AHNIG VO BOTANIK
22.04.2022 BaselbietUralt, kurz und heftig
An einem Freitag Mitte März leuchteten vier, fünf lilarote Farbtupfer an einem kleinen Baum, der bei flüchtigem Hinschauen voller Weidenkätzchen («Wyydebüseli») war. Doch drei Tage darauf sprach niemand mehr von ...
Uralt, kurz und heftig
An einem Freitag Mitte März leuchteten vier, fünf lilarote Farbtupfer an einem kleinen Baum, der bei flüchtigem Hinschauen voller Weidenkätzchen («Wyydebüseli») war. Doch drei Tage darauf sprach niemand mehr von Weiden, denn es waren jetzt Hunderte, wenn nicht Tausende von schon grösseren Farbtupfern, die sich täglich vergrösserten.
Als sie sich dann ganz öffneten, waren es wunderbare Blüten. Bereits nach einer Woche stand der Baum in voller Blütenpracht da, so schön und kräftig, wie nur eine Stern-Magnolie sich präsentieren kann. Diese Magnolien-Art, die aus Japan stammt, wird in verschiedenen Farbvariationen als Zierstrauch oder -baum gerne gepflanzt. Als dann aber der Frost und der Schnee kamen, waren bald alle farbigen Blütenblätter bräunlich verfärbt am Boden. Viel länger hätte die Blütenpracht aber kaum gedauert, da Magnolien nur wenige Tage – also kurz und heftig – blühen.
Magnolien bilden ihre Blüten bereits im Herbst des Vorjahres. Im Winter werden sie durch dicke, stark behaarte Kelchblätter geschützt. Sobald die Licht- und Temperaturverhältnisse stimmen, können sie so Knall auf Fall aufblühen. Obwohl Fachbücher darauf hinweisen, dass Magnolien so alt seien, dass sie von Käfern bestäubt werden, da es vor 250 Millionen Jahren noch keine Bienen gab, halten sich die Honigbienen in unserer Gegend nicht an das Lehrbuch, sondern besuchen die wunderbaren Blüten sehr häufig.
Die über 250 Magnolienarten sind natürlicherweise fast auf der ganzen Welt in eher wärmeren Klimazonen verteilt. Sie fehlen aber in Afrika, Australien, Europa und Nordasien. Sie werden wegen ihrer eindrücklichen Blütenpracht sehr oft als Zierbäume gepflanzt. Wie beim Schlehdorn oder unseren Kirschen spriessen auch bei den Magnolien die grünen Blätter erst dann, wenn die Blüte vorbei ist. Das erhöht die Blütenwirkung und somit die Attraktivität.
Die Magnolien gehören zu den ältesten bedecktsamigen Blütenpflanzen. Bei den Bedecktsamern sind die Früchte von einer geschlossenen Fruchtwand umgeben, während das bei den noch altertümlicheren Nacktsamern, wie den Föhren und Tannen, nicht der Fall ist. Magnolien sind sehr früh in der Entwicklungsgeschichte entstanden, das heisst vor 200 Millionen Jahren. Wie andere ähnliche alte Blütenpflanzen haben sie meist viele Fruchtknoten, viele Kron- und Staubblätter. Das sind typische sichtbare Merkmale für so früh entwickelte Arten. Zu ihnen gehören auch die einheimischen See- und Teichrosen, die Haselwurz, der Lorbeer und die Osterluzei. Ihr Alter und ihre Position im Stammbaum der Entwicklung ist so eigenständig, dass sie heute in eine grosse Pflanzengruppe, die «ursprünglichen Bedecktsamer», zusammengefasst werden. Dank der Genomanalyse können sie auch eindeutig von den etwas jüngeren Einkeimblättrigen und Zweikeimblättrigen unterschieden werden.
Der Name der Magnolie ist zu Ehren des französischen Botanikers Pierre Magnol (1638–1715) gewählt worden, der die Familie als Erster beschrieben hat. Magnolien dienen weltweit mit ihren wunderbaren Blüten unserem Wohlbefinden und zeigen uns auf, dass Schönheitsmomente oft kurz und heftig sind. Zur Verlängerung dieser Momente ist bis heute kein Kraut gewachsen.
Andres Klein ist Biologe. Er lebt in Gelterkinden.