Auch der Hintergrund steht im Vordergrund
15.03.2022 Baselbiet, Wenslingen, Kultur, Gesellschaft, Bezirk Sissach
Jürg Gohl
Wer in diesem Glashaus sitzt, darf hier zumindest Blicke werfen. Die Rede ist vom Treibhaus beim Mooshof in Wenslingen, dem letzten Gebäude ausgangs Dorf auf dem Weg nach Oltingen. Drinnen bietet sich die Aussicht auf die Wiesen und Felder der ...
Jürg Gohl
Wer in diesem Glashaus sitzt, darf hier zumindest Blicke werfen. Die Rede ist vom Treibhaus beim Mooshof in Wenslingen, dem letzten Gebäude ausgangs Dorf auf dem Weg nach Oltingen. Drinnen bietet sich die Aussicht auf die Wiesen und Felder der Hochebene, wie sie für das Oberbaselbiet nicht typischer sein kann, und auf die sie umgebenden Jura-Hügel. Drinnen gedeihen Olivenbäume. Seinen ursprünglich wirtschaftlichen Zweck erfüllt das Gewächshaus schon lange nicht mehr.
Immer wieder ist dieses Glashaus der Künstlerin Ursula Pfister aufgefallen, wenn sie von ihrer Wohngemeinde Gelterkinden über die «Schafmatt» zu Besuch nach Lostorf, dem Dorf ihrer Jugend, fuhr. Und das Gewächshaus fiel ihr wieder ein, als sie im Gespräch mit ihrem Ehemann, dem Botaniker Andres Klein, an einer neuen Herausforderung rumstudierte. Die frische Idee soll ihr über die Enttäuschung weghelfen, nachdem eine Ausstellung ihrer jüngsten Werke wie vieles zuvor wegen Corona kurzfristig abgesagt worden war.
Mehr Projekt als Ausstellung
Dieses Treibhaus passt ideal zu ihren aktuellen Werken, in denen sie sich mit Natur und Blüten auseinandersetzt. Nicht zum ersten Mal: Seit gut 20 Jahren befasst sie sich in ihrer Kunst mit diesen Themen. Das belegt auch ein Blick auf die bisherigen Ausstellungen der leidenschaftlichen Gärtnerin wie «fliegende Gärten» (2008), «Blüten treiben Blüten» (2012), «aufgeblüht» (2019) und andere.
Die Gemeinde Wenslingen und das Besitzerpaar Daniela und Martin Schneider – alle, wie sie sagt, «sehr entgegenkommend und hilfsbereit» – hat die Künstlerin auch schnell begeistern können. Vorgestern erfolgte auf dem Mooshof die Vernissage von «im Gwächshuus blüeits», wie die Ausstellung heisst. Das Wort «Ausstellung» treffe es nicht ganz, korrigiert Ursula Pfister. Sie spricht lieber von einem Projekt, weil es ihr hier nicht alleine um die aufgehängten Bilder geht, sondern auch um den Ausstellungsraum, der weit mehr biete «als die weisse Wand in einer Galerie», sowie den Einbezug des Publikums.
Als die erfahrene Künstlerin erstmals mit ihren Bildern in diesem Ausstellungsraum auftauchte, sei dies für sie ein «Wow-Erlebnis» gewesen, sagt sie. Auch Kunsthistorikerin Iris Kretschmar und Andres Klein schwärmen im Katalog von der ungewohnten «Galerie». Von «einem äusserst stimmigen Raum», schreibt sie, «Kunst und Umfeld befinden sich im Einklang». Er bezeichnet ihn als «aussergewöhnlich» und «zur Herkunft der Bilder passend».
Blumentopf mitbringen
Bestandteil ist zudem, dass alle Gäste aufgefordert sind, einen Blumentopf mit nach Wenslingen zu bringen für Samen aus ihrem Garten, den die Künstlerin dort verschenkt. Auch wird sich nächste Woche eine einheimische Schulklasse mit dem Gezeigten in der eigenen Gemeinde auseinandersetzen und unter den Augen der Künstlerin gleich an Ort und Stelle selber zu den Malstiften greifen: ländlicher Raum statt Stadt.
