigt habe: «Es ist einfach, Vorschriften zu machen, wenn andere betroffen sind und die Rechnung bezahlen müssen.» Im Fall des Bohnyhauses habe der Einsturz der Mauer letztlich dazu geführt, dass «wir heute etwas Rechtes» haben.