Damit der Hosenlupf stilecht gelingt
25.03.2022 Baselbiet, Sport, Region
Robert Bösiger
Bei unserer Ankunft am Wohn- und Arbeitsort von Paul Eggimann im Ortsteil Grünen von Sumiswald im Emmental ist es noch Winter. Aus seiner idyllischen Werkstatt blickt Eggimann von seiner Arbeit auf und winkt uns durchs Fenster zu sich ...
Robert Bösiger
Bei unserer Ankunft am Wohn- und Arbeitsort von Paul Eggimann im Ortsteil Grünen von Sumiswald im Emmental ist es noch Winter. Aus seiner idyllischen Werkstatt blickt Eggimann von seiner Arbeit auf und winkt uns durchs Fenster zu sich herein.
Der Mann hat vermehrt Besuch dieser Tage – von Medien ebenso wie von Mitgliedern helvetischer Schwingklubs. Denn ohne den 67-Jährigen hätten die Schwinger landauf, landab buchstäblich nichts Rechtes anzuziehen: Paul Eggimann fertigt Schwingerhosen und ist damit hierzulande derzeit nur noch einer von zwei Herstellern.
«Fürs ‹Eidgenössische› habe ich die Hosen längst geliefert», begrüsst uns Paul Eggimann und fragt im gleichen Atemzug, ob er uns einen Kaffee offerieren dürfe. Aus der Thermosflasche giesst er heisses Wasser aufs Pulver und erzählt uns, dass die von ihm gelieferten 100 Paar Hosen nun bei den diversen Schwingklubs eingeschwungen würden. «Denn wenn die Hosen neu sind, sind sie noch ziemlich ‹gstabig›.» Erst durch den Gebrauch werden sie sukzessive etwas geschmeidiger.
Alles Handarbeit
Eggimanns Hosen sind begehrt in Schwingerkreisen. So fertigt er pro Jahr mehrere Hundert Stück davon. Die Hosen aus extrem strapazierfähigem Leinenstoff und die Gürtel aus heimischem Rindsleder stellt der gelernte Sattler/Polsterer eigenhändig her. Den Stoff bezieht er rollenweise aus Slowenien. Zunächst zeichnet er mit Schablonen die Umrisse der Hosen, dann schneidet er sie aus und näht sie auf seiner bewährten «Dürrkop Adler»-Maschine sorgfältig und mehrfach zusammen. Die besonders strapazierten Partien müssen möglichst stabil vernäht und zum Teil noch mit Leder verstärkt werden.
Es liegt auf der Hand, dass Eggimann üblicherweise in Serien arbeitet. «Auf die einzelne Hose bezogen brauche ich um die zwei Stunden Arbeit pro Stück», berichtet er. Er fertigt Hosen in fünf Grössen, wobei er von der Sondergrösse 0 nur wenige Exemplare produziert – für schwergewichtige Schwingertypen wie Stucki Christian oder Räbmatter Patrick.
Erfolgreich umgesattelt
Wenn die Schwingerhose gut behandelt werde, halte sie nahezu ewig, erklärt Eggimann. Waschen müsse man sie nicht, nur gut ausschütteln und zum Trocknen aufhängen. Leider sei es in der Praxis oft so, dass die Hosen nach dem Hosenlupf einfach auf den Boden geworfen würden, wo andere vielleicht noch drüberlaufen. «Trägt man nicht Sorge, beginnen die Hosen zu grauen – und sie können reissen», sagt Eggimann.
Selber hat Paul Eggimann übrigens nur als Jugendlicher geschwungen. Denn schon als Bub musste er im väterlichen Betrieb mit Hand anlegen. Weil die Sattlerei damals noch mehr Arbeit hatte – eine zentrale Auftraggeberin war die Schweizer Armee – waren Schwingerhosen noch kein Thema. Erst mit dem Wegfall der Armeeaufträge für Brotsäcke, Rucksäcke, Gürtel, Pferdegeschirr und -sättel musste sich Eggimann nach neuer «Büez» umsehen: Zunächst versuchte er es mit Boots- und Jeepblachen, dann wurden die Schwingerhosen aktuell.
Seit Jahren machen die Hosen und die Riemen, die Eggimann für Treicheln kunstvoll bestickt, nun den Grossteil des Umsatzes aus. Daran dürfte sich angesichts des anhaltenden Schwing-Booms in der Schweiz nichts ändern. Eines Tages, «wenn ich nicht mehr mag», sei dann halt Schluss, sagt Eggimann. Weil er sein Leben lang ledig geblieben ist und deshalb auch keine Kinder hat, ist es gut möglich, dass es danach keine Schwingerhosen mehr mit dem Stempel «Eggimann Sumiswald» geben wird. Doch Eggimann ist optimistisch: «Die Schwinger haben noch immer einen Hersteller gefunden. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass unsere Schwinger eines Tages in Hosen ‹made in China› ins Sägemehl steigen werden.»
Es versteht sich von selbst, dass Paul Eggimann im August dieses Jahres auf dem Festgelände des Esaf im basel-landschaftlichen Pratteln anzutreffen sein wird. Schliesslich möchte er sehen, wie sich Wicki, Wenger, Schuler & Co. in «seinen» Hosen machen und im Sägemehl schlagen. Bei der Frage nach dem Abschneiden «seiner» Berner Schwinger gibt sich Eggimann diplomatisch: «Die Berner werden ziemlich sicher viele Kränze holen, aber nicht unbedingt an der Spitze mitschwingen», glaubt er. Auch einen persönlichen Lieblingsathleten hat er nicht: «Wer am Sonntagabend zuoberst steht, der hat es auch verdient.»
So sei es.
Geschichte der Zwilchhose
rob. Betrachtet man alte Abbildungen und historische Fotos von Schwingfesten, so fällt auf: Offenbar gab es schon in früherer Zeit Schwingerhosen als Überhosen. Trotzdem bleibt die Frage: Seit wann gibt es diese Schwingerhosen wirklich?
«Eine interessante Frage», meint dazu Rolf Gasser auf die Frage der «Volksstimme». Gasser, selber ein ehemaliger Kranzschwinger, leitet beim Eidgenössischen Schwingerverband (ESV) die Geschäftsstelle. So richtig fündig wird er nicht, aber immerhin zeigt ein Blick in die erste Chronik zum 25-jährigen Bestehen des ESV (1919) Folgendes: Beim Schwingen waren seit jeher bestimmte Griffe beim Beginn des Zweikampfes vorgeschrieben. Gegriffen wurde an die Lendengurte (Hosenbändel) und an die Hosenstösse, wobei die Hosen bis fast zur Hüfte hochgekrempelt wurden. Gelegentlich, so Gasser, habe man auch «Lederriemen oder Stricke, manchmal auch Nastücher, verwendet, die um Lende und Oberschenkel gelegt wurden». Dann erst kamen die Schwingerhosen heutiger Machart auf, also die kurzen Überhosen aus starkem Leinenstoff, versehen mit einem Gürtel aus Rindsleder.
Wann genau diese offiziell eingeführt wurden, vermag Gasser nicht zu eruieren. Allerdings: «Man hat sie bereits anno 1794 am Schwingfest in Bern benutzt.»
So bleibt zu vermuten, dass die «Bösen» bis vor etwas mehr als 200 Jahren ohne Überhosen zum Hosenlupf ins Sägemehl stiegen. Um den Gegner greifen zu können, wurden die Stallhosen aufgekrempelt, für den Rückengriff ein Hosengurt umgeschnallt und für den Griff mit der Linken ein kräftiges Band um den rechten Oberschenkel gebunden.