«Kostenlose Schulen stellt auch niemand infrage»
04.02.2022 Baselbiet, Energie/Umwelt, VerkehrAusgefragt: Elena Kasper, Co-Präsidentin Juso Baselland
Vergangene Woche hat die Landeskanzlei die Vorlage zur ÖV-Initiative der Juso mit 1907 gültigen Unterschriften für zustande gekommen erklärt. Für Juso-Präsidentin Elena Kasper ist der gebührenfreie öV ...
Ausgefragt: Elena Kasper, Co-Präsidentin Juso Baselland
Vergangene Woche hat die Landeskanzlei die Vorlage zur ÖV-Initiative der Juso mit 1907 gültigen Unterschriften für zustande gekommen erklärt. Für Juso-Präsidentin Elena Kasper ist der gebührenfreie öV sowohl aus sozialen als auch aus ökologischen Gründen wünschenswert.
Raja Breig
Frau Kasper, worum geht es bei der neuen ÖV-Initiative der Juso?
Elena Kasper: Die Initiative verlangt ein kostenloses Umweltschutz-Abonnement für alle im Kanton Baselland dauerhaft niedergelassenen Personen. Das U-Abo wird bereits heute zu 50 Prozent vom Kanton subventioniert; dieser Satz soll nun auf 100 Prozent erhöht werden. Damit wollen wir den öffentlichen Verkehr attraktiver und zugänglicher machen. Für Menschen mit geringem Einkommen stellt der öV einen grossen Kostenfaktor dar, den sich nicht alle leisten können. Dabei ist die Mobilität in der eigenen Region unverzichtbar. Neben den sozialen Aspekten wollen wir auch aus ökologischen Gründen einen Anreiz für den öV schaffen. Laut dem Baselbieter Klimabericht war der Verkehr 2021 für 43 Prozent der kantonalen CO2-Emissionen verantwortlich. Ein gebührenfreier öffentlicher Verkehr soll uns weg vom motorisierten Individualverkehr führen, da dieser verstopfte Strassen, Unfälle und schlechte Luftqualität zur Folge hat.
Zu Stosszeiten sind die Züge und Busse heute schon überfüllt. Wie wollen Sie eine Überlastung der Verkehrsunternehmen verhindern?
Die Umsetzung der Initiative muss mit einem ÖV-Ausbau einhergehen. Ausbaubedarf hat dieser auch unabhängig davon – die Verbindungen sind insbesondere in abgelegeneren Dörfern und abends himmeltraurig. Die Juso arbeitet deshalb bereits an Forderungen für den ÖV-Ausbau.
Wie viel kostet die neue ÖV-Initiative?
Wie hoch die Kosten sein werden, lässt sich nicht so genau sagen. Sie hängen davon ab, wie viele Menschen das kostenlose U-Abo tatsächlich beziehen. Geht man von den bestehenden Verkehrszahlen aus, so wird es den Kanton jährlich ungefähr 46 Millionen Franken kosten. Sollten alle im Kanton wohnhaften Menschen ein Abo beziehen, käme man auf rund 196 Millionen. Dies ist aber insofern unrealistisch, als dass gerade Kinder oder ältere, in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen selten vom U-Abo Gebrauch machen. Die Zahl klingt erst einmal nach viel, sie macht jedoch nur einen Bruchteil des Baselbieter Bruttoinlandsprodukts aus.
Kann sich der Kanton die hohen Kosten leisten?