Mit Projekten kennt sich Ursula Pfister bestens aus. 2006 liess sie in der Hanro 500 Frauen 500 Unterhemden nähen. «Das war ein Herzensprojekt», sagt sie rückblickend. Im Jahr davor sorgte sie mit «freie fahrt» für grosses Aufsehen, als sie den 20 Meter hohen Turm mit dem gelagerten Aushub, den der Bau des Chienbergtunnels zurückliess, mit 30 000 Spielzeugautos besetzen liess. «Auch bei diesen beiden Beispielen», sagt sie beim Vergleich mit ihrem aktuellen Wurf, «passt der Ort zum Gezeigten und werden die Besucherinnen und Besucher einbezogen.»
Dieses Mal passt das Treibhaus nicht alleine wegen der Natur zum Ausgestellten, sondern auch wegen seiner gläsernen Hülle. Denn die Künstlerin hat ihre Blumen und Blüten auf durchsichtige, bis eineinhalb Meter hohe Folien gemalt. Deshalb bildet die umliegende Jura-Landschaft hinter der durchsichtigen Unterlage und der Glasfassade zugleich den Hintergrund der Gemälde.
Sich wandelnder Hintergrund
Dadurch verändert sich das Bild auch je nach Wetter, Tageszeit und Perspektive: hier Wald, da Wiese, mal blauer, mal trüber Himmel, erst grelle Mittags-, dann rote Abendsonne. Umgekehrt fügt sich auch das Gezeichnete in die Umgebung ein. Da neben der Ostseite des Treibhauses das grosse Wohnhaus steht, sind dort die Bilder aufgehängt, die auf eine milchige Folie gemalt sind.
Auch die Zweige der Olivenbäume werfen häufig ihre Schatten auf die Bilder, ja sie ragen teilweise sogar ins Bild hinein. Besitzer Martin Schneider habe ihr sogar angeboten, störende Zweige zu kappen. «Das habe ich abgelehnt», erzählt Ursula Pfister, «die Zweige passen bestens zum organischen Charakter des Projekts.» Den einzigen Kontrast dazu bieten sanfte Linien, welche die Rahmen des Glashauses ziehen und die dünnen Drähte, an denen die Bilder aufgehängt sind.
Im wahrsten Sinne eingebettet sind auch die grossen, gelben Blütenkelche und die schwarzen Steine, Objekte aus Folie und Bienenwachs, welche die Künstlerin ergänzend ausstellt. Trotz ihrer Erfahrung war die Künstlerin selbst überrascht, welche Wirkung der Hintergrund auf ihre Blüten ausübt. Deshalb kehrte sie mehrmals mit einem eigentlich fertigen Bild von Wenslingen nach Gelterkinden zurück, um es im Atelier zu überarbeiten. So gesehen betrieb sie einen riesigen Aufwand für eine vierzehntägige Ausstellung.
Aber Achtung: Ihre Blumen und Blüten, die sie zum grossen Teil eigens für dieses Projekt geschaffen hat, sind nicht «härzig». Sie kommen im Gegenteil sehr archaisch daher, sind meist nur in einer Farbe und maximal in zwei gemalt. Kunsthistorikerin Iris Kretschmar schreibt von einem «expressiven Ausdruck». Sie seien «wild und ungezähmt» und würden sich «fast bis zur Unkenntlichkeit ins Abstrakte» auflösen. Und das gilt auch für die plastischen Darstellungen: Die gelben Blütenkelche sind gezackt und wirken – auf Kunstliebhaber wie auf Insekten – eher abweisend als einladend. Doch das zählt ebenso zu Pfisters Auseinandersetzung mit der Natur wie das Glashaus.
«Im Gwächshuus blüeits». Kunstprojekt von Ursula Pfister auf dem Mooshof in Wenslingen vom 13. bis zum 27. März. Geöffnet jeweils Mittwoch bis Sonntag, 14 bis 17 Uhr, oder nach telefonischer Vereinbarung (079 488 31 92). Bei der Bushaltestelle Mooshof, Parkplätze beim Friedhof. Es gelten die aktuellen Corona-Regeln des BAG. www.ursula.pfister.ch