Für Integration und Prävention
29.04.2022 Baselbiet, Politik, GesellschaftDie Revision des Sozialhilfegesetzes kommt am 15. Mai an die Urne
Die Baselbieter Bevölkerung stimmt am 15. Mai über das revidierte Sozialhilfegesetz ab. Dies, da im Landrat das nötige Vierfünftelmehr nicht erreicht wurde. Die Revision ist wegen des Abzugs ab dem dritten Jahr von 40 ...
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Die Baselbieter Bevölkerung stimmt am 15. Mai über das revidierte Sozialhilfegesetz ab. Dies, da im Landrat das nötige Vierfünftelmehr nicht erreicht wurde. Die Revision ist wegen des Abzugs ab dem dritten Jahr von 40 Franken monatlich bei Sozialhilfebezügern umstritten.
vs./sda. Die Zahl der Personen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, nimmt zu. Die Fälle werden komplexer und die Kosten für die Gemeinden steigen. Mit der Teilrevision des Sozialhilfegesetzes haben Regierungsrat und Landrat jetzt eine Neuausrichtung der Sozialhilfe beschlossen. Diese setzt auf die beiden Pfeiler Integration und Prävention.
Die Integration in den Arbeitsmarkt bildet das zentrale Ziel der Vorlage. In den ersten zwei Jahren des Sozialhilfebezugs bestehen die besten Chancen für eine rasche Rückkehr in den Arbeitsmarkt. In diesem Zeitfenster wird das Engagement von Kanton, Gemeinden und Betroffenen verstärkt.
Aktives Bemühen soll sich lohnen: Als Wertschätzung werden ein Motivationszuschuss von 100 Franken pro Monat und ein Beschäftigungszuschuss von 80 Franken pro Monat während der ersten zwei Jahre eingeführt. Hingegen muss ab dem dritten Jahr des Sozialhilfebezugs mit einer Reduktion von 40 Franken pro Monat gerechnet werden.
Die Prävention wird neu mit der Schaffung eines Assessment Centers gestärkt. Diese Drehscheibe schliesst die Betreuungslücke zwischen Arbeitslosigkeit nach erfolgter Aussteuerung und Sozialhilfe. Die im Assessment Center zusammengeführten Institutionen und Fachleute leisten einen wichtigen Beitrag zur frühzeitigen Beratung und Begleitung. Das Center wird vom Kanton finanziert.
Umstrittener Langzeitabzug
In der Landratsdebatte war der Langzeitabzug ab dem dritten Jahr von 40 Franken pro Monat umstritten. Die SP-Fraktion beantragte dessen Streichung aus dem Gesetz: Sie beurteilte den Abzug als ungerecht, da er die schwierige Lage der Sozialhilfebeziehenden weiter verschärfen werde. Ein SP-Sprecher kritisierte das Menschenbild der SVP. Nur weil man jemandem etwas wegnehme, gehe es der anderen Person nicht besser, hiess es.
Die Mehrheit war aber der Ansicht, dass der Abzug als Anreizsetzung sinnvoll sei bei Personen, die lange von der Sozialhilfe unterstützt werden. Vulnerable Personen seien aufgrund des umfassenden Ausnahmekatalogs genügend geschützt. Finanz- und Kirchendirektor Anton Lauber (CVP) betonte, dass es bei der Umgestaltung der Sozialhilfe nicht ums Sparen gehe. Die Beträge könnten mit dem Langzeitabzug von monatlich 40 Franken nicht nur reduziert, sondern mit Zuschüssen von bis zu 200 Franken monatlich auch erhöht werden. Die Revision habe primär Prävention und Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt zum Ziel. Die Streichung des Abzugs wurde mit 47 zu 37 Stimmen abgelehnt.
Bürgerlich gegen Links-Grün
Der Rest der Vorlage war weitgehend unbestritten. Für die Revision sprachen sich SVP, FDP, CVP/GLP sowie eine Mehrheit der EVP aus. SP und Grüne lehnten wegen des Langzeitabzugs das ganze Reformpaket ab. In der Schlussabstimmung befürwortete das Parlament die Gesetzesrevision mit 53 zu 31 Stimmen. Das nötige Vierfünftelmehr lag jedoch bei 68 Stimmen. Somit wird das Baselbieter Stimmvolk über die Umgestaltung der Sozialhilfe entscheiden müssen.