Die Frage ist nicht, ob der Kanton einen gebührenfreien öV finanzieren kann, sondern ob er das möchte. Das Senken der Steuern von Reichen und Konzernen kann er sich ja offenbar leisten. Ständige Steuergeschenke, wie auch die bevorstehende Vermögenssteuerreform von Regierungsrat Lauber, liegen ja angeblich drin. Mit konsequenteren Erbschafts- und angemessenen Unternehmenssteuern liegt die Finanzierung durchaus im Bereich des Möglichen. Ein gutes Vorbild wäre die französische Stadt Aubagne, deren Bewohnerinnen und Bewohner seit 2009 gratis öV fahren. Dort zahlen Unternehmen mit mehr als neun Mitarbeitenden Transportabgaben, die 40 Prozent der Kosten abdecken. Ausserdem haben wir gar nicht die Wahl, ob wir Geld für den Klimaschutz in die Hand nehmen oder nicht – die Frage ist bloss wann. Tun wir es jetzt oder erst wenn es zu spät ist und wir mit den gravierenden Folgen der Klimakrise leben müssen?
Bürgerliche kritisieren die Juso oft für ihre sogenannte Gratismentalität. BLT-Direktor Andreas Büttiker argumentiert etwa damit, dass Lebensmittel und Krankenkassen auch nicht kostenlos seien.
Ja, warum eigentlich nicht? Es ist die Aufgabe des Staats, den Service public aufrechtzuerhalten. Büttikers Argument erscheint mir absurd. Dass gewisse Dinge gänzlich vom Staat subventioniert werden, ist nichts Neues und wichtig, um soziale Ungleichheiten zu ebnen. Dass die Schulen kostenlos sind, stellt schliesslich auch niemand infrage. Mobilität ist in meinen Augen ein ähnlich wichtiges Bedürfnis.
FDP-Landrätin Saskia Schenker sagt: «Was nichts kostet, ist nichts wert.» Verlieren Transportunternehmen mit dem kostenlosen U-Abo nicht den Anreiz, immer besser zu werden?
Ich bin nicht einverstanden damit, dass gratis automatisch wertlos bedeutet. Im Gegenteil: Ist der öffentliche Verkehr gebührenfrei, so steigt sein sozialer und ökologischer Wert und er verbessert unsere Lebensumstände. Ausserdem bleibt das Ticketsystem bestehen und die anfallenden Kosten werden weiterhin gedeckt. Für die Transportunternehmen ändert sich also diesbezüglich nichts.
Die Juso hat die Initiative bereits im November 2020 lanciert. Warum hat der Prozess so lange gedauert?
Wir mussten das Sammeln der Unterschriften auf den Sommer verschieben, da wir angesichts der hohen Infektionszahlen im vergangenen Winter nicht unverantwortlich sein wollten. Vergangenen Sommer haben wir dann innert eines Monats fast 2000 gültige Unterschriften gesammelt. Kürzlich hat die Landeskanzlei die Vorlage für gültig erklärt, die rechtliche Abklärung steht noch an. Vermutlich wird die Initiative in den nächsten ein bis zwei Jahren an die Urne kommen.
Wie durchsetzungsfähig schätzen Sie die Initiative ein?
Das Sammeln der Unterschriften verlief extrem leicht.Viele Menschen sagten uns auf der Strasse, dass sie der gebührenfreie öV finanziell enorm entlasten würde. Eine Mutter mit vier Kindern erzählte etwa, sie würde nur zu gerne vom öV Gebrauch machen, könne ihn sich aber schlichtweg nicht leisten. Das Bedürfnis ist bei der Bevölkerung also auf jeden Fall da. Natürlich müssen wir aber damit rechnen, dass sich die Rechts-Bürgerlichen mit allen Mitteln gegen so eine Stärkung des Service public wehren werden. Sie werden wohl auch diesmal mit ihrem Lieblingsargument auffahren: dass nur für Steuergeschenke Geld da sei, für Klima- und Sozialpolitik aber leider nie.
Zur Person
rab. Seit August 2021 präsidiert Elena Kasper aus Reinach gemeinsam mit Joel Jansen aus Frenkendorf die Fraktion der Baselbieter Jungsozialistinnen und Jungsozialisten. Kasper ist 21 Jahre alt und studiert an der Universität Basel Soziologie und Osteuropäische Kulturen.