Die Teilrevision des Baselbieter Sozialhilfegesetzes geht auf eine im April 2018 an die Regierung überwiesene Motion von Peter Riebli (SVP, Buckten) zurück. Die Motion sah ursprünglich vor, den Grundbedarf bei der Sozialhilfe um 30 Prozent zu kürzen und eine Motivationszulage einzuführen. Die nun verabschiedete Vorlage geht weniger weit, als von der SVP vorgesehen war.
DARUM STIMME ICH JA
Rasche, nachhaltige Integration
Peter Riebli, Landrat SVP, Buckten
Wenn man in den Zeitungen die Leserbriefe der Gegner dieser Teilrevision liest, zeigt sich, dass der sogenannte Langzeitabzug den eigentlichen Stein des Anstosses darstellt. Ansonsten wird von vielen akzeptiert, dass die Teilrevision den betroffenen Sozialhilfeempfängern viele Vorteile bietet, wie der Motivations- oder Beschäftigungszuschuss von 100 Franken oder 80 Franken pro Monat, die bessere Unterstützung während der Erstausbildung, die Übernahme der Lohnnebenkosten des Arbeitgebers bei Aufnahme einer Arbeit, die Erhöhung des Vermögensfreibetrags für Personen über 55 Jahren, die Verankerung des Kindswohls im Gesetz und so weiter.
All diese Vorteile wollen die Linken und Grünen in ihrer ideologischen Verblendung den Sozialhilfebezügern vorenthalten, und dies nur, weil Personen, die mehr als zwei Jahre Sozialhilfe beziehen, neu einen Abzug von 40 Franken pro Monat erhalten sollen. Die Chance auf eine Ablösung von der Sozialhilfe sinkt statistisch nachgewiesen nach zwei Jahren Bezugsdauer. Daher ist diese Massnahme auch als Anreiz zu sehen, sich nicht in der Sozialhilfe «einzurichten».
Es gibt aber einen ellenlangen Ausnahmenkatalog für vulnerable Personen wie Kinder, Mütter mit Kleinkindern, Personen in Ausbildung und weitere. Eine dogmatische Minderheit im Landrat argumentierte, dass der Abzug ungerecht sei und die schwierige Lage von Sozialhilfebeziehenden verschärfe. Diese Aussage spottet jeder Realität. Wenn man zur Kenntnis nähme, dass eine vierköpfige Familie monatlich zwischen 5500 und 6000 Franken Sozialhilfeunterstützung erhält (steuerfrei), würde man auch erkennen, dass dieser Langzeitabzug klar zu tief bemessen ist, um als starken Anreiz zur Aufnahme einer Arbeit dienen zu können. Und der in dieser Summe enthaltene Grundbedarf von 2134 Franken wird neu erst noch automatisch der Teuerung angepasst.
Gemäss einer Studie des kantonalen Sozialamts sind 8700 Haushalte im Baselbiet, die keine Sozialhilfe beziehen, finanziell schlechter gestellt als die 4400 Haus halte, die Sozialhilfe beziehen. Was halten wohl diese Haushalte von den Argumenten der Linken?
Wenn die SVP nicht pragmatisch, sondern auch dogmatisch entscheiden würde, hätte sie die Vorlage genau aus den entgegengesetzten Gründen ablehnen können. Aber die Vorteile überwiegen: Die besseren Chancen auf eine schnelle Eingliederung oder dank des Assessment Centers sogar die Verhinderung eines Eintritts in die Sozialhilfe sprechen klar für die Teilrevision. Dies alles sollte dazu führen, dass die Sozialhilfekosten mittelfristig stagnieren oder sich sogar leicht reduzieren könnten. Dass die 40 «sozialen» Organisationen, welche die Teilrevision ebenfalls bekämpfen, einen Rückgang der Anzahl Sozialhilfebezüger nicht gerne sehen, kann man gut nachvollziehen, verlieren sie so doch einen Teil ihrer lukrativen Pfründe.
Die Teilrevision setzt positive Anreize für eine möglichst rasche und nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt und stellt eine innovative und lösungsorientierte Weiterentwicklung der Sozialhilfe dar. Deshalb braucht es am 15. Mai ein klares Ja.
DARUM STIMME ICH NEIN
Es wird nach unten getreten
Sandra Strüby, Landrätin SP, Buckten
Wussten Sie, dass im Kanton Baselland der Grundbedarf einer Person, die Sozialhilfe benötigt, zu tief angesetzt ist? Die geltenden Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) empfiehlt einen Grundbedarf von 1006 Franken pro Monat für eine Einzelperson. Das muss unter anderem für folgende Dinge reichen: Nahrungsmittel, Getränke, Bekleidung und Schuhe, allgemeine Haushaltsführung, persönliche Pflege, Verkehrsauslagen (örtlicher Nahverkehr), Internet, Radio/TV, Bildung, Freizeit, Sport …
Im Baselbiet wird dieser Betrag bereits um rund 20 Franken pro Monat unterschritten. Nun soll weiter gekürzt werden können. Und zwar pauschal um 40 Franken, wenn jemand länger als zwei Jahre Sozialhilfe bezieht. Einem Viertel der Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger könnte so auf einen Schlag ein Teil des bereits tiefen Beitrags weggenommen werden. Übrigens: Ein Drittel der Sozialhilfebeziehenden in unserem Kanton sind Kinder beziehungsweise deren Eltern. Dieser «Langzeitabzug» trifft Menschen, die nach zwei Jahren keine Arbeit gefunden haben und deren Chancen, im Arbeitsmarkt wieder Fuss zu fassen, fortlaufend schlechter werden.
Ein paar vermeintliche «Zückerli» sind in der Teilrevision des Sozialhilfegesetzes drin, so zum Beispiel das geplante Assessment Center. Dort sollen Menschen, die finanzielle Unterstützung brauchen, beraten und begleitet werden. Doch sollte dies nicht schon heute bei den Sozialhilfebehörden in den Gemeinden geschehen? Erste Priorität muss doch sein, die Menschen so gut wie möglich zu betreuen und zu schauen, welche Angebote und Hilfe sie wo erhalten können, damit sie wieder vollständig auf eigenen Füssen stehen können.
Dass das Wissen und Können dafür nicht in jeder Sozialhilfebehörde vorhanden ist, liegt am heutigen System. Gerade in kleinen Gemeinden im Oberbaselbiet stossen die Behördenmitglieder oft an ihre Grenzen. Der zeitliche Aufwand ist gross, das Know-how fehlt zum Teil, da die Behördenmitglieder keine Profis im Sozialbereich sind. Sehr viele Behördenmitglieder geben bestimmt ihr Bestes und leisten sehr viel, die Herausforderungen sind aber enorm.
Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden wäre hier bestimmt eine mögliche Lösung. Das angepriesene kantonale Assessment Center dagegen ist ein Weg, den kein anderer Kanton bisher eingeschlagen hat. Ob sich die Kosten dafür auszahlen und der Nutzen für die Betroffenen da sein wird, ist mehr als zu bezweifeln und kann nicht wirklich abgeschätzt werden.
Oft wird vergessen, dass viele Sozialhilfebeziehende im Erwerbsleben stehen, ihr Lohn aber nicht zum Leben ausreicht. Dort könnte der Hebel angesetzt werden: Es braucht Mindestlöhne, die bei einer Vollzeitanstellung zum Leben reichen. Aber davon ist in dieser Teilrevision keine Rede. Es wird nicht versucht, Lösungen für die Ursachen der Armut anzugehen, sondern es wird nach unten getreten. Ich wehre mich gegen noch mehr Sanktionen, die Armutsbetroffene erdulden müssen. Deshalb sage ich klar und deutlich Nein zu dieser Gesetzesrevision